Dienstag, 9. März 2010

“Hanf hält mich seit 20 Jahren am Leben”

Pragmatismus oder Behördenkrieg? – Jeder Patient geht seinen eigenen Weg

Wir sind wieder mal zu Besuch bei Andreas. Unser letzter Besuch liegt bereits drei Jahre zurück (Hanf Journal 11/2006 “Natürlich breche ich nicht gleich zusammen” ), seitdem hat sich an der Rechtslage theoretisch einiges geändert, der Bezug von Cannabis-Blüten ist Patienten wie Andreas mit einigem Aufwand mittlerweile sogar möglich. Andreas ist seit 1990 HIV positiv und lindert die Symptome seiner Krankheit mit selbst gezüchteten Cannabis-Blüten. Wir wollten vom ihm wissen, was sich an seiner Situation seit unserem letzten Besuch geändert hat.

Ha Jo: Hallo Andreas
Andreas: Hi Ha Jo

Ha Jo: Unsere erste Frage an Dich, wie geht es Dir heute?
Andreas: Gut, ich habe ja auch schon meine Medikamente eingenommen.

Ha Jo: Wie sehen die aus?
Andreas: Noch genau wie bei unserem letzten Gespräch. Jeden Morgen eine ganze Hand voll antiviraler Pillen und, auch auf Anraten meines Arztes, Cannabis im Verdampfer.

HaJo: Wogegen hilft dir Cannabis konkret?
Andreas: Immer noch wie seit 20 Jahren zuerst einmal gegen meine Magenprobleme, die aufgrund der starken Medikamente auftreten und gegen die damit im Zusammenhang stehende Appetitlosigkeit.

Ha Jo: Was würdest Du ohne Hanf machen?
Andreas: Natürlich haut es mich nicht sofort um, das ist eher ein schleichender Prozess. Mein Magen verträgt die AIDS Medikamente schlecht, ich habe dann keinen Hunger. Klar geht das mal ein, zwei Tage oder auch eine Woche, aber dann fängt es halt an, sich negativ auf mein Gewicht auszuwirken. Manchmal musste ich dann auch mal ’nen ganzen Tag lang kotzen. Und wenn das dann soweit ist, geht es mir natürlich auch psychisch schlecht. Nicht zu unterschätzen ist auch die stimmungsaufhellende Wirkung, da körperliche Schmerzen und Leiden mit Sicherheit nicht nur mir aufs Gemüt schlagen.
Im großen Ganzen geht es mir nach wie vor gut, ich arbeite nebenbei nach wie vor ein wenig.Von Zeit zu Zeit muss der Arzt meine Medikation umstellen, dann brauche ich immer ein wenig mehr Gras, weil es meinem Magen dann schlechter geht als sonst. Aber im Prinzip habe ich in den vergangenen Jahren sogar drei Kilo zugenommen, was bei meiner Krankheit ja von immenser Bedeutung ist. Blicke ich auf die vergangenen 20 Jahre zurück, kann ich bedenkenlos sagen: „Hanf hält mich am Leben.“

Ha Jo: Freut uns, das zu hören. Konntest du dein Medikament mittlerweile “legalisieren?”
Andreas: Ne, ich habe es bis heute nicht versucht. Zwischendurch war ich kurz davor, aber das Problem ist mein Arzt. Wir haben seit 20 Jahren ein prima Verhältnis und obwohl der genau Bescheid weiß, scheut er sich, mir ein Dronabinol-Rezept zu geben. Zu viel Aufwand, Rechtfertigung gegenüber der Kasse und so weiter: “Machen Sie doch weiter wie bisher, Herr X. Wenn ich Ihnen so ein Rezept ausstelle, übernimmt es die Kasse sowieso nicht und wir haben beide einen Papierkrieg am Hals. Sie sagen ja selbst, dass synthetisches THC bei Ihnen auch nicht den gewünschten Effekt erzielt.“
Ha Jo: Woher weißt Du, wie Dronabinol wirkt?
Andreas: Ich hatte mir nämlich einmal Dronabinol “von ’nem Kumpel” besorgt, zum Ausprobieren. Ich war vor allen Dingen aufgrund der Zeit verzögernden Wirkung nicht besonders zufrieden. Ich müsste also den Arzt wechseln, zu dem ich seit Jahren Vertrauen habe, um vielleicht ein Rezept zu bekommen, aufgrund dessen ich ganz vielleicht einmal Gras aus der Apotheke für 16 €/Gramm erhalte. Ich weiß nicht, ob man das eine erfolgsversprechende Aussicht nennen kann.

Ha Jo: Also hältst Du Dich nach wie vor bedeckt?
Andreas: Ich habe sogar kurzfristig mit dem Gedanken gespielt, den Arzt zu wechseln, obwohl ich mit Ausnahme des THC Rezepts wenig Gründe hätte. Ich dachte, eventuell eine Ausnahmegenehmigung zum Eigenanbau erhalten zu können. Aber als ich dann bei euch gelesen hatte, was für Auflagen die Bundesopiumstelle hierfür stellt, habe ich mir das ganz schnell aus dem Kopf geschlagen. Mit 450 Euro im Monat kann ich nicht mal meine Wohnung für 20.000-30.000 Euro umbauen, um unnötige Auflagen für meine sowieso jetzt schon sichere Growkammer zu erfüllen. Die ist sicherer als notwendig, kein Unbefugter käme da je rein. Kosten 1500 Euro. Das nenne ich überschaubar.

Ha Jo: Womit wir bei unserer nächsten Frage wären: Du growst also nach wie vor. Darf man fragen, was zur Zeit im stillen Kämmerlein steht?
Andreas: Ich halte es nach wie vor einfach und unkompliziert, allerdings habe ich ein wenig aufgerüstet: Ich habe meine 1,5 m² große 600 Watt Kammer “Marke Eigenbau” noch mit einem Klima- Controller ausgestattet. Außerdem sammle ich Regenwasser, weil ich gemerkt habe, dass es einfach bessere Erträge gibt. Der Rest ist einfach auf Bio-Erde mit ein wenig Bio-Dünger. Zur Zeit teste ich gerade das Super Lemon Haze, für die Samen bin ich extra nach Österreich gefahren. Ich ernte zwei Mal im Jahr, meist im Winter und im Herbst, da es in meiner Wohnung von April bis September ziemlich warm wird. Bei meinem Verbrauch von durchschnittlich zwei Gramm am Tag komme ich dann über‘s Jahr sogar ein wenig über meinen Eigenbedarf. Das sind so ungefähr 600 Gramm im Jahr, und wenn ich etwas übrig habe, verschenke ich es an andere aus meiner HIV-Selbsthilfegruppe.

Ha Jo: Herrscht da Bedarf ?
Andreas: Und ob. Wenn ich wollte, könnte ich da das große Geschäft machen. Die meisten meiner Mit-Patienten nutzen Cannabis zur Appetitsteigerung, keiner hier hat ein Rezept. Anzubauen traut sich kaum einer und die meisten holen sich räudige Hecke oder verseuchte Buds. Mit Glück beim Dealer des Vertrauens, meist aber auf der Straße. Denn auch der Dealer des Vertrauens ist nicht mehr das, was er mal war.

Ha Jo: Stichwort Brix.
Andreas: Das meine ich. Selbst in privater Runde ist heute niemand mehr sicher vor gestrecktem Cannabis. Für Menschen, die Hanf als Medizin brauchen, ist das eine unhaltbar bescheidene Situation. In den Niederlanden, Spanien oder den USA hätte ich schon längst ein Rezept, hier bin ich im Zweifelsfalle als Dealer vor Gericht, weil ich durch die Vorratshaltung meiner Medizin eine “Nicht Geringe Menge” besitze.

Ha Jo: Was wünschst Du Dir für die nahe Zukunft?
Andreas: Ich möchte, dass sich die Situation dahingehend verbessert, dass ich als Patient wirklich frei wählen kann, ob ich synthetisiertes oder natürliches Cannabis nutzen möchte. Dabei sollte bei beiden Alternativen ein hoher Qualitätsstandart vorhanden sein. Untragbare Kosten für den Patienten dürfen gar nicht erst entstehen. So lange es keine kostengünstige und gleichwertige Alternative zum natürlichen Cannabis-Kraut gibt, muss jeder Patient die Möglichkeit erhalten, sich im angemessenen Rahmen selbst zu versorgen. Als Maßstab für eine Sicherung vor dem unbefugten Zugang Dritter dürfen bei Cannabis keine Phantasie-Kriterien, sondern erfüllbare. arzneimittelrechtliche Bestimmungen gelten. Es kann nicht sein, dass man Methadon einfach mit nach Hause bekommt und für ein paar Gramm Gras seine Wohnung in einen Bunker umbauen muss.

Ha Jo: Dem könne wir uns nur anschließen. Wir danken für den herzlichen Empfang und wünschen Dir auch für die Zukunft alles nur erdenklich Gute.
Andreas: Ich danke für den Besuch, Grüße an den SCM und die Leser da draußen.

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