Samstag, 9. Oktober 2004

NRWs erste Drugwipe-Statistik

Ein Schritt vor . . . und zwei zurück für die deutsche Drogenpolitik

Wie weit repressiveTechnologien und exekutive Exzesse voranschreiten können, wird in diesem Blattezu Hauf exerziert. Es gehört schon beinahe zur traurigen Tradition des HanfJournals sich diesen Schwerpunkten zu widmen, denn ein Ende scheint nicht inSicht. Da die massenmedialen Kanäle voll von Meldungen sind, die einerRichtigstellung oder zumindest einer Anti-Meldung bedürfen, wird der Leser imfolgenden Artikel wieder mit dem Thema Drugwipe behelligt. Doch dieses Mal gibtes eine Premiere: die erste Statistik ist im Umlauf, Konsequenzen inklusive.

 

 

Zur Erninnerung der alten und zur Aufklarungder neuen Leser:

 

Beim „Drugwipe“ handelt es sich um eine ArtDrogenschnelltest. Als hinreichende Voraussetzung genügt den Polizisteneinwenig Speichel oder Schweiß. Dabei ist ein Anfangsverdacht nichtzwingend notwendig. Die Beamten feuchten die Teststreifen mit Wasseran und wischen sie meist über die Stirn und bzw. oder unter dieAchselhöhlendes verdächtigten Autofahrers. Nach kürzester Zeit ist das Ergebnisscheinbar klar. Keine Verfärbung bedeutet keine Drogen. Meinen dieBeamten einen Ausschlag auf dem Indikatorstreifen zu erkennen, so wirdderAutofahrer, je nachdem, welches Feld des Streifens rot anläuft, alsHeroin-,Benzodiazepin-, Kokain-, Ecstasy-/Amphetamin- oder Haschisch-Konsumentgebrandmarkt. Eine Blutuntersuchung folgt und leitet eventuell eineFahrtauglichkeitsprüfung ein (MPU).

 

Doch ist der Test inmindestens drei Kritikpunkten zweifelhaft. Erstens stigmatisiert der Test sogarjene zu Heroin-Konsumenten, die gerne mal an Mohnbrötchen verköstigen. Denn beide Substanzen schlagengleichermassen auf dem Indikatorstreifen aus. Zweitens soll der Test bei höheren Temperaturen (laut Angaben derherstellenden Firma ab ca. 25 Grad Celsius) an Genauigkeit seiner Aussagekrafteinbüssen. Das scheintseine Anwender in der Praxis jedoch herzlichst wenig zu interessieren. Und drittens behauptet der Hersteller ebenfalls,dass der Test mindestens zwölf Stunden, nachdem letzten Cannabis-Konsum keinenAusschlag mehr auf dem jeweiligem Feld anzeigt. In mindestens einem Fall giltdiese Garantie jedoch als widerlegt.

 

 

Drugwipe in den Niederlanden und NRW

 

Vielleicht hat unserNachbarstaat, die Niederlande, gerade deshalb den Drugwipe nicht in seinepolizeiliche Alltagspraxis eingeführt. Das Signifikanz-Niveau, das heißt derStandard der Fehlertoleranz, scheint dort auf einem anderen Level zu liegen alsin Deutschland. Hier zu Lande ist es eine ehrenhafte Tugend tolerant zu sein.Zumindest was das Signifikanz-Niveau von Schweißtests angeht. Vielleicht willunser westlicher Nachbarstaat aber auch einfach nur seinen treuen Staatsdienernunnötigen bürokratischen Aufwand ersparen und seine finanziellen undpersonellen Ressourcen nicht unnötig schröpfen.

 

Sei’s drum.Nordrhein-Westfalens Innenminister Dr. Fritz Behrens sieht das allemalanders. Der ist nämlich folgender Meinung: „Der Test ist sehr genau.Auch länger zurückliegender Drogen-Konsum, dessen Wirkung noch anhält,lässtsich noch zuverlässig nachweisen.“ Da bleibt einigen Autofahrern, diesich dochmal gerne in ihrer Freizeit zu berauschen suchen sollten, nur die WahlzwischenPilzen, LSD oder Alkohol. Denn Halozinogene und Branntweine werden beimDrugwipe-Vortest nicht berücksichtigt, sondern erst, wenn überhauptbeimBluttest oder beim „Blasen“.

 

 

Wie sieht es mit Drugwipe in der statistischenPraxis aus?

 

Zu Anfang diesen Jahreshaben sämtliche Polizeidienststellen von oberster Ebene die Order bekommen, denDrugwipe-Schweißtest ein komplettes Jahr lang auf seine Effektivität hin zutesten. Dieser Freude durften nicht nur „normale“ Verkehrsteilnehmer und jugendlicheCampingaktivisten, z. B. Festivalbesucher zuteil werden. Sondern vor allem, soist zumindest einigen Äußerungen ranghöherer Beamter zu entnehmen, glaubt manden Beamten auf der Straße mit dem Drugwipe einen pragmatischen Dienst zuerweisen. Natürlich sind viele Beamte nun frohen Mutes, wie man einigen ironischenAussagen vor Ort entnehmen konnte. Was kann es auch Schöneres geben, als daskomplette Wochenende vor den Toren eines Festivals zu verbringen, anstattdahinter zu gehen und selber mit zu feiern? Na, das ist doch ganz klar: Arbeiten. Und zwarArbeiten im Dienste des Staates und der Statistik. Die ersten Zahlen kommendirekt aus NRW, wo der Test bereits seit Mitte 2003 in Einsatz ist.

 

Laut Mitteilung desnordrhein-westfälischen Innenministeriums sind die Kontrollen mit den neuenTests als erfolgreich zu bewerten. So ließ man es vor knapp einem Monat am 5.August aus Düsseldorf verlauten. Im Zeitraum von Januar bis Juni 2004 stelltendie hiesigen Beamten 2.964 Drogensünder fest, die sich zum Zeitpunkt ihresRausches am Steuer befanden. Verglichen mit den Zahlen aus dem selben Zeitraumdes Vorjahres ist dies ein Anstieg von 76 Prozent. Zu bedenken ist dabeiallerdings die Relativität des Rausch-Begriffs. Die Zahl der Verkehrsunfälle,bei denen Drogen im Spiel waren, habe sich um 38 Prozent auf insgesamt 356Unfalle pro Jahr erhöht. Mehrgibt das Ministerium aus seinem Newsletter nicht her, nur diese vorgefertigtenZahlenhappen.

 

 

Die Konsequenzen fürRepression und Prävention

 

„Mit Drugwipe will diePolizei diese alarmierende Entwicklung stoppen. Uneinsichtige werden schnelleraus dem Verkehr gezogen“, erklärte NRW-Innenminister Behrens. Leider vergisstoder verwechselt er möglicherweise sogar absichtlich Ursache mit Wirkung. Denn die Zahlen, die dieseEntwicklung beschreiben, entstehen doch erst durch die Anwendung des Drugwipes.Der Minister kündigte verstärktePolizeikontrollen an, die wahrscheinlich, welch Überraschung, noch mehrDrogensünder hinterm Steuer detektieren werden. Doch diese Detektion alleineändert nichts. So weitist man dann doch schon.

Deshalbwerde die Polizei zugleich, so Behrens, ihre gezielte Aufklärungsarbeitintensivieren. Die Verkehrssicherheitsberater informieren unter anderem inSchulen, Betrieben und Vereinen über die Gefahren des Drogenkonsums imStraßenverkehr. Löblich, da diePrävention in diesem Kontext noch überhaupt nicht zu Worte gekommen ist. Dochbleibt die Frage offen, in welchem Verhältnis sich die Ökonomie zwischenRepression und Prävention bewegt. Nur mal am Rande: Der Krieg und Totalitätwaren und werden immer bewährte Katalysatoren diverser Diktaturen undHerrschaftssysteme sein.

 

„Drogenkonsum ist geradebei jungen Fahrern ein großes Risiko“, hob der Minister hervor. Laut jüngsten Umfragen sei derAnteil der 18- bis 24-Jährigen im Westen Deutschlands, die schon einmalCannabis genommen haben, in den letzten vier Jahren von 24 auf 38 Prozentangestiegen. „Durch die neuenDrogen-Vortests wird der Verdacht des Rauschgiftkonsums an Ort und Stelleerhärtet. Ist der Test positiv, muss der Fahrer anschließend zur Blutentnahme“,erläuterte Behrens. Den Ertappten drohen empfindliche Strafen: 250 bis 750 EuroGeldbuße, ein bis drei Monate Führerscheinentzug und bis zu vier Punkte imFlensburger Verkehrssünder-Register sind drin. Stellt die PolizeiAusfallerscheinungen wie Schlangenlinien-Fahren fest, ist das eine Straftat. Der Führerschein ist dann fürlängere Zeit weg. Weitere Sanktionen drohen anhand von Geldstrafen oder sogarHaftstrafen.

 

Noch ein Knüller ausSeed-West: Laut Gerichtsbeschluss des Oberverwaltungsgerichts in Stuttgart istein Führerscheinentzug selbst dann zulässig, wenn die betreffende Person nichtaktiv am Kiffen ist. Für einen Entzug der Fahrerlaubnis kann bereits genügen,sich bewusst in einem Raum aufzuhalten, in dem Marijuana und Cannabiskonsumiert wird.

 

 

Es lebe Big Brother! Es lebedie Kriminalisierung und Stigmatisierung Drogen konsumierender deutscherBurger!

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