
„Pass auf, dass du durch das Zeug nicht hängenbleibst”. Mit „Hängenbleiben” sprechen viele
Grünschnabel die weit bekannte Cannabis-Psychose an. Diese Idee gehört vielleicht
zusammen mit den Mythen, Cannabis sei eine Einstiegsdroge und löse angeblich das
Amotivationssyndrom aus, in die unterste Schublade der Wissenschaft: Durch die rassistisch
motivierte Illegalisierung von Cannabis in den 1930er-Jahren ist solche Propaganda
vorwiegend verbreitet. Erinnern Sie sich an den Propagandafilm „Reefer Madness”, der
Kiffer als gewalttätige und vergewaltigende Junkies darstellt. Dass Cannabis Psychosen
begünstigt, mag vielleicht ebenfalls ein solcher Mythos sein: Dem wollen wir auf den Grund
gehen.
Psychosen klar definiert
Die Psychose ist ein Sammelbegriff. Sie umschreibt schwere psychische Störungen, in
denen Betroffene die Realität und Umwelt verändert wahrnehmen, ihr Bezug zur Realität
ändert sich. Zu den typischsten Anzeichen zählen Wahnvorstellungen, Halluzinationen,
gestörte Denkmuster und dergleichen. Nicht selten treten zeitgleich Angststörungen auf.
Grundsätzlich unterscheidet man zwischen primären und sekundären Psychosen. Bei
Primären lässt sich kein Ursprung der Krankheit ermitteln, am häufigsten haben Betroffene
Schizophrenie, wobei primäre Psychosen noch weitere Formen annehmen können. Bei
sekundären Psychosen kennt man eine (organische) Ursache für die Psychose.
Normalerweise liegt eine Erkrankung vor, Menschen mit Tumoren oder Epilepsie neigen
dann etwa zur Psychose. Ansonsten kann eine sekundäre Psychose auch durch
Medikamente oder Drogen verursacht werden (substanzinduzierte Psychose), was wir hier
näher beleuchten wollen.
Das Krankheitsbild von Psychosen ist ziemlich vage definiert. Ein Arzt wird mit Ihnen eine
Anamnese durchführen, um zu erheben, ob Sie möglicherweise an einer Psychose leiden.
Findet er dann durch Blutuntersuchungen und dergleichen keine Ursache für die Symptome,
werden Sie bei Psychosenverdacht i. d. R. an einen Psychotherapeuten verwiesen. Dieser
wird durch Fragebögen und Klassifizierungssysteme probieren, Ihre Krankheit zu ertasten.
Typische Symptome zu Anfang einer Psychose sind Konzentrationsschwächen,
Denkstörungen, ein Gefühl der inneren Leere, ein Leistungseinbruch, Schlafstörungen,
Depressionen und Ängste. Im weiteren Verlauf kann das Ausarten zu Halluzinationen,
Ich-Störungen, emotionalen Veränderungen oder irrationalen Gedanken führen. Nicht selten
tritt auch urplötzlich ein starkes Interesse für Okkultes, Mystik und Magie auf.
Cannabis-Psychosen: Was steht im Raum?
Diskutiert wird, ob Cannabis Psychosen auslöst. Bekannt ist etwa der Begriff der
Drogen-Psychose nicht nur wegen Cannabis. LSD, Amphetamine und Ecstasy sollen diese
auch auslösen können. In diesem Rahmen stellt man sich die Frage, inwieweit Cannabis
eine Psychose auslösen kann. Wird ein ansonsten gesunder Mensch auf einmal
psychotische Störungen durch den Cannabiskonsum erleben oder muss dieser Mensch
bereits Veranlagungen haben, welche die Psychosen-Wahrscheinlichkeit steigern? Oft liest
man etwa salopp, dass Cannabiskonsum bei Menschen, die sowieso anfällig für Psychosen
sind, diese auslösen kann. „Gesunde” Menschen würden demnach ohne Risiko
konsumieren können.
Fakt ist, dass eine Assoziation von psychotischen Symptomen und Cannabiskonsum
besteht. Bewiesen hat das zum einen die deutsche EDS-Studie. Hier wurden ca. 2000
Menschen im Alter von 14 – 24 untersucht. Viermal wurden sie befragt, einmal zu Beginn der
Studie und sonst nach 3,5, 8,4 und zehn Jahren. Untersucht wurden sie auf psychotische
Symptome sowie ihren Cannabiskonsum.
87 % der Leute hatten zu Beginn der Studie kein Cannabis konsumiert. Haben sie nun
jedoch angefangen, innerhalb von 3,5 Jahren zu konsumieren, war ihr Risiko für
psychotische Symptome bis zur Befragung nach 8,5 Jahren bereits verdoppelt.
Teilnehmer, die bereits vor Beginn der Studie Cannabis konsumierten, wiesen innerhalb von
3,5 Jahren eine Chance von 31 % für psychotische Symptome auf. Cannabisnaive
Teilnehmer hatten eine Wahrscheinlichkeit von nur 20 %. Die Häufigkeit an Psychosen nahm
dann jedoch in den folgenden fünf Jahren wieder ab.
Das wissenschaftliche Handwerk hinter solchen Studien gilt jedoch leider zu oft als
verfälscht. Schuld sind hieran i. d. R. die Forscher, da diese mit vorgefassten Meinungen zu
Cannabis die Befragungen angehen. Ungenaue Diagnosen, fehlende Kontrollen und ein
Mangel an Berücksichtigung sind typische Probleme.
High sein hat psychotische Züge
Der psychoaktive Effekt von Cannabis kann Auswirkungen annehmen, die an eine
psychotische Phase erinnern. Insbesondere das gestörte Zeitgefühl sowie vermehrte Angst
und Panik sind typische Symptome, die Kiffer gelegentlich erfahren. In Laboren ließen sich
zudem mit THC Halluzinationen provozieren, was ebenfalls typisch für eine Psychose sein
kann. Zusammen mit Denkstörungen, Konzentrationsschwächen und dergleichen liegt der
Schluss nahe, Bekiffte als psychisch krank abzustempeln. Wer betrunken torkelt, kriegt
jedoch auch nicht vorgeworfen, die Physio besuchen zu sollen, um seine motorischen
Probleme zu lösen. Beim Alkohol ist die Kausalität „Drogenkonsum führt zu krankhaften
Symptomen” natürlich, bei Cannabis anscheinend nicht.
Wir stellen uns also zurecht die Frage, ob nur psychotische Symptome auftreten oder ob das
Syndrom der Psychose ebenfalls vorhanden ist. Halluzinationen sind bspw. im Rahmen
eines LSD-Rauschs vermutlich das normalste der Welt – Einen Psychiater besuchen sollte
man darum nicht. Außer vielleicht, die Hallus bleiben nach Tagen…
Es gilt zu differenzieren: Wann treten die psychotischen Symptome auf? Mit
Cannabiskonsum oder auch davor, während die Person noch nüchtern ist? Verstärkt
Cannabiskonsum die Symptome? Kleinkariert müssen wir uns die Lage anschauen.
Den Irrtümern auf der Spur
Diese Differenzierung gibt Ihnen ggf. ein erstes Gespür dafür, welchen Fehlern unsere
Mediziner erlegen sind. Drei Grundannahmen müssen getroffen werden, damit
Cannabis-Psychosen untersucht werden können. Erstmal müssen wir rigoros zwischen
primären und sekundären Psychosen unterscheiden. Sekundäre Psychosen weisen etwa
einen organischen Ursprung auf, während wir bei primären Psychosen genau hinsehen
müssen. Würde Cannabis nun im Rahmen einer sekundären Psychose die Hirnlandschaft
verändern, läge ein harter Beweis vor.
Zweitens müssen wir psychotische Symptome klar von einer waschechten Psychose
unterscheiden, hierauf haben wir weiter oben angesprochen. Erleidet der Betroffene eine
Psychose bzw. psychotische Phase oder ist er einfach nur high? Zu guter Letzt muss der
Cannabiskonsum richtig in den Kontext gesetzt werden: Folgen psychotische Symptome auf
den Konsum? Treten Symptome unabhängig von Cannabiskonsum auf?
Mit diesen feinen Bewertungskriterien können wir nun tiefer auf die Kausalität einer
Cannabis-Psychose zu sprechen kommen. Folgende Theorien stehen im Raum:
1. Cannabisinduzierte Psychosesymptome treten nur auf, während man aktiv high ist,
nüchtern verschwinden diese wieder.
2. Durch chronischen Cannabiskonsum könnte eine organische (sekundäre) Psychose
eintreten, die auch nach Abstinenz verbleibt.
3. Cannabis kann primäre Psychosen auslösen, die mit vollkommener Abstinenz wieder
verschwinden.
4. Bei vorveranlagten Personen kann Cannabis primäre, schizophrene Psychosen
auslösen, die persistieren.
5. Cannabis kann schizophrene Psychosen negativ beeinflussen.
Die meisten Fälle von Cannabis-Psychosen scheinen darum auf eine akute und kurzweilige
organische Psychose hinzuweisen. Ob es sich hierbei wirklich um eine Psychose und nicht
die psychoaktive Wirkung von Cannabis (psychosenähnliche Symptome) handelt, ist
fraglich. Ob die entsprechenden Symptome eintreten, ist i. d. R. dosisabhängig. Ist man high
wie ein Drachen auf der Wiese, treten die Psychosesymptome eher ein – Das hat
interessanterweise der Forscher Moreau de Tours bereits 1848 festgestellt. Mit oder ohne
helfender Medikation sind die Psychosesymptome bei Abstinenzeintritt wenige Stunden bis
Tage im Anschluss fort (Theorie 1). Darum hat der Psychosenforscher Ghodse
vorgeschlagen, dass chronische Konsumenten durch die akute Intoxikation öfter in einen
psychotischen Zustand fallen. Er gab den Hinweis, dass vermehrte psychotische Phasen auf
Dauer zu einem chronisch psychotischen Zustand ausufern könnten (Theorie 3 und 4). Es
stellt sich die Frage, ob die Symptome bei Abstinenz persistieren. Zuverlässige Beweise für
diese Meinung stehen allerdings noch aus. Sie liefert jedoch eine Erklärung, weshalb aktiv
Bekiffte gerne als „hängengeblieben“ oder sanfter „verwirrt” betitelt werden.
Für die zweite Theorie, dass zu viel Cannabiskonsum organische Änderungen (im Hirn?)
erwirkt, gibt es leider auch Hinweise. Eine Studie hat sich mit der präsynaptischen
dopaminergen Aktivität von Patienten befasst, welche an einer Cannabis-Psychose litten
bzw. mit dieser diagnostiziert wurden. Im Striatum hat man hier festgestellt, dass häufiger
Cannabiskonsum die Dopaminsynthese verlangsamt hat. Man konnte jedoch keine
Korrelation zwischen dieser verminderten Dopaminsynthese und der Psychose feststellen –
Organische Veränderungen kann Cannabis jedoch demnach hervorrufen. Ob diese
Veränderung bei Abstinenz wieder verschwindet, muss noch untersucht werden.
Ein weiteres Problem tritt auf, wenn wir eine Antwort auf die Cannabis-Psychose suchen:
Viele Studien lassen sich nicht mehr verwenden. Eine Vielzahl dieser stammt etwa aus alten
Zeiten, in denen Gras mit weniger THC und viel mehr CBD verkauft wurde. Überdosen an
THC scheint jedoch an akut-toxischen psychotischen Phasen Anteil zu haben, CBD scheint
vor genau diesen Symptomen zu schützen. In Studien hat man etwa bewiesen, dass die
Verabreichung von reinem THC schneller und leichter zu Bad Trips führt, als die
Kombination mit CBD. Wir müssen also weitere Studien abwarten, welche mit den potenten
THC-Strains durchgeführt werden.
Der Takeaway bleibt: Cannabis muss wegen Psychosegefahr legalisiert werden!
Insbesondere Gegner der Legalisierung verweisen mit Vorliebe auf die Psychosegefahr als
tragendes Argument. Damit haben sie allerdings falsch geraten.
Es verbleibt vorrangig die Annahme, dass Cannabis bereits bei vorveranlagten Personen
eine Psychose bzw. Schizophrenie auslösen kann. Die Annahme geht soweit, dass diese
Personen sowieso die Krankheit ausgebildet hätten, nur eben später. Hinzu kommt, dass
Cannabiskonsum eine Schizophrenie nur zu verschlechtern scheint. Psychoseähnliche
Zustände können während der psychoaktiven Intoxikation ggf. eintreten, i. d. R. scheinen
diese jedoch mit der Abstinenz wieder zu verschwinden. Problematisch scheint der
Cannabiskonsum nur für die prädestinierten Personen zu sein, die bspw. durch ihren
psychischen Zustand oder Gene hierfür veranlagt sind.
Um einen solchen prävalenten Fall einer Cannabis-Psychose zu verhindern, müsste man
jedoch 20.000 Leuten das Kiffen ausreden. Betrachtet man also das Psychoserisiko im
Gesamtkontext einer Gesellschaft, fällt es als Argument weg.
Hinzu kommt, dass cleanes und gutes Ott aus einem Fachgeschäft vermutlich seltener zu
substanzinduzierten Psychosen führt, als gelactes Gras von der Straße. Psychoseanfälligen
Konsumenten täte der Staat also einen Gefallen, schnell zu legalisieren. Dann könnten
diese Personen auch gezielt Gras mit höheren Anteilen CBD erwerben, um der
Psychosegefahr entgegen zu wirken.
Hinzu kommt noch, dass Konsumenten lieber und schneller Therapie- und Hilfsangebote
annehmen werden, wenn Cannabis erst einmal legalisiert ist. Damit ließen sich Psychosen
früh und effektiv behandeln, um negative Auswirkungen auf das eigene Leben zu
verhindern. Aufklärungsarbeit sollte in diesem Rahmen ebenfalls betrieben werden,
zuverlässige Daten zu finden, erweist sich als ziemlich schwer.
Das Amotivationssyndrom wird übrigens auch als eine Form der Psychose angesehen. Hier
ist die Studienlage jedoch derart widersprüchlich und unklar, dass man nicht von der
Existenz dieses Syndroms ausgehen kann.
Fazit: Free the weed! So lässt sich erst richtig Jugendschutz und Psychosen-Prävention
betreiben.