Christiania – Ist der Traum aus? Die Freistadt Christiania ist eine Hippiekommune mit der berüchtigten Pusher-Street, wo auf offener Straße Gras verkauft wird. Wie sieht es dort nach den Lockdowns der Corona-Pandemie aus? Lebt der Traum einer freien Kommune noch oder ist der Traum vorbei? Wir waren für euch vor Ort.
Was ist Christiania?
Die Freistadt Christiania liegt im wunderschönen Kopenhagen der Hauptstadt Dänemarks. Neben Tivoli, dem ältesten Vergnügungspark Europas und der Statue der kleinen Meerjungfrau, ist die Freistadt Christiania die dritt meistbesuchte Attraktion in Kopenhagen. Neben T-Shirt-Ständen, Paraphernalien-Geschäften sowie diverser Künstler ist die freie Kommune für etwas mehr als nur berüchtigt. Der Pusher-Street, wo auf offener Straße Cannabisblüten und Hashish verkauft werden. Auf offener Straße bedeutet dabei tatsächlich auf offener Straße und nicht wie im Görlitzer Park semi-transparent. Die Dealer beziehungsweise Pusher stellen dort einen Tisch auf, auf dem die Cannabisprodukte offen platziert werden. Selbst der naivste Mensch sieht genau, was hier passiert.
Die Gesichte
Ende der 60er, Anfang der 70er Jahre gab es in der westlichen Welt diverse Proteste gegen das Establishment. Hier haben mehrere Studenten in vielen europäischen Ländern sowie den USA gegen den Kalten Krieg demonstriert. In Deutschland gab es die bekannten Studentenbewegungen, welche später auch zur Entstehung der Bewegung 2. Juni geführt haben.
In Kopenhagen gab es einen militärischen Stützpunkt der USA. Dieser wurde von den Demonstranten 1971 besetzt. Die Demonstranten errichteten dort in kurzer Zeit dort Häuser und lebten sich ein. Da der Stadtteil Christianshavn hieß, wurde die Kommune schnell Christiania genannt. Lange Zeit tolerierte die dänische Regierung dies. In den 90er Jahren kamen jedoch die Konservativen in Dänemark an die Macht. Diesen war Christiania ein Dorn im Auge. Sie konnten die Freistadt nicht länger tolerieren. Sie setzten die dortigen Anwohner vor die Wahl, ob sie entweder Teil des dänischen Staatsgebiets werden, oder ob sie mit Gewalt vernichtet werden. Schnell wurde das geringe Übel gewählt und Christiania schloss sich Dänemark an. Seitdem ist Christiania offiziell Teil des dänischen Staatsgebiets und dort gilt jetzt auch dänisches Recht.
Christiania heute
Christiania heute ist nicht mehr das, was es in den 1970er war. Das ist auch nicht unbedingt schlecht. Die Anfänge Christianias waren sehr chaotisch und es gab dort sehr wenig Rechte für die Menschen. Zwar bestanden die Einwohner Christianias hauptsächlich aus friedlichen Hippies, die nur kiffen wollten, allerdings gab es auch einige Gangs, die einen Teil des dortigen Cannabiskuchens haben wollten. Dementsprechend kam es innerhalb der letzten Jahre immer wieder zu Unruhen und Gewalt. Ein freie Kommune die keine Polizei hat und sich autokratisch verwaltet, ist leicht angreifbar. Dies hat zur Konsequenz, dass das Leben in Christiania zwar sehr liberal ist, allerdings ist die Sicherheit nur an gegenseitiges Vertrauen geknüpft. Dies scheint dort allerdings zu funktionieren ansonsten hätte sich die Kommune keine 50 Jahre lang gehalten.
Die rechtliche Situation
Christiania ist seit den neunziger Jahren Teil des dänischen Staatsgebiets. Dementsprechend ist auch dort der Handel mit Cannabis illegal. Die dänische Polizei kommt in der Regel drei Mal am Tag, um eine Razzia dort durchzuführen. Die Durchführung der Razzia gleicht allerdings einem Sketch von Charlie Chaplin. Die Polizisten nähern sich in Uniform dem Stadteingang. Dort stehen Späher, die die Polizisten entdecken. Diese rufen kurzerhand die Pusher an, um sie zu warnen. Die Pusher packen schnell ihr Cannabis ein und rennen weg. Die Polizisten betreten dann die leere Pusher-Street und sammeln die Reste ein.
Bei den Resten handelt es sich lediglich um eine Menge von geschätzten <10 Gramm von mehreren Verkaufsstellen. Die geschätzte Gesamtmenge liegt bei mindestens 500 Gramm auf der Pusher-Street. Da keine Pusher ermittelt werden können, verlassen die Polizisten wieder die Freistadt. Wenige Minuten nachdem die Polizisten den Ort des Geschehens verlassen haben sind die Pusher wieder an Ort und Stelle und verkaufen munter weiter ihr Cannabis. Ein paar Stunden später kommen die Polizisten erneut und das Spiel beginnt von neuem. Das ganze drei Mal am Tag, sieben Tage die Woche und so weiter. Ein wahre Verschwendung von Ressourcen und Steuergeldern.
Die Regeln
In Christiania gelten wie in jedem anderen Rechtsstaat auch Regeln. In Christiania sind diese allerdings sehr simpel und hängen auf mehreren Tafeln queer durch die Kommune.
Keine Waffen
Keine harten Drogen
Keine Gewalt
Keine privaten Autos
Keine Bikebekleidung
Keine schusssicheren Westen
Kein Verkauf von Feuerwerkskörpern
Keine gestohlen Güter
Keine Kanonenschläge (bestimmte Art Feuerwerkskörper)
Die Gewalt
In Christiania kam es in den vergangenen Jahren immer wieder zu Anschlägen und Morden auf offener Straße. Dementsprechend hat Christiania einen ambivalenten Ruf. Gerade im Vergleich mit der sichersten Stadt Europas (Kopenhagen) ist Christiania von auffällig viel Gewalt und Unruhen betroffen. Die Stadt hält sich allerdings wacker und jetzt, nach der Hauptzeit der Pandemie, blüht der Tourismus in Kopenhagen und Christiania auf und spült wieder neues Geld in die Staatskassen. Die Stadtverwaltung Christianias versucht gegen diese Gewalt vorzugehen allerdings gestaltet sich dies als schwierig. In Christiania gestaltet sich die Politik durch Stadtsitzzungen an denen jeder teilnehmen darf. Dort wird dann demokratisch Entschieden wie zum Beispiel mit Unruhestiftern umgegangen wird. Es gibt dort keine sonstigen Schutzorganisationen. Christiania ist ein liberales Wunderland mit dem entsprechenden Mangel an Sicherheit. Sowas ist für einige Menschen durchaus befremdlich.
Legalisierung in Deutschland und die Zukunft
Uns hat interessiert, ob in Christiania ein Einbruch der Verkaufszahlen bei einer Legalisierung in Deutschland befürchtet wird. Dies hielten viele der Pusher, mit denen wir ins Gespräch kamen, für unwahrscheinlich. Einer meinte, dass die Deutschen zwar einen Teil der Kunden ausmachen, allerdings die meisten Kunden weiterhin Dänen sind und auch bleiben werden. Die Qualität in Christiania ist für Schwarzmarkt-Cannabis sehr gut. Im Allgemeinen wird die Legalisierung in Deutschland als sehr positiv wahrgenommen. Es wird gehofft, dass sich die Situation auch auf Dänemark überträgt. Gerade das ist ein eine spalterischer Punkt. Die Pusher machen sich aktuell strafbar und sie zahlen natürlich keine Steuern, während jeder andere Einwohner der Stadt dies tut. Die Pusher treiben zwar die Besucherzahlen in die Höhe, allerdings sind diese von einigen Einwohnern in Christiania nicht gerne gesehen. Gerade die älteren Hippies stören sich sehr an den ständigen Besuchen der Behörden.
Die Einwohner Christianias wollen endlich eine Legalisierung. Zum einen wird dies Steuern einbringen, die Qualität sichern, aber auch endlich für mehr Frieden und Ruhe in der Stadt sorgen. Auch in Dänemark ist die Legalisierung längst überfällig.
Fazit
Die Welt ist im ständigen Wandel und die Situation im Jahr 2022 ist nicht mehr vergleichbar mit der von 1971. Auch seit 2010, wo wir bereits einen Bericht über Christiania publiziert haben, hat sich einiges verändert. Die Gründer von Christiania sind mittlerweile im Schnitt Mitte 70 oder gar verstorben. Es kommen immer wieder neue Generationen hinzu, die auch Veränderungen mitbringen. Die Freistadt ist nicht mehr das, was sie einmal war. Das ist auch nichts Schlechtes. Veränderung ist eine natürliche Konstante der Geschichte. Wer den alten Geist sucht, wird in Christiania nicht fündig. Allerdings ist der neue Zeitgeist immer noch eine alternative Lebensweise. Jetzt nicht mehr un-juristisch, sondern a-juristisch.
Ein Beitrag von Simon Hanf
Die Vorstellung einer idealen Welt,wurde hier versucht zu verwirklichen.Jeder hat sein eigenes Bild von ideal oder genial.Die Vorgaben der Medien und der Regierung zerstören sowas.
Erleichterung wäre für Christiania neben der Cannabislegalisierung eine Art Autonomierecht für die Beibehaltung und Durchsetzung dort selbstgeschaffener basisdemokratischer Strukturen und Regeln. Aber das ist bei den jetzigen politischen Verhältnissen noch ziemlich unwahrscheinlich. Der Mangel an Sicherheit könnte sich durch basisdemokratisch gewählte und auch wieder abwählbare eigene Schutzorganisationen mit genauso basisdemokratisch festgelegten, variablen Aufgabengebieten beseitigen lassen. Das würde der Freiheit dort keinen Abbruch tun und könnte auch wirklich vor unerwünschter Gewalt schützen. Allerdings müsste dazu natürlich ein gemeinsamer Wille der Einwohner vorhanden sein. Schliesslich sind die wenigen Regeln eigentlich eine gute Voraussetzung für ein harmonischeres und freies Zusammenleben. Aber der Sinn des Bikerkleidungsverbotes erschliesst sich mir nicht ganz. Schliesslich können sich solche Leute auch an die Regeln halten und ich kenne… Weiterlesen »