Mittwoch, 7. März 2012

Wie gefährlich ist Cannabis?

Ein Kommentar zur Öffentlichen Anhörung im Bundestag

Am 25.1.2012 veranstaltete der Gesundheitsausschuss des Bundestages eine öffentliche Anhörung mit dem Titel “Wie gefährlich ist Cannabis?”. Anlass war ein Antrag der LINKEN zur Einführung von Cannabis Social Clubs in Deutschland. Dieser geht großteils auf eine Petition des Deutschen Hanfverbandes zurück, die von über 31.000 Menschen unterschrieben wurde. Er fordert neben den Anbau-Clubs auch, dass der Besitz von bis zu 30 Gramm Cannabis zum Eigenkonsum keine Straftat mehr sein soll und dass wissenschaftlich nachvollziehbare THC-Grenzwerte für den Straßenverkehr eingeführt werden sollen. All diese Punkte sind auch Forderungen der Cannabispetition.

Mit dabei: Der DHV

Der Deutsche Hanf Verband war bei der Anhörung live mit dabei: Georg Wurth als Sachverständiger und ich auf der Zuschauertribüne, der die Welt via Facebook teilhaben ließ. Das Video der Anhörung sowie ein Fazit von Dr. Nicole Kruemdieck (Schildower Kreis) und Georg sind auf der Seite des DHV zu sehen, ebenso wie unterschiedliche Reaktionen von Organisationen und die Stellungnahmen der Sacherverständigen. Im Folgenden dokumentiere und kommentiere ich die Anhörung im Bundestag.

Von den 37 Mitgliedern des Gesundheitssausschusses waren etwa ein Drittel anwesend, darunter neben den drogenpolitischen Sprechern der Fraktionen auch Jens Spahn (CDU). Dieser hatte sich in der Vergangenheit schon als „harter Hund“ hervorgetan. Beim Druckchecking Antrag veröffentlichte er schon vor jeder Debatte und der Anhörung eine Pressemitteilung „Analyse illegaler Drogen ist und bleibt zu Recht verboten“, in der er dieses Instrument der Schadensminderung verteufelte. Bei der Anhörung machte er zu Beginn klar, dass Cannabis für ihn kein wichtiges Thema ist, er ging auch vor dem Ende (15:25).

Die drogenpolitische Sprecherin der FDP Christine Aschenberg-Dugnus glänzte durch Abwesenheit. Sie wurde vertreten durch Lars Lindemann, zuständig für Krankenhäuser, Rehabilitation und Krankenpflege und ein drogenpolitisch unbeschriebenes Blatt. Drogenbeauftragte Dyckmans war auch da – schweigend. Die Drugcheckinganhörung hatte sie nicht besucht.

Panikmache & Ambivalenz vs. Rationalität

Der in der Fachwelt heftig umstrittene Dr. Thomasius ließ gleich zu Beginn den Blutdruck der Zuschauer in die Höhe schnellen. Er behauptete, Cannabis würde „Entzugssymptome ähnlich wie bei Alkohol und Opiaten“ hervorrufen. Es muss eine grauenvolle Welt sein, in der Thomasius lebt, in der jeder Kiffer nach einem Wochenende ohne Dope mit Muskelkrämpfen und Erbrechen (Heroinentzug) daniederliegt oder wie bei Alkoholikern ein Delirium tremens entwickelt, unbehandelt für jeden Vierten tödlich.
Seine Zahlen von Cannabiskonsumenten in Behandlung und Abhängigkeit sind ebenfalls mit Vorsicht zu genießen. Die Staatsanwältin Binoik, eine mir noch vertraute Blutdrucksteigerin aus der Drugchecking Anhörung, ließ es sich nicht nehmen, auch zur Pharmakologie von Cannabis zu referieren.

Das erste Statement von Hüllingshorst (ehemals DHS) war so ambivalent wie die Fragesteller der SPD: Alkohol sei ebenso oder gefährlicher als Cannabis, aber kulturell integriert. Danach redet er von einer „weiteren Freigabe von Cannabis“ und unterstellte, übertragen auf Alkohol, man wollte diesen stärker, billiger sowie besser und öfter verfügbar machen und dies sollte Probleme lösen. Raphael Gassmann (DHS) stellte in seiner Antwort klar: Natürlich gibt es Probleme mit Cannabis.

Je jünger die Konsumenten und je häufiger ihr Konsum ist, desto größer das Risiko. Die Frage „Wie gefährlich ist Cannabis?“, ist für die DHS nicht entscheidend, sondern wirkt das Gesetz im positiven Sinne, sorgt es für weniger Konsumenten/Konsum?
Diskutiert wurde auch der angeblich gestiegene TH-Gehalt von Cannabis.

Hier gingen die Ansichten auseinander. Interessant ist die Antwort von Dr. Dahlenburg auf eine Frage der FDP. Zum einen verwendete er die wenig konkrete Formulierung zur Steigerung auf „bis zu dem Dreifachen“. Das besagt nur, dass es auch sehr gutes Cannabis gibt, über den Durchschnitt sagt es nichts aus. Zudem beklagte er, dass es „keine Möglichkeit für den Konsumenten gibt zu entscheiden, welche Qualität er raucht“ – ein klares Argument für Drugchecking und ein regulierten Markt.

Worin das Problem mit einem höheren THC Gehalt liegen soll, bleibt im Verlauf der Anhörung unklar, die Steigerung als solche wurde schon allein als Problem dargestellt. Es kann bezweifelt werden, dass die Freunde dieser These Weintrinker ebenfalls als weitaus gefährdeter ansehen als Biertrinker, immerhin ist auch hier der Alkoholgehalt um das Zwei- bis Dreifache erhöht.

Beifall für Dr.Krumdiek

Auf eine Frage von Frank Tempel (LINKE) hatten Dr. Krumdiek und Georg die Gelegenheit unsere Argumente im Bundestag vorzutragen. Auf Krumdieks Ausführungen zum Thema Streckmittel, Blei im Gras, Stigmatisierung von Konsumenten, willkürlichem Führerscheinentzug und der Nichtexistienz eines Jugendschutzes aufgrund des Verbotes brach das Publikum in Beifall aus, den die Vorsitzende als unüblich und damit unerwünscht bezeichnete.

Georg stellt klar: Cannabis ist – entgegen aller gegenteiligen Behauptungen – nicht entkriminalisiert. Es melden sich täglich solche angeblich entkriminalisierten Konsumenten beim ihm. Selbst wenn das Verfahrens nachher eingestellt werde, ist man bis dahin dem vollen Programm polizeilicher Ermittlungen ausgesetzt: Strafanzeige, Meldung an die Führerscheinstelle, Hausdurchsuchungen, Fingerabdrücke und DNS Entnahme. Nach einer „körperlichen Untersuchung“ auf dem Polizeirevier, also nackt ausziehen und Pobacken auseinander ziehen, fühlt sich sicher niemand mehr entkriminalisiert. Konsumenten werden auch leicht zu „Mehrfachtätern“, die mit höheren Strafen rechnen müssen – trotzdem sind es weiterhin nur Konsumenten und nicht krimineller als bei der ersten Strafanzeige.
Das Gleiche gilt für Konsumenten mit mehr als nur einer geringen Menge.

Danach fiel auch Georg aus dem üblichen Rahmen, sprach die Abgeordneten direkt an und fragte sie, ob sie weiterhin für so etwas verantwortlich sein möchten. Er schloss mit einem der heftigsten uns bekannten Fälle: Sieben Pflanzen und ein Taschenmesser brachten einen jungen Mann für fünf Jahre hinter Gitter – obwohl kein Handel nachzuweisen war. Danach fragte Dr. Terpe (Grüne) Gaßmann, ob das Verbot bei der Prävention hilfreich ist und ob es so etwas wie „Komakiffen“ gibt. (siehe HaJo #142 „Eine Meldung mit Folgen“)

Gaßmann präsentierte hierzu den Bericht der Global Commission, dieser stellt fest: Der Krieg gegen Drogen ist gescheitert. Er führt zu vielen Schäden, aber zu keinen positiven Effekten. Aufgrund des Abstinenzdogmas und des Cannabisverbots gibt es laut Gaßmann in Deutschland so gut wie keine Prävention bei Cannabis. In den Niederlanden geben sogar staatliche Stellen Safer Use Hinweise wie man Cannabis konsumieren sollte – wenn man es denn konsumiert.

Thomasius unter Beschuss

Bei mehr als einem Punkt gerieten Gaßmann und Thomasius aneinander, nicht zuletzt bei der Frage, ob das Verbot den Konsum beeinflusst. Gassmann führte eine Studie der Europäische Beobachtungsstelle für Drogen und Drogensucht an. Sie hat europaweit Konsumentenzahlen und Gesetzesänderungen analysiert, das Fazit: Es gibt kein Zusammenhang zwischen nationalen Gesetzen und Zahl der Konsumenten – die Niederlande mit weniger Kiffer als in Deutschland sind da nur ein Beispiel.

Schreibt Thomasius in seiner Stellungnahme „Erstens zeigt die Präventionsforschung, dass verhältnispräventive Maßnahmen, denen auch restriktive Gesetze und Verordnungen zuzuordnen sind, eine hohe Wirksamkeit im Suchtbereich besitzen.“ Die genannten Studien beziehen sich allerdings auf Verschärfungen bei den legalen Drogen Alkohol und Tabak, eine Aussagekraft für Cannabisverbot ist nicht gegeben.

„Ein Zusammenhang zwischen Drogenpolitik, gemessen an den rechtlichen Rahmenbedingungen sowie der Praxis der Strafverfolgung und Verbreitung des Cannabisgebrauchs lässt sich nicht feststellen.” schreibt Prof. Reuband zu diesem Thema. Im Gegensatz zum Psychiater Thomasius ist Reuband Spezialist für empirische Sozialforschung.

„Das BtmG ist kein Jugendschutzgesetz“

Es folgte eine Stilblüte von Karin Maag (CDU): „Sind Cannabis Social Clubs und die Legalisierung von 30 Gramm mit dem Gesetz vereinbar?“
Staatsanwälting Biniok antwortete sehr richtig: Cannabis Social Clubs verstoßen gegen das Gesetz – Wow, deswegen möchten die LINKEN das Gesetz ja geändert und wer wenn nicht der Bundestag sollte dies tun! Bei den Fragen der SPD und den Antworten von Patzak gerieten dann die niederländischen Coffeeshops und die Cannabis Social Clus durcheinander, zwei nur sehr bedingt vergleichbare Modelle.
Gruselig war das Wiederaufleben der „Einstiegsdrogentheorie“.

Thomasius schreibt in seiner Stellungnahme: „Im Antrag wird behauptet, dass sich die Hypothese, Cannabis sei eine Einstiegsdroge, als haltlos herausgestellt habe. Dies ist nicht der Fall.“ und führt in seiner Stellungnahme eine Vielzahl von Korrelationen auf. Aber eine Korrelation ist keine Kausalität! Staatsanwalt Patzak sagte in einem Satz „nicht jeder, der Cannabis konsumiert landet bei härteren Drogen“ aber in seinen 9000 Ermittlungsfällen als Staatsanwaltschaft habe sich gezeigt: Fast jeder mit einer Heroin-, Kokain- oder Amphetaminproblematik hat vorher Cannabis konsumiert. Die gleiche Volksverdummungstaktik…

Das Wissen …

… des Staatsanwalts zu Cannabis Social Clubs und Coffeeshops war anekdotenhaft und beliebig zu interpretieren: Dass beispielsweise ein CSC in Spanien von der Polizei geschlossen wurde, zeigt, dass es auch Probleme geben kann, ebenso zeigte er, dass der Staat weiterhin reagieren kann – nachdem Patzak zuvor noch das Bild eines „rechtsfreien Raumes“ gezeichnet hatte. Gassmann wiederholte, was er schon in seiner Stellungnahme schrieb: „Das müssen wir prüfen, Anekdoten von der Gegenseite sind keine seriöse Grundlage.“

Dr. Terpe befragte Meyer-Thompson zur Gefährlichkeit unterschiedlicher Konsumformen und Dr. Kruemdiek zum THC Gehalt von Cannabisprodukten und bedachte Thomasius mit dem Kommentar, dass es all diese Risiken und Gefahren trotz des Verbotes gäbe. Meyer-Thompson stellt feste: Es gibt natürlich Probleme mit Cannabis, niemand behauptet, Cannabis sei harmlos.

Aber der exzessive Konsum von Kindern mit einem problematischen Hintergrund ist nicht mit dem moderaten Konsum eines Erwachsenen zu vergleichen! Der Antrag der Linken will ja eine Lösung für moderat konsumierende Erwachsene. Für Menschen mit Problemen und Kinder brauchen wir andere Lösungen. Die Juristin Krumdiek betonte, dass das Strafrecht die Ultima Ratio darstellen sollte und dass das BtmG kein Jugendschutzgesetz ist. In keinem anderen Bereich würde der Staat, um Kinder und Jugendliche zu schützen, etwas der gesamten Bevölkerung verbieten. Ein massiver Anstieg im THC Gehalt gibt es laut BKA seit 1998 nicht mehr. Wenn man den unkontrollierten THC Gehalt für unerwünscht hält, muss man sich klar sein, dass dies eine Folge des Verbotes ist und nicht als Begründung dienen kann, alles zu lassen, wie es ist. Die LINKE hakte bei Krumdiek nach, ob Cannabis eine Einstiegsdroge sei, dies konnte sie klar verneinen, schon das Bundesverfassungsgericht 1994 glaubte nicht daran.

Die letzte Antwortmöglichkeit hatte Georg, der beim Thema Führerschein beschrieb, dass hier massenweise Menschen kriminalisiert und bestraft werden, die nicht berauscht gefahren sind.

Fazit

Im Verlauf der Anhörung wurde klar, dass Regierung und Opposition weitgehend aneinander vorbei redeten und argumentierten. Für die Zukunft kann man daraus die Lehre ziehen und so die Gegner einer liberalen Cannabispolitik zwingen, auf folgende drei Punkte einzugehen:

Wir haben ein Problem mit jungen Kiffern – trotz Verbot. Der “Cannabis Social Clubs” Vorschlag der LINKEN – wie Hans-Günther Meyer-Thompson (Deutsche Gesellschaft für Suchtmedizin) sehr richtig angemerkt hat – ist aber ein Konzept für Erwachsene. Für diese sind die Strafverfolgung und die negativen Auswirkungen des Schwarzmarktes das Hauptproblem. Keiner der Vorschläge der LINKEN, Grünen oder des DHV zielt darauf ab, Kindern den Zugang zu Cannabis zu erleichtern. Ganz im Gegenteil. Was spricht also dagegen, Cannabis zu legalisieren, um den Markt für Erwachsene zu regulieren? Deswegen ist dies auch Titel und Inhalts des DHV-Vorschlags für den Zukunftsdialog von Merkel.

Es geht nicht darum “Wie gefährlich ist Cannabis?”, sondern “Bringt das Verbot irgendwelche Vorteile?”
Darauf wies Raphael Gaßmann (Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen) hin. Natürlich kann Cannabis auch schädlich sein und 13 jährige sollten nicht täglich 1 Gramm wegrauchen. Das ist nicht die Frage. Gaßmann ist jedoch der Ansicht, es bringt NUR Nachteile und keinerlei Vorteile. Ob Dyckmans welche nennen kann?

Der nicht kontrollierte THC Gehalt ist eine Folge des Verbots und kann deswegen nicht als Begründung für das Selbige genommen werden – Nicole Krumdiek (Schildower Kreis) wies hierauf hin. Der logische Fehler, dass Folgen des Verbotes als Begründung für das Selbige herangezogen werden, wurde mehrfach gemacht.

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