Dope und Depressionen
Prohibitionisten können auf eine lange Geschichte zurückblicken, das Leid anderer zu nutzen, um die eigene Drogenagenda zu manifestieren.
Beispiel gefällig? Mitglieder des Kongresses in den USA haben in den 1980er Jahren den Tod des Basketballstars Lan Bias an einer Überdosis dazu genutzt, legislative Änderungen durchzusetzen, welche sporadische Drogentests bei Angestellten im Öffentlichen Dienst erlaubten, das Büro des Drogenzars entstehen und minimale Drogenvergehen zu Haftstrafen führen ließen.
Somit war es wenig überraschend, Anti-Drogen-Zeloten auf den altbewährten Zug aufzuspringen zu sehen, nachdem im vergangenen Januar die Kongressabgeordnete Gabrielle Gifford attackiert wurde und 18 weitere Menschen in die Schießerei gerieten. Nur wenige Stunden nach der Festnahme des Täters, Jared Lee Loughner, schrien die ersten rechten Stimmen, dass der 22 jährige ehemalige Potraucher eindeutig durch den Marihuanakonsum verrückt geworden sei.
Weiteres Beispiel
Nicht einmal 24 Stunden nach dem Attentat fragte der ehemalige Redenschreiber von George W. Bush, David Frum, wörtlich: „Hat Pot die Giffords Attacke ausgelöst?“.
Worauf ein langjähriger konservativer Kommentator antwortete „Ja, da scheinen sich die Experten sicher zu sein, mit wachsender Mehrheit“. Frum´s Beschuldigungen schienen an Glaubwürdigkeit zu gewinnen, als einen Monat später die Mainstream Medien einen Bericht der „Archives of Generals Psychiatry“ unterstrichen, der die Zusammenhänge zwischen Marihuana und Psychosen eindeutig verknüpfen und aufzeigen könne. „Es wird immer eindeutiger klar, dass Marihuana ein Grund für Schizophrenie ist“, so der leitende Forscher, Matthew Large, vom Prince of Wales Hospital, New South Wales, Australien im Februar auf der medizinischen Internetseite WebMD.com. In anderen Interviews sagte er dazu, wie beängstigend er die Vorschläge fände, die Pflanze legalisieren und staatlich regulieren zu lassen. Ebenso führte er als Argument hinzu, dass Schizophrenie, die durch Cannabis verursacht werde, früher begänne als die durch andere Ursachen hervorgerufene Schizophrenie.
Oder etwa doch nicht?
Fakt ist, dass die eigentlich „neue“ Studie überhaupt keine neuen Ergebnisse vorweisen kann. Large und sein Team haben lediglich vorausgegangene, veröffentlichte Studien rekapituliert und studiert – viele von ihnen mehrere Dekaden alt.
„Es gibt keine neuen Fakten. Ich möchte das betonen. Dies ist eine Meta-Analyse, was nur bedeutet, dass die Ergebnisse der Studien schon längst erhältlich waren“, wird von Mitch Earlywine, einem Psychologie Professor der Suny Albany University und Autor von Understanding Marijuana: A New Look at the Scientific Evidence (Marihuana verstehen: Ein neuer Blick auf wissenschaftliche Beweise), ein paar Tage nach der Veröffentlichung der Australischen Studie auf dem NORML Audio Stash erklärt.
„Was ihr in den Medien nicht hört, ist die Möglichkeit, dass sich die jungen Nutzer von Cannabis auch selber medikamentieren könnten.“
Es gibt einige veröffentlichte Berichte, die Earleywine´s Vermutung stützen. 2005 wurde im Addiction Magazin von einer Studie mit 1500 Teilnehmern berichtet, welche aussagte, dass die Entwicklung psychotischer Symptome, bei denen, die nie zuvor Cannabis konsumierten, bevor diese Symptome auftraten, schon den kommenden Konsum der Pflanze voraus sagten.
Andere Studien stärken Earleywin´s „Selbst-Medikation“-Theorie ebenso. Darunter ist eine Untersuchung von 2008, die im International Journal of Mental Health Nursing veröffentlicht wurde. In dieser heißt es, dass der Gebrauch von Cannabis die Angst bei Schizophrenen nach eigenen Aussagen reduzieren könne und ihren mentalen Zustand stärke.
Marihuana wird dazu mit weiteren klinisch objektiven Vorteilen bei manchen Schizophrenien in Verbindung gebracht. Kürzlich, 2010, wurde im Shizophrenia Research Journal davon berichtet, dass Patienten, die eine Vergangenheit mit Cannabis hätten, höhere kognitive Leistungen aufwiesen als Nicht-Konsumenten. Forscher, die an der Studie beteiligt waren, schlossen daraus, dass Cannabisgebrauch bei Patienten mit Schizophrenie zu besserer Verarbeitung von schnellen Eindrücken und erhöhten verbalen Fähigkeiten führen könne. Diese Daten stimmen mit früheren Berichten überein, die auch schon davon sprachen, dass Schizophrenie Patienten mit Cannabisvergangenheit weniger starke kognitive Defizite aufweisen würden als Patienten ohne komorbiden Cannabisgebrauch.
Stand 2011
Eine 2011 veröffentlichte Meta-Analyse, die es online im Shizophrenia Research Journal zu lesen gibt, bestätigt ebenso, dass Schizophrene mit Marihuanamedikation im Vergleich zu Nicht-Konsumenten eine übermäßige neuro-kognitive Leistung erbringen.
Forscher der Universität von Toronto, des Institute of Medical Sciences, untersuchten rückwirkend acht verschiedene Studien, die die Auswirkungen von Marihuana Konsum auf kognitive, ausführende Funktionen, Lernen und Gedächtnisleistung bei Schizophrenen aufzeigten.
Man kam zu dem Schluss, dass alle Ergebnisse nach den angewandten Messungen darauf hin deuteten, dass die kognitiven Fähigkeiten bei Cannabis konsumierenden Schizophrenie Patienten im Vergleich zu denen der Nicht-Nutzer weitaus überlegen seien.
Es ging dennoch recht schnell, dass die positiven Effekte des Cannabiskonsums nicht auf dessen Wirkungen zurückgeführt, sondern Hypothesen aufgestellt wurden, die besagten, dass Schizophrene mit höheren kognitiven Eigenschaften möglicherweise leichter zum Joint greifen könnten als die Kranken mit schwächeren Eigenschaften.
Es sei schwierig herauszufinden, ob das Cannabis selber die Veränderung in den neuro-psychologischen Funktionen hervorrufen würde oder ob drogenkonsumierende Patienten eine Untergruppe in der schizophrenen Bevölkerung darstellen, die mit einer besseren neuro-kognitiven Leistung glänzten, hieß es.
Nichtsdestotrotz wurde abschließend beschlossen, dass es nachvollziehbar wäre, zu vermuten, dass Cannabis nur einen mäßigen Effekt auf die neurokognitiven Funktionen bei Schizophrenie biete.
Andere medizinische Literatur lässt Large´s Meinung jedoch ebenso an der Behauptung zweifeln, Marihuana würde mentale Krankheitsbilder in ihrer Entwicklung beschleunigen.
In einer im letzten Jahr veröffentlichten Studie hat ein Team von Wissenschaftlern, die teilweise auch zum Albert Einstein College of Medincine der Yale Universität und dem National Institute of Mental Health angehörten, die Frage erörtert, ob lebenslanger Marihuanakonsum mit frühem, im Kindesalter auftretenden Symptomen bei Schizophrenie Patienten in Verbindung gebracht werden könne. Man kam zu dem Schluss, dass auch wenn Cannabisgebrauch bei Beginn des Ausbruchs der Krankheit der Patienten vorausging, es keine signifikanten Verbindungen zwischen der Krankheit und dem Cannabisgebrauch gäbe, der nicht auch auf demographische und klinische Variablen angerechnet werden könne.
Die Forscher kritisierten dazu die Ergebnisse vorausgegangener, veröffentlichter Forschungen, die behaupteten einen Auslöser, einen sogenannten “Pot Trigger”, für mentale Krankheitsbilder gefunden zu haben. “Vorausgegangene Studien implizieren, dass Cannabisgebrauch bei Schizophrenie möglicherweise mehr und flächendeckende Abschätzungen nötig mache, die den Zusammenhang zwischen Cannabismissbrauchsstörungen und Schizophrenie aufzeigen könnten.”
Im Gegensatz zu Earleywine teilten diese Forscher nicht die Meinung, dass viele Schizophrenie Patienten sich mit Marihuana selber medikamentieren würden. “Wir fanden heraus, dass ungefähr die Hälfte unserer Teilnehmer mit dem Gebrauch von Cannabis aufhörten, als sich ihre Symptome verschlechterten.” sagte Dr. Serge Sevy des Zucker Hillside Hospitals, der die Studie leitete. “Leider beinhaltete unserer Studie aber nicht die Frage an unsere Patienten, weshalb sie sich zum aufhören entschieden. Ich kann somit keine Anzahl nennen, wer aufgrund der Angst vor Verschlechterung seines Befindens oder wer aufgrund der tatsächlichen Verschlechterung seiner Krankheit nicht mehr auf Marihuana zurückgriff.”
Für Large gilt dennoch, dass Marihuanakonsum im jugendlichen Alter eine Ursache für Schizophrenie ist.
Aus Expertensicht
Die meisten Experten auf diesem Gebiet sehen das jedoch anders und widersprechen ihm. Ebenso die meisten wissenschaftlichen Untersuchungen zu diesem Thema.
Autoren einer im Shizophrenia Research Magazin im Jahr 2009 veröffentlichten Studie sagen definitiv aus, dass der steigende Cannabiskonsum in der Bevölkerung nicht zu einer proportional angestiegenen Anzahl von Schizophrenie und psychotischen Erkrankungen geführt habe.
Forscher der Keele University Medical School aus England verglichen dazu Trends im Marihuanakonsum und Anzeichen von auftretender Schizophrenie im Vereinigten Königreich zwischen den Jahren 1996 und 2005. Die Wissenschaftler kamen anschließend zu der Aussage, “… dass die Anzeichen und die Häufigkeit von Schizophrenie in England entweder stabil sei oder gar zurückgehe …”, obwohl in diesem Zeitraum der Cannabiskonsum in der Bevölkerung zunahm.
“Der erwartete Anstieg der diagnostizierten Schizophrenie und Psychosen trat in einem überprüften Zeitraum von zehn Jahren nicht auf”, war die Schlussfolgerung der Forscher. “Diese Studie unterstützt daher nicht den spezifischen Verknüpfungsversuch von Cannabisgebrauch und dessen auslösendes Potential für psychische Störungen. … Dies deckt sich mit der Aussage anderer Berichte, die keine Steigerung von psychotischen Krankheiten trotz des gestiegenen Anteils von Cannabisgebrauch in der Bevölkerung aufzeigen.”
Im April haben Forscher des Universtiy Hospital of Child and Adolescent Psychiatry aus Bern in der Schweiz ebenso klinische Versuchsdaten veröffentlicht, die da hinführen, dass Cannabis so gut wie keine Rolle bei dem frühen Ausbruch von Psychosen junger Patienten hat. Die Forscher wiesen auf die Unterschiede im Alter beim Ausbruch der Psychosen unter den 625 Patienten hin, die von Early Prevention and Intervention Centre in Melbourne, Australien, anerkannt waren. Man berichtete, dass, nur Cannabiskonsum, der im Alter von 14 Jahren beginne, mit einem jüngeren Alter beim Ausbruch der Psychose und nur mit minimalen Auswirkungen in Verbindung gebracht werden könne. Insgesamt betrachtet zeige das Alter beim Ausbruch der Patienten mit erstmaligen Psychosen “keine signifikanten Unterschiede” zwischen denen, die Cannabis konsumierten und denen, die dies nicht täten.
Diese Ergebnisse überraschen Dr. Julie Holland nicht wirklich. Sie ist klinischer Professor Assistent für Psychatrie an der New York School for Medicine und Autorin von The Pot Book: A Complete Guide to Cannabis – It´s Role in Medicine, Politics, Science and Culture. Sie sagt, dass niemand wisse, was Schizophrenie letztendlich wirklich auslöse und Wissenschaftler seit Jahrzehnten nach Ursachen suchen. Die beste Erklärung sei ein “Stress Diathesis” Modell, bei dem Menschen eine genetische Tendenz zur Schizophrenie hätten, dessen Auftreten durch einen Auslöser gestartet werden könne. Solange man diese Gene aber nicht habe, könne man die Krankheit nicht bekommen. Cannabis ändere nichts an der genetischen Prädisposition.
Vorsichtige Warnung
Julie Holland warnt die Leute zwar, die eine Prädisposition zur Schizophrenie haben, da diese eine stärkere psychotische Reaktion auf Cannabis aufzeigen könnten, jedoch sei dies etwas völlig anderes als die Idee, dass Cannabis Schizophrenie verursachen könne, was schlicht und ergreifend falsch sei. Um der Ernsthaftigkeit der potentiellen psychotischen Symptome gerecht zu werden, fügt Holland dazu an, dass, wenn die Droge aufhöre zu wirken, auch ihr verursachter Effekt verschwinde. Es gäbe keine andauernde Psychose hervorgerufen durch Marihuana, so Holland.
Der pensionierte Professor für Psychatrie Dr. Lester Grinspoon, der an der Harvard Mecial School engagiert war, hat an Zusammenhängen zwischen Cannabis und Schizophrenie über 40 Jahre lang geforscht und dazu zwei Bücher verfasst: Shizophrenia: Psychopharmacology and Psychotherapy sowie Marihuana The Forbidden Medicine. Seine Expertenmeinung entspricht in weiten Aspekten den Ansichten von Dr. Holland und Earleywine.
“Schizophrenie ist größtenteils eine genetisch bedingte Störung. Wie dem auch sei, nicht alle Menschen, die diese Genome aufweisen, werden von der Störung betroffen. Deshalb suchen wir nach den übrigen Variablen, die beteiligt seien müssen, hatten dabei aber bisher leider wenig Erfolg”, sagt Grinspoon.
“Seit kurzem sehen wir immer häufiger Publikationen, die mit dem Finger auf Cannabis als Ursache zeigen. Da meine Arbeit mit Schizophrenie in den 1960er Jahren begann, als Marihuana das erste Mal als im Gebrauch steigendes Genussmittel bei jungen Leuten beobachtet wurde, habe ich immer vorsichtig die Möglichkeit in meine Forschungen implementiert, dass der Patient in seinem Leben vorausgegangen schon mal Marihuana konsumiert haben könne. Ich kann nicht sagen, wie viele Patienten dies betraf, doch die Zahlen lagen offensichtlich in den Hunderten und nicht einmal ich konnte einen kausalen Zusammenhang zwischen Krankheit und Konsum herausfinden“, so Grinspoon weiter. “Der Gebrauch, zumindest in manchen Fällen, wirkte eher wie ein Versuch den eigenen inneren, nicht aushaltbaren Zustand zu verändern, ebenso wie es schizophrene Patienten oft mit Alkohol und Tabak versuchen.”
Fazit
Final sei hier anzumerken, dass, selbst wenn einmal ein eindeutiger Zusammenhang zwischen Cannabis und mentalen Krankheitsbildern geschaffen werden könne, diese Entdeckung nicht viel dazu beitragen würde die Prohibition von Hanfsubstanzen zu unterstützen. Die politischen Folgerungen einer solchen Feststellung sollte wohl eher das Gegenteil bewirken müssen.
Gesundheitsrisiken, die mit Drogenkonsum in Verbindung gebracht werden, falls wissenschaftlich belegt, können nicht als legitimer Grund für die Prohibition missbraucht werden, sondern dienen als Argument für eine legale Regulierung. Schließlich gibt es eine Menge maßgeblicher Gesundheitsrisiken durch Alkoholkonsum, weswegen das Produkt legal reguliert und geprüft wird und dessen Konsum auf spezielle Altersgruppen und weitere rechtliche Voraussetzungen beschränkt ist. Das gleiche müsse für Cannabis gelten. Falls es legitime Gesundheitsrisiken beim Cannabisgebrauch für gewisse Personen gäbe, wäre ein reguliertes System das Beste, um sie zu schützen, aufzuklären und ihnen vom Gebrauch abzuraten.
In diesem Kontext haben die angstschürenden Aussagen der Anti-Drogenkrieger im Bezug auf Marihuana und mentale Gesundheit wenig Potential die Prohibition weiter zu festigen, sie bieten dagegen ein üppiges Arsenal an Munition zum Kampf für dessen Beendigung.
Paul Armentano ist der Deputy Director von NORML (National Organization for the Reform of Marihuana Laws) und ist der Co-Autor des Buches Marihuana Is Safer: So Why Are We Driving People to Drink (2009, Chelsea Green).