Freitag, 7. Oktober 2022

Die Cannabispsychose auf dem Prüfstand

Bild: Archiv/Su

„Pass auf, dass du durch das Zeug nicht hängenbleibst”. Mit „Hängenbleiben” sprechen viele

Grünschnabel die weit bekannte Cannabis-Psychose an. Diese Idee gehört vielleicht

zusammen mit den Mythen, Cannabis sei eine Einstiegsdroge und löse angeblich das

Amotivationssyndrom aus, in die unterste Schublade der Wissenschaft: Durch die rassistisch

motivierte Illegalisierung von Cannabis in den 1930er-Jahren ist solche Propaganda

vorwiegend verbreitet. Erinnern Sie sich an den Propagandafilm „Reefer Madness”, der

Kiffer als gewalttätige und vergewaltigende Junkies darstellt. Dass Cannabis Psychosen

begünstigt, mag vielleicht ebenfalls ein solcher Mythos sein: Dem wollen wir auf den Grund

gehen.

Psychosen klar definiert

Die Psychose ist ein Sammelbegriff. Sie umschreibt schwere psychische Störungen, in

denen Betroffene die Realität und Umwelt verändert wahrnehmen, ihr Bezug zur Realität

ändert sich. Zu den typischsten Anzeichen zählen Wahnvorstellungen, Halluzinationen,

gestörte Denkmuster und dergleichen. Nicht selten treten zeitgleich Angststörungen auf.

Grundsätzlich unterscheidet man zwischen primären und sekundären Psychosen. Bei

Primären lässt sich kein Ursprung der Krankheit ermitteln, am häufigsten haben Betroffene

Schizophrenie, wobei primäre Psychosen noch weitere Formen annehmen können. Bei

sekundären Psychosen kennt man eine (organische) Ursache für die Psychose.

Normalerweise liegt eine Erkrankung vor, Menschen mit Tumoren oder Epilepsie neigen

dann etwa zur Psychose. Ansonsten kann eine sekundäre Psychose auch durch

Medikamente oder Drogen verursacht werden (substanzinduzierte Psychose), was wir hier

näher beleuchten wollen.

Das Krankheitsbild von Psychosen ist ziemlich vage definiert. Ein Arzt wird mit Ihnen eine

Anamnese durchführen, um zu erheben, ob Sie möglicherweise an einer Psychose leiden.

Findet er dann durch Blutuntersuchungen und dergleichen keine Ursache für die Symptome,

werden Sie bei Psychosenverdacht i. d. R. an einen Psychotherapeuten verwiesen. Dieser

wird durch Fragebögen und Klassifizierungssysteme probieren, Ihre Krankheit zu ertasten.

Typische Symptome zu Anfang einer Psychose sind Konzentrationsschwächen,

Denkstörungen, ein Gefühl der inneren Leere, ein Leistungseinbruch, Schlafstörungen,

Depressionen und Ängste. Im weiteren Verlauf kann das Ausarten zu Halluzinationen,

Ich-Störungen, emotionalen Veränderungen oder irrationalen Gedanken führen. Nicht selten

tritt auch urplötzlich ein starkes Interesse für Okkultes, Mystik und Magie auf.

Cannabis-Psychosen: Was steht im Raum?

Diskutiert wird, ob Cannabis Psychosen auslöst. Bekannt ist etwa der Begriff der

Drogen-Psychose nicht nur wegen Cannabis. LSD, Amphetamine und Ecstasy sollen diese

auch auslösen können. In diesem Rahmen stellt man sich die Frage, inwieweit Cannabis

eine Psychose auslösen kann. Wird ein ansonsten gesunder Mensch auf einmal

psychotische Störungen durch den Cannabiskonsum erleben oder muss dieser Mensch

bereits Veranlagungen haben, welche die Psychosen-Wahrscheinlichkeit steigern? Oft liest

man etwa salopp, dass Cannabiskonsum bei Menschen, die sowieso anfällig für Psychosen

sind, diese auslösen kann. „Gesunde” Menschen würden demnach ohne Risiko

konsumieren können.

Fakt ist, dass eine Assoziation von psychotischen Symptomen und Cannabiskonsum

besteht. Bewiesen hat das zum einen die deutsche EDS-Studie. Hier wurden ca. 2000

Menschen im Alter von 14 – 24 untersucht. Viermal wurden sie befragt, einmal zu Beginn der

Studie und sonst nach 3,5, 8,4 und zehn Jahren. Untersucht wurden sie auf psychotische

Symptome sowie ihren Cannabiskonsum.

87 % der Leute hatten zu Beginn der Studie kein Cannabis konsumiert. Haben sie nun

jedoch angefangen, innerhalb von 3,5 Jahren zu konsumieren, war ihr Risiko für

psychotische Symptome bis zur Befragung nach 8,5 Jahren bereits verdoppelt.

Teilnehmer, die bereits vor Beginn der Studie Cannabis konsumierten, wiesen innerhalb von

3,5 Jahren eine Chance von 31 % für psychotische Symptome auf. Cannabisnaive

Teilnehmer hatten eine Wahrscheinlichkeit von nur 20 %. Die Häufigkeit an Psychosen nahm

dann jedoch in den folgenden fünf Jahren wieder ab.

Das wissenschaftliche Handwerk hinter solchen Studien gilt jedoch leider zu oft als

verfälscht. Schuld sind hieran i. d. R. die Forscher, da diese mit vorgefassten Meinungen zu

Cannabis die Befragungen angehen. Ungenaue Diagnosen, fehlende Kontrollen und ein

Mangel an Berücksichtigung sind typische Probleme.

High sein hat psychotische Züge

Der psychoaktive Effekt von Cannabis kann Auswirkungen annehmen, die an eine

psychotische Phase erinnern. Insbesondere das gestörte Zeitgefühl sowie vermehrte Angst

und Panik sind typische Symptome, die Kiffer gelegentlich erfahren. In Laboren ließen sich

zudem mit THC Halluzinationen provozieren, was ebenfalls typisch für eine Psychose sein

kann. Zusammen mit Denkstörungen, Konzentrationsschwächen und dergleichen liegt der

Schluss nahe, Bekiffte als psychisch krank abzustempeln. Wer betrunken torkelt, kriegt

jedoch auch nicht vorgeworfen, die Physio besuchen zu sollen, um seine motorischen

Probleme zu lösen. Beim Alkohol ist die Kausalität „Drogenkonsum führt zu krankhaften

Symptomen” natürlich, bei Cannabis anscheinend nicht.

Wir stellen uns also zurecht die Frage, ob nur psychotische Symptome auftreten oder ob das

Syndrom der Psychose ebenfalls vorhanden ist. Halluzinationen sind bspw. im Rahmen

eines LSD-Rauschs vermutlich das normalste der Welt – Einen Psychiater besuchen sollte

man darum nicht. Außer vielleicht, die Hallus bleiben nach Tagen…

Es gilt zu differenzieren: Wann treten die psychotischen Symptome auf? Mit

Cannabiskonsum oder auch davor, während die Person noch nüchtern ist? Verstärkt

Cannabiskonsum die Symptome? Kleinkariert müssen wir uns die Lage anschauen.

Den Irrtümern auf der Spur

Diese Differenzierung gibt Ihnen ggf. ein erstes Gespür dafür, welchen Fehlern unsere

Mediziner erlegen sind. Drei Grundannahmen müssen getroffen werden, damit

Cannabis-Psychosen untersucht werden können. Erstmal müssen wir rigoros zwischen

primären und sekundären Psychosen unterscheiden. Sekundäre Psychosen weisen etwa

einen organischen Ursprung auf, während wir bei primären Psychosen genau hinsehen

müssen. Würde Cannabis nun im Rahmen einer sekundären Psychose die Hirnlandschaft

verändern, läge ein harter Beweis vor.

Zweitens müssen wir psychotische Symptome klar von einer waschechten Psychose

unterscheiden, hierauf haben wir weiter oben angesprochen. Erleidet der Betroffene eine

Psychose bzw. psychotische Phase oder ist er einfach nur high? Zu guter Letzt muss der

Cannabiskonsum richtig in den Kontext gesetzt werden: Folgen psychotische Symptome auf

den Konsum? Treten Symptome unabhängig von Cannabiskonsum auf?

Mit diesen feinen Bewertungskriterien können wir nun tiefer auf die Kausalität einer

Cannabis-Psychose zu sprechen kommen. Folgende Theorien stehen im Raum:

1. Cannabisinduzierte Psychosesymptome treten nur auf, während man aktiv high ist,

nüchtern verschwinden diese wieder.

2. Durch chronischen Cannabiskonsum könnte eine organische (sekundäre) Psychose

eintreten, die auch nach Abstinenz verbleibt.

3. Cannabis kann primäre Psychosen auslösen, die mit vollkommener Abstinenz wieder

verschwinden.

4. Bei vorveranlagten Personen kann Cannabis primäre, schizophrene Psychosen

auslösen, die persistieren.

5. Cannabis kann schizophrene Psychosen negativ beeinflussen.

Die meisten Fälle von Cannabis-Psychosen scheinen darum auf eine akute und kurzweilige

organische Psychose hinzuweisen. Ob es sich hierbei wirklich um eine Psychose und nicht

die psychoaktive Wirkung von Cannabis (psychosenähnliche Symptome) handelt, ist

fraglich. Ob die entsprechenden Symptome eintreten, ist i. d. R. dosisabhängig. Ist man high

wie ein Drachen auf der Wiese, treten die Psychosesymptome eher ein – Das hat

interessanterweise der Forscher Moreau de Tours bereits 1848 festgestellt. Mit oder ohne

helfender Medikation sind die Psychosesymptome bei Abstinenzeintritt wenige Stunden bis

Tage im Anschluss fort (Theorie 1). Darum hat der Psychosenforscher Ghodse

vorgeschlagen, dass chronische Konsumenten durch die akute Intoxikation öfter in einen

psychotischen Zustand fallen. Er gab den Hinweis, dass vermehrte psychotische Phasen auf

Dauer zu einem chronisch psychotischen Zustand ausufern könnten (Theorie 3 und 4). Es

stellt sich die Frage, ob die Symptome bei Abstinenz persistieren. Zuverlässige Beweise für

diese Meinung stehen allerdings noch aus. Sie liefert jedoch eine Erklärung, weshalb aktiv

Bekiffte gerne als „hängengeblieben“ oder sanfter „verwirrt” betitelt werden.

Für die zweite Theorie, dass zu viel Cannabiskonsum organische Änderungen (im Hirn?)

erwirkt, gibt es leider auch Hinweise. Eine Studie hat sich mit der präsynaptischen

dopaminergen Aktivität von Patienten befasst, welche an einer Cannabis-Psychose litten

bzw. mit dieser diagnostiziert wurden. Im Striatum hat man hier festgestellt, dass häufiger

Cannabiskonsum die Dopaminsynthese verlangsamt hat. Man konnte jedoch keine

Korrelation zwischen dieser verminderten Dopaminsynthese und der Psychose feststellen –

Organische Veränderungen kann Cannabis jedoch demnach hervorrufen. Ob diese

Veränderung bei Abstinenz wieder verschwindet, muss noch untersucht werden.

Ein weiteres Problem tritt auf, wenn wir eine Antwort auf die Cannabis-Psychose suchen:

Viele Studien lassen sich nicht mehr verwenden. Eine Vielzahl dieser stammt etwa aus alten

Zeiten, in denen Gras mit weniger THC und viel mehr CBD verkauft wurde. Überdosen an

THC scheint jedoch an akut-toxischen psychotischen Phasen Anteil zu haben, CBD scheint

vor genau diesen Symptomen zu schützen. In Studien hat man etwa bewiesen, dass die

Verabreichung von reinem THC schneller und leichter zu Bad Trips führt, als die

Kombination mit CBD. Wir müssen also weitere Studien abwarten, welche mit den potenten

THC-Strains durchgeführt werden.

Der Takeaway bleibt: Cannabis muss wegen Psychosegefahr legalisiert werden!

Insbesondere Gegner der Legalisierung verweisen mit Vorliebe auf die Psychosegefahr als

tragendes Argument. Damit haben sie allerdings falsch geraten.

Es verbleibt vorrangig die Annahme, dass Cannabis bereits bei vorveranlagten Personen

eine Psychose bzw. Schizophrenie auslösen kann. Die Annahme geht soweit, dass diese

Personen sowieso die Krankheit ausgebildet hätten, nur eben später. Hinzu kommt, dass

Cannabiskonsum eine Schizophrenie nur zu verschlechtern scheint. Psychoseähnliche

Zustände können während der psychoaktiven Intoxikation ggf. eintreten, i. d. R. scheinen

diese jedoch mit der Abstinenz wieder zu verschwinden. Problematisch scheint der

Cannabiskonsum nur für die prädestinierten Personen zu sein, die bspw. durch ihren

psychischen Zustand oder Gene hierfür veranlagt sind.

Um einen solchen prävalenten Fall einer Cannabis-Psychose zu verhindern, müsste man

jedoch 20.000 Leuten das Kiffen ausreden. Betrachtet man also das Psychoserisiko im

Gesamtkontext einer Gesellschaft, fällt es als Argument weg.

Hinzu kommt, dass cleanes und gutes Ott aus einem Fachgeschäft vermutlich seltener zu

substanzinduzierten Psychosen führt, als gelactes Gras von der Straße. Psychoseanfälligen

Konsumenten täte der Staat also einen Gefallen, schnell zu legalisieren. Dann könnten

diese Personen auch gezielt Gras mit höheren Anteilen CBD erwerben, um der

Psychosegefahr entgegen zu wirken.

Hinzu kommt noch, dass Konsumenten lieber und schneller Therapie- und Hilfsangebote

annehmen werden, wenn Cannabis erst einmal legalisiert ist. Damit ließen sich Psychosen

früh und effektiv behandeln, um negative Auswirkungen auf das eigene Leben zu

verhindern. Aufklärungsarbeit sollte in diesem Rahmen ebenfalls betrieben werden,

zuverlässige Daten zu finden, erweist sich als ziemlich schwer.

Das Amotivationssyndrom wird übrigens auch als eine Form der Psychose angesehen. Hier

ist die Studienlage jedoch derart widersprüchlich und unklar, dass man nicht von der

Existenz dieses Syndroms ausgehen kann.

Fazit: Free the weed! So lässt sich erst richtig Jugendschutz und Psychosen-Prävention

betreiben.

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Manfred Müller
7 Monate zuvor

Völlig außer Acht wird die Wirkung der Kriminalisierung gelassen. Die sozialen Folgen von kollektiver sozialer Ausgrenzung und Ächtung der Konsumenten hat ganz erheblich Einfluss auf die Betroffenen. Das führt zwangsweise zu gebrochenem Selbstwert. Das wiederum zu allerlei Ängsten, Paranoia, Rückzug, Vereinsamung usw. Das bleibt nicht unbemerkt, und wird wiederum der Substanz zugeordnet. So entsteht ein Teufelskreis. Dieses Verhalten wird beim Alkohol nicht aufgebaut (zumindest in der Anfangsphase des Konsums nicht, wenn der Suchtdruck noch beherrschbar scheint). Und das ist politisch so gewollt, denn Alkohol ist ein immens wichtiger Wirtschaftsfaktor. Bizarr finde ich den Vergleich der beiden Rauschmittel bzw. dessen Konsumenten, weil meiner Beobachtung nach ausgerechnet jene Alkoholkonsumenten an der Schwelle zur Sucht die heftigsten Kämpfer der Prohibition sind (Münchhausen-Stellvertreter-Symdrom). So… Weiterlesen »