Psychoaktive Pflanzenkunde
Markus Berger
Pereskien sind urtümliche Kakteengewächse, die mit ihren ledrigen Blättern auf den ersten Blick so gar nicht nach Kaktus aussehen. Diese schönen Pflanzen sind auch bei uns als Topfgewächse bekannt und wurden oder werden noch heute von Angehörigen indigener Ethnien als Heil-, Ritual- und Rauschpflanzen verwendet. Vorliegende Arbeit fasst das vorhandene Wissen zusammen, verdichtet den forschungsstandlichen Status Quo des bislang wissenschaftlich nicht weiter beachteten Komplexes um die ethnobotanisch genutzten Pereskia-Arten und gibt damit einen Überblick über die Möglichkeiten der Nutzung dieser Ur-Kakteen.
Die Gattung Pereskia wurde 1754 vom englischen Botaniker Philip Miller nach dem französischen Staatsrat Nicolas Claude Fabrice de Peiresc (1580-1637) benannt und hieß daher auch ursprünglich Peireskia. Die sechzehn Arten kommen von Florida bis Südamerika vor.
Im ethnobotanischen Sinne sind sechs Pereskien von Interesse – obgleich die pharmakologische Literatur immer wieder von mindestens neun Spezies berichtet. Dies begründet sich in einem schlichten Fehler innerhalb der nomenklatorischen Recherche, was schon daran zu bemerken ist, dass viele der benutzten Namen mittlerweile aufgehoben wurden. So geben Alexander Shulgin und auch ich selber in früheren Werken die Arten Pereskia autumnalis, Pereskia corrugata, Pereskia cubensis, Pereskia godseffiana, Pereskia pititache und Pereskia tampicana an, obwohl diese Bezeichnungen heute nur noch synonym für andere Pereskien stehen (Berger 2002: 92; Shulgin et al.: 1997: 666-679). Vorliegende Arbeit räumt mit diesem Missverständnis auf und erläutert zudem die rituelle indigene Nutzung sowie die soziokulturelle Genese der ethnobotanischen und -medizinischen Verwendung der Pereskia-Spezies und liefert damit brauchbare Hinweise auf eine auch hiesige Verwendung. Der besseren Übersicht halber findet sich am Ende der nun folgenden Zusammenfassung außerdem eine zweite Tabelle, welche den nomenklatorischen Ist-Zustand wiedergibt.
TABELLE: Die ethnobotanisch genutzten Pereskia-Arten
Heilpflanze | Nahrungspflanze | Nutzpflanze | Rausch- und Ritualpflanze | Pharmakologie bekannt | |
Pereskia bleo | x | x | x | x | x |
Pereskia grandifolia | x | x | x | ||
Pereskia lychnidiflora | x | x | x | ||
Pereskia zinniiflora | x | x | x | ||
Pereskia guamacho | x | x | x | ||
Pereskia aculeata | x | x | x | x | |
Pereskia zinniiflora | x | x | x |
Als pflanzliche Halluzinogene und schamanische Neurotransmitter sind zwei Spezies bekannt:
Da wäre als erstes die in Kolumbien und Panama heimische Pereskia bleo (Kunth) DC. (Syn.: Cactus bleo Kunth, Pereskia corrugata Cutak, Pereskia panamensis F.A.C. Weber, Rhodocactus bleo (Kunth) F.M. Knuth, Rhodocactus corrugatus (Cutak) Backeb.; Trivialbezeichnungen: Clarol, jarum tujuh bilah’, Naju de culebra, Naju de espinas, Pipchuelo, Rose cactus), welche Tyramin, Tyrosamin, 4-Hydroxy-Phenylethylamin, Homovanilylamin, 3-Methoxytyramin, 3-Methoxy-4-Hydroxy-Phenethylamin, Dimethyl-Phenethylamin, 3,4-Dimethoxyphenethylamin und das psychedelische Alkaloid Meskalin (3,4,5-Trimethoxyphenethylamin) enthält (dieser entheogene Wirkstoff dürfte den meisten als hauptwirksames Prinzip des berühmten Peyote Lophophora williamsii (Lem. ex Salm-Dyck) Coult. bekannt sein). Neuere Forschungen haben ergeben, dass die Pflanze zytotoxische, also krebshemmende Eigenschaften aufweist. So kann ein Methanolextrakt aus Pereskia bleo erfolgreich in der Behandlung von Brustkrebs bei der Frau verwendet werden (Tan et al. 2005). Außerdem gilt die Art als Nahrungsmittel und Nutzpflanze: Aus den roten Blüten entwickelt sich eine genießbare gelbe Frucht. Auch die Blätter können ohne Gefahr verzehrt werden. In Kolumbien werden aus Pereskia bleo die sogenannten „lebenden Zäune“ errichtet (Duke 2004).
Pereskia grandifolia Haw. (Syn.: Cactus grandifolius Link, Rhodocactus grandifolius (Haw.) Knuth, Rhodocactus grandiflorus Knuth et Backeb., Rhodocactus tampicanus (F.A.C. Weber) Backeb., Pereskia tampicana F.A.C. Weber, Pereskia grandiflora Hort. ex Pfeiff.) ist in Brasilien heimisch und spaltet sich in zwei chemische Sippen auf: In der Urform Pereskia grandifolia, die ethnomedizinisch gegen Schwellungen eingesetzt wird, wurden vom US-amerikanischen Chemiker Alexander Shulgin die Wirkstoffe Tyramin, Tyrosamin, 4-Hydroxy-Phenylethylamin, beta-Hydroxy-4-Methoxy-Phenethylamin, Homovanilylamin, 3-Methoxytyramin und 3-Methoxy-4-Hydroxy-Phenethylamin nachgewiesen. Die Subspezies Pereskia grandifolia ssp. violacea (Leuenberger) Taylor et Zappi. enthält hingegen Tyramin, Tyrosamin, 4-Hydroxy-Phenylethylamin, beta-Hydroxy-4-Methoxy-Phenethylamin, Dimethyl-Phenethylamin, 3,4-Dimethoxy-Phenethylamin und – wie Pereskia bleo – Meskalin (Shulgin et al. 1997: 679)[1].
Weitere als rituelle Heilmittel und Psychoaktiva (zum Beispiel als Peyote-Substitut) genutzte Arten:
Pereskia lychnidiflora DC. (Syn.: Pereskia autumnalis (Eichlam) Rose, Pereskia opuntiiflora DC., Pereskia opuntiaeflora DC., Pereskiopsis opuntiiflora (DC.) Br. et R., Pereskia pititache Karw. ex Pfeiff., Pereskia nicoyana Weber, Opuntia pititache (Karwinsky ex Pfeiffer) F.A.C. Weber, Opuntia golziana K. Schumann, Pereskiopsis pititache (Karwinsky ex Pfeiffer) Br. et R., Rhodocactus conzattii (Br. et R.) Backeb., Pereskia conzattii Br. et R., Pereskia calandriniaefolia, Rhodocactus autumnalis (Eichlam) Knuth, Pereskiopsis autumnalis Eichlam, Rhodocactus lychnidiflorus (DC.) Knuth, Rhodocactus nicoyanus (F.A.C. Weber) Knuth) kommt von Süd-Mexiko bis Costa Rica vor und enthält Tyramin, Tyrosamin und 4-Hydroxy-Phenylethylamin.
Pereskia zinniiflora DC. (Syn.: Rhodocactus cubensis (Br. et R.) Knuth, Rhodocactus zinniiflorus (DC.) Knuth, Pereskia cubensis Br. et R.) stammt aus Süd-Kuba und beinhaltet Tyramin, Tyrosamin und 4-Hydroxy-Phenylethylamin.
Pereskia aculeata Mill. (Syn.: Cactus pereskia L., Pereskia pereskia (L.) Karsten, Pereskia aculeata var. godseffiana (Sand.) F.M. Knuth, Pereskia acardia, Pereskia undulata Lem., Pereskia rubescens, Pereskia longispina Haw., Pereskia aculeata var. rubescens (Hough.) Krainz, Pereskia godseffiana Sander; Trivialbezeichnungen: Laubkaktus, Bladeapple, Barbados Gooseberry, Bledo, Grosela Americana, Guamacho, Naca, Naju de espinas) ist eine der pharmakologisch am besten erforschten Pereskien. Die Pflanze kommt in Südamerika und der Karibik vor und enthält Asche, Ascorbinsäure, Ballaststoffe, Betacarotin, Calcium, Carbohydrate, Fett, Eisen, Niacin, Phosphor, Riboflavin, Protein, Thiamin und Wasser sowie Tyramin, Tyrosamin und 4-Hydroxy-Phenylethylamin. Die Frucht wird roh oder konserviert gegessen. Die Blätter dienen als schamanisches und psychoaktives Zauberkraut sowie als Nahrungsmittel, zum Beispiel für die Zubereitung von schmackhaften Salaten.
Die Inhaltsstoffe der Pereskia guamacho F.A.C. Weber (Syn.: Pereskia guamacho (Backeb.) Ostolaza Nano, Rhodocactus guamacho (F.A.C. Weber) Knuth, Rhodocactus colombianus (Br. et R.) Knuth, Pereskia colombiana Br. et R.; Trivialbezeichnungen: Fachno) sind noch nicht erforscht. Die Pflanze ist in Kolumbien und Venezuela heimisch, wirkt entzündungshemmend und kühlend und wird bei offenen Wunden, zur Narbenverheilung, gegen Vereiterungen und Syphilis angewendet. Pereskia guamacho wurde erstmalig 1850 auf der Kanga-Plantage in CuraVao kultiviert, wo aus der Pflanze ein Sirup gewonnen wurde, welcher asthmatische Leiden zu lindern vermag. In Venezuela wird aus den Blättern ein süßes Mittel, das das „Blut kühlt“ gewonnen. Eine Abkochung aus der Rinde wird zur Therapie von Geschwüren genutzt. Im Staat Falcon (Coro und Barquisimeto) wird das aus dem Baumstamm gewonnene Gummi benutzt, um Keuchhusten bei Kindern zu behandeln. Entlang der Küsten Venezuelas wird der Baum oder Strauch als Hecke genutzt. Am Rande von Weideland und in der Nähe von Gleisen werden die Stämme der Art als widerstandsfähige Pfosten aufgestellt. Die laubigen Pflanzenteile werden außerdem als Ampelgefäße für Orchideen und andere Epiphyten sowie als Brennholz verwendet.
TABELLE. Innerhalb der pharmakologischen Literatur falsch benannte Pereskia sp.
VERWENDETER NAME | GÜLTIGE NOMENKLATUR |
Pereskia autumnalis (Eichlam) Rose | Pereskia lychnidiflora DC. |
Pereskia corrugata Cutak | Pereskia bleo (Kunth) DC. |
Pereskia cubensis Br. et R. | Pereskia zinniiflora DC. |
Pereskia godseffiana Sander | Pereskia aculeata Mill. |
Pereskia pititache Karw. ex Pfeiff. | Pereskia lychnidiflora DC. |
Pereskia tampicana Weber | Pereskia grandifolia Haw. |
Pereskien in der Naturheilkunde
Gerade Pereskia grandifolia und Pereskia guamacho bergen großes Potential für die Naturheilkunde in sich. Immerhin haben Abkochungen aus den Blättern und der Rinde beider Arten definitiv entzündungshemmende und kühlende Wirkung, und damit sind die Pflanzen geradezu prädestiniert, in der Wundbehandlung ihr Einsatzgebiet zu finden. Hier ist sicherlich noch weiter Raum für künftige Forschungen.
Exkurs: Kurze Einführung in die Pereskien-Kultur
Die Pflanzen können in jeder Kakteengärtnerei, aber auch über den gut sortierten Gartenfachhandel bezogen werden. Bei einer durchschnittlichen Temperatur von 12° Celsius können Pereskien im Zimmer und bei Kübelhaltung auch im Garten gepflegt werden. Die Pflanzen bevorzugen dabei eindeutig einen halbschattigen Standort. Die Pflanzen wollen regelmäßig und reichlich gewässert werden, vertragen jedoch kein sich stauendes Wasser. Leidet die Pereskia unter Feuchtigkeitsmangel, wirft sie ihr Blattwerk.
Literatur
Berger, Markus (2002), Psychoaktive Kakteen, Löhrbach: The Grüne Kraft
Berger, Markus (2004), Cactus Enteógenos, Barcelona: La Canameria Global
Berger, Markus (2007), Kakteen – genügsam, formenreich, faszinierend, Stuttgart: Eugen Ulmer
Berger, Markus (2009), Kakteen pflegen, Stuttgart: Eugen Ulmer
De Candolle, Augustus Pyramus (1799), Plantarum historia succulentarum, Paris: Garnery
Doetsch, P.W.; Cassady, J.M.; McLaughlin, J.L. (1980), Cactus Alkaloids XL. Identification of Mescaline and other -Phenethylamines in Pereskia, Pereskiopsis and Islaya by Use of Fluorescamine Conjugates, Journal of Chromatography 189: 79-85.
Duke, James A. (2004), Internet Ethnobotany Database, http://www.ars-grin.gov/duke/
Leuenberger, B.E. (1980), Notas Sobre la Distribución de Pereskia lychnidiflora DC., en México, Cact. Suc. Mex. 25: 55-59.
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Leuenberger, B. E. (1987), Pereskia oder Peireskia – eine immer noch umstrittene Frage?, Kakteen u.a. Sukk. 38(4): 96-100.
Leuenberger, B.E. (1987), Evolution and Distribution of Pereskia (Cactaceae), In: Abstracts of the General Lectures, Symposium Papers and Posters presented at the XIV. International Botanical Congress, Berlin, July 24 to August 1 (Hg. W. Greuter, B. Zimmer & H. D. Behnke), Berlin
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Leuenberger, B.E. (1988), Pereskia weberiana K. Schumann, Cactaceae, Kakteen u.a. Sukk. 39 (Karteikarte 1988/1)
Leuenberger, B.E. (1988), Anmerkungen und Beobachtungen zu Pereskia sacharosa Grisebach, Kakteen u.a. Sukk. 39(5): 106-108.
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Miller, Philip (1754), The Gardeners Dictionary, London
Plumier, Charles (1703), Nova Plantarum Americanarum Genera, Paris
Shulgin, A. und A. (1997), TiKAHL – Tryptamines I have known and loved, Berkeley: Transform Press
Tan, M.L.; Sulaiman, S.F.; Najimuddin, N.; Samian, M.R.; Muhammad, T.S.T. (2005), Methanolic extract of Pereskia bleo (Kunth) DC. (Cactaceae) induces apoptosis in breast carcinoma, T47-D cell line, Journal of Ethnopharmacology 96(1-2): 287-294.
[1] Shulgin bezeichnet die von ihm analysierte Pereskia grandifolia ssp. violacea noch als Pereskia tampicana.
hammer, sehr informativer artikel danke markus!
Wie wird das den bei Pereskia bleo dosiert? In den Früchten sind, wenn ich das richtig verstanden hab, keine aktiv Stoffe enthalten. Also nehme ich an, dass diese in den Blättern sind. Aber wie dosiert man das?