Montag, 8. Juli 2024

Cannabis-Gesetz ist Meilen- und Prüfstein zugleich

Die Teil-Entkriminalisierung der Cannabis-Konsumenten stellt das Reinheitsgebot der deutschen Demokratie auf den Prüfstand

sadhu-august-grafik-graffiti-kritik - Cannabis

 

 

Eine Kolumne von Sadhu van Hemp

 

 

Der Bundestag ist ein Ort gelebter Demokratie. Dort versammeln sich die, die in freien Wahlen dazu bestimmt werden, als Abgeordnete dem „deutschen Volke“ gesetzgeberisch zu dienen – und das nach bestem Wissen und Gewissen und allzeit dem Grundgesetz unterworfen. Jedes mehrheitlich beschlossene Gesetz ist also im Sinne der Bürger und Bürgerinnen, die in der Pflicht stehen, sich daran zu halten.

 

Doch so lupenrein die deutsche Demokratie auch ist, nicht jedem gefällt es, sich gesetzeskonform verhalten zu müssen. Manchmal will das Gesetz einfach nicht passen. Widerspruch regt sich, und manch einer oder eine sieht sich gar gezwungen, Widerstand zu leisten und das Gesetz notfalls zu brechen. Die Folge sind als ziviler Ungehorsam getarnte Straftaten und Ordnungswidrigkeiten aller Ausprägungen: Man nimmt sich kurzerhand das Recht heraus, die Straßenverkehrsordnung zu missachten, bei der Steuererklärung zu bescheißen oder nach Ladenschluss die Müllcontainer der Discounter zu plündern. Überall und nirgends sind sie aktiv, die großen und kleinen Gesetzesverbrecher, und es dürfte in deutschen Landen keine Sekunde vergehen, ohne das irgendwo ein Verstoß gegen das Betäubungsmittelgesetz zu verzeichnen wäre.

 

Die Gesellschaft schadet sich also tüchtig selbst – und damit zugleich der Demokratie. Besonders heikel wird es allerdings, wenn die, die dem Gesetz Geltung verschaffen sollen, ihrer Pflicht nicht nachkommen wollen und kackdreist untätig bleiben. An sich ein probates und auch zulässiges Mittel der Staatsdienerschaft, sofern es darum geht, Sand ins Getriebe von Unrechts- und Terrorstaaten zu streuen. Gar nicht gut ist es jedoch, wenn diese staatlich alimentierten „Diener des Volkes“ ohne jede Scham das Gegenteil von dem tun, was ihnen Volkes Stimme aufgetragen hat. Diese Mitbürger schaden der Demokratie vorsätzlich und bereiten den Boden für jene Irrläufer, die mit dem Grundgesetz auf Kriegsfuß stehen.

 

Wie sich das gestaltet, wenn die Demokratie von der Staatsdienerschaft ad absurdum geführt wird, zeigt das im April in Kraft getretene Cannabis-Gesetz. Statt in die Hände zu spucken und das Gesetz zur Anwendung zu bringen, gönnen sich die Staatdiener während der Dienstzeit erst einmal einen Spieleabend in den Amtsstuben: Gespielt werden die in Deutschland erfundenen Klassiker „Beamtenmikado“ und „Beamten-Ping-Pong“. Die Regeln sind einfach: Wer sich zuerst bewegt, darf den zu bearbeitenden Vorgang an ein anderes nicht zuständiges Amt weiterleiten. Franz Kafka lässt grüßen.

 

Und so hapert es in den deutschen Amtsstuben, was die Umsetzung des Cannabis-Gesetzes betrifft. Für die Zulassung der Cannabis-Anbauclubs fühlt sich niemand zuständig, da die Verordnungen noch nicht in Schriftform vorliegen. Die Antragsteller können noch so viel Papier einreichen, es bleibt ohne Relevanz für die Ämter, die nicht wissen, wohin mit dem Altpapier.

 

So auch im Bundesland Berlin, dass dafür berüchtigt ist, dass die Staatsbediensteten in ihrer Wohlfühloase, der Amtsstube, weder gestört, noch belästigt werden wollen. Still ruht der See, was die verwaltungstechnische Umsetzung des Cannabis-Gesetzes in der schwarz-rot regierten Bundeshauptstadt betrifft. Die Deutsche Presseagentur hat in den Bezirksämtern, die die Anträge zur Erteilung einen Anbaulizenz bearbeiten sollen, nachgefragt und ernüchternde Antworten erhalten:

„Wir haben kein Personal, was im Augenblick zusätzlich diese Aufgabe leisten könnte“, teilte der CDU-Stadtrat für Jugend und Gesundheit von Charlottenburg-Wilmersdorf mit. „Wir sind alle nicht begeistert, dass ein Gesetz eingeführt worden ist, ohne sich Gedanken über den eigentlichen ersten Schritt zu machen. Nämlich, wer die Kontrolle übernehmen soll.“

 

Aus den Bezirken tönt es, man würde von der Gesundheitsverwaltung allein gelassen. Zudem seien die Bezirksverwaltungen erst im Mai über ihre Zuständigkeit in Kenntnis gesetzt worden. Lichtenbergs Bezirksstadträtin Filiz Keküllüoğlu (Grüne) sagte: „Wie alle anderen Bezirke wurden auch wir von der unangekündigten Zuständigkeitszuweisung kurz vor Inkrafttreten der Regelungen zum 01.07. überrascht.“ Augenblicklich bleibt den Ämtern nur, die eingereichten Anträge zu sammeln.

Ähnlich äußern sich andere Bezirke. Aus Mitte, Reinickendorf und Neukölln wird gemeldet, dass erst gearbeitet werden kann, wenn die Cannabis-Verordnung in Stein gemeißelt ist. Noch gebe es keine Regelungen zur Handhabung der „Tatbestände“ und das Personal fehle auch.

 

Der Verdacht drängt sich auf, dass sich die Herrschaften in den Verwaltungen einen schlanken Fuß machen und sich bei der Umsetzung des Cannabis-Gesetzes besonders ins Zeug legen, untätig zu bleiben. Man sitzt die lästige und überhaupt nicht gewollte Angelegenheit aus und signalisiert den Cannabis-Genossenschaftlern, sich es vielleicht noch einmal zu überlegen, ob man dem Amt wirklich zur Last fallen will. Schließlich bestehen gute Chancen, dass am Ende des Verwaltungsaktes der Antrag abgelehnt wird und langwierige gerichtliche Auseinandersetzungen mit Vater Staat folgen.

 

Doch Hand aufs Herz: Letztlich muss dem Amtsschimmel gedankt werden, dass er kräftig wiehert und davor warnt, ihm zu nahe zu kommen und auf den Sack zu gehen. Die Drohgebärden sind nur gut gemeint. Die Antragsteller sollen halt wissen, dass sie ins Unglück laufen, wenn sie an die Bürotür klopfen.

 

Und die Abschreckung zeigt Wirkung. Nach Inkrafttreten der Erlaubnis zur Gründung von Cannabis-Anbauvereinigungen zum 1. Juli vermelden fast alle Berliner Bezirksämter, keine Anträge erhalten zu haben. Der von aller Welt befürchtete Ansturm ist ausgeblieben. Die Berliner Zeitung berichtet, dass in Neukölln nach Kenntnis des Bezirkssprechers ein Antrag in der Poststelle eingegangen ist. In Steglitz-Zehlendorf soll sich ein Interessent nach den Modalitäten erkundigt haben. Aus Friedrichshain-Kreuzberg wird gemeldet, dass es einzelne Anfragen gab.

 

Die ganze Geschichte passt vorne und hinten nicht. Statt dem im Bundestag mehrheitlich verabschiedete Cannabis-Gesetz Leben einzuhauchen, wird es sabotiert – und das durchaus auch aus ideologischen Gründen. Der Meilenstein der Teilentkriminalisierung von Haschisch und Marihuana ist somit nur ein weiterer Prüfstein der Demokratie – einer Demokratie, die von den Akteuren einer überbordenden Bürokratie an die Grenzen ihrer Belastbarkeit gebracht wird.

 

 

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3 Kommentare
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Fred
2 Monate zuvor

Antrag an die Bezirksregierung, dann 3 Monate warten. Tut sich nichts, vor Gericht ziehen und sich per einstweiliger Verfügung die Erlaubnis holen.
So hilft man der Demokratie auf die Sprünge und tritt so manchem bockigem Beamten in den Hintern.

Altes Speichwort aus meiner Kante. ” Nur wer such wehrt hält sein Pferd “

Jason
2 Monate zuvor

Schade, dass man die Blockierer/ Verweigerer in Deutschland beim ordentlichen Durchführen des CanGes nicht durch kompetente Leute austauschen können. Rechtsstaat ade! Und 2025 werden wahrscheinlich die CSU/ CDU wieder vorne sein, sowie die AFD. Hoffentlich regieren sie nicht zusammen!

Zuletzt bearbeitet 2 Monate zuvor von John
Hans Dampf
2 Monate zuvor

Hoffentlich regieren im nächsten Jahr nicht Union und AfD zusammen. Das wäre schlecht.
Sollten jedoch CDU/CSU und SPD wieder einmal zusammen finden, gäbe es wahrscheinlich ebenso wenig zu lachen. Denn wir wissen ja, die SPD hängt die Fahne nach dem Wind. Und was das bedeuten könnte kennen wir aus der Vergangenheit zur genüge.