Montag, 11. September 2023

Deutschlands größter Cannabis-Marktplatz wird eingezäunt

Für den Berliner Senat ist die „Zeit der Toleranz“ im Anti-Hanf-Krieg vorbei: Görlitzer Park soll mit einem Zaun eingefriedet werden

Cannabis
Bild: Archiv / Schmiddie

 

 

Eine Glosse von Sadhu van Hemp

 

 

Drogendealer und Rauschgiftkonsumenten an einem umzäunten Ort zu konzentrieren, ist nicht unbedingt die schlechteste Idee. Die Landeshauptstadt des Freistaat Bayern hat damit gute Erfahrungen gemacht, wenn Menschen, die sich kollektiv die Rübe wegknallen wollen, dies zu festen Uhrzeiten in einem geschützten Raum praktizieren.

Das Münchener Oktoberfest, das kommenden Samstag die Pforten öffnet, ist so eingefriedeter Ort, wo sich Mann und Frau nach Herzenslust den Freuden des Vollrausches hingeben kann, ohne Gefahr zu laufen, dass Anstoß genommen und gleich nach der Polizei gerufen wird, wenn man die Regeln des guten Anstands verletzt. Es ist zwar nicht ausdrücklich erlaubt, im Suff Bierkrüge zu werfen, sich gegenseitig wegen eines nichtigen Anlasses die Fresse zu polieren und das Weibsvolk zu begrabschen, aber auch nicht so richtig verboten. Nur wer es in seiner Besinnungslosigkeit etwas übertreibt, muss damit rechnen, sich eine Strafanzeige wegen Erregung öffentlichen Ärgernisses, Körperverletzung, Vergewaltigung, Diebstahls, Raubes etc. einzuhandeln und aus dem geschützten Raum entfernt zu werden.

 

Nun soll auch Berlin so einen Schutzraum bekommen, wo es zivilisiert unzivilisiert zugehen soll – nur mit dem kleinen Unterschied, dass die zügellosen Partygänger dort Hausverbot haben und nur außerhalb des geschützten Raumes auf die Kacke hauen dürfen.

 

Auf einem sogenannten Sicherheitsgipfel einigten sich am Freitag der Berliner Senat und die Bezirksvertreter auf zahlreiche Maßnahmen gegen Kriminalität und Gewalt – mit dem Ziel der Stärkung der Sicherheit und Sauberkeit in Parks sowie an öffentlichen Orten und die Verhinderung von Suchterkrankungen und Obdachlosigkeit. Im Fokus steht der Görlitzer Park, den Abertausende Wurzelberliner, Zugereiste und Touristen seit mehr als einem halben Jahrhundert in Heerscharen aufsuchen, um bei den fliegenden Betäubungsmittelfachhändlern vorwiegend das strengstens verbotene Genussmittel Cannabis zu erwerben.

 

Mit diesem Cannabis-Wildwuchs soll nun endgültig Schluss sein, wenn es nach dem Willen des CDU/SPD-Senats geht. In dem von den zuständigen Senatsverwaltungen erstellten „Ergebnispapier“ heißt es: „Im kriminalpräventiv erforderlichen Umfang wird der Görlitzer Park umfriedet und temporäre Schließungen werden ermöglicht. Ziel einer anlassbezogenen Schließung zur Nachtzeit ist, Betäubungsmittel- und einhergehende Gewalt- und Eigentumsdelikte einzudämmen.“

 

Darüber hinaus sollen präventive Polizeieinsätze im Görlitzer Park und in den angrenzenden Wohngebieten verstärkt werden, um den Handel mit Haschisch und Marihuana zu unterbinden. Auch eine Videoüberwachung soll „anlassbezogen und temporär“ durchgeführt werden.

Der Regierende Bürgermeister Kai Wegner (CDU) hatte den Sicherheitsgipfel im Sommer nach einer mutmaßlichen (von Cannabis-Dealern begangenen) Gruppenvergewaltigung im Görlitzer Park angestoßen: „Wir haben Angsträume in der Stadt und wollen deutlich machen, dass wir diesen Angsträumen den Kampf ansagen. So wie es ist, darf es nicht bleiben. (…) Die falsch verstandene Toleranz der vergangenen Jahre war ein klar falscher Weg.“

 

Nun gut, der Senat glaubt ihn gefunden zu haben, den richtigen Weg. Der „Görli“ soll ein für allemal befriedet und zu einem Bullerbü für brave Bürgersleut umgestaltet werden: Also weg mit Buschwerk und Sträuchern und den schwer einsehbaren verschlungenen Wegen! Dafür mehr Flutlicht und Asphalt! Und weil‘s so schön ist, gibt’s noch einen hübschen Anti-Cannabis-Schutzwall ums Ganze! Damit auch ja niemand nach Einbruch der Dunkelheit im Schutze eben dieser hell ausgeleuchteten Dunkelheit seinen Vierbeiner ausführt oder nach durchzechter Nacht auf dem kürzesten Weg durch die geschützte „Geschützte Grünanlage“ nach Hause kriecht. Im umfriedeten „Görli wird es fortan keine Kriminalität mehr geben, sondern nur noch davor und drumherum. Herrlich!

 

Aber gut, wollen wir nicht zu kritisch sein. Der schwarz-rote Senat meint es ja nur gut mit seinen Untertanen. Schließlich will man ja den Suchtkranken helfen, indem die Dealer von Cannabis und anderen psychoaktiven Substanzen aus dem „Görli“ verdrängt werden. Gerade im Winter macht es schon einen Unterschied, ob man ungeschützt im Regen und bei Kälte nach einem Cannabis-Dealer Ausschau hält oder in einer der angrenzenden Straßen vor allen Wettereinflüssen geschützt im Flur eines Mehrfamilienhauses dem Drogengeschäft nachgeht. Die Verdrängung in die umliegenden Hausaufgänge, Keller und U-Bahnhöfe ist somit von unschätzbarem Wert für die Volksgesundheit, denn Cannabis-Kundschaft und Dealer erkälten sich weniger und entlasten somit Deutschlands Gesundheitsindustrie.

 

Was bleibt, ist die Frage, ob vielleicht die sofortige Beendigung der Cannabis-Prohibition das Kampfgeschehen rund um den Görlitzer Park etwas entschärfen könnte. Doch um diesen Weg auch nur ein bisschen in Erwägung zu ziehen, fehlt es dem „ressortübergreifenden Lenkungsgremium für eine gesamtstädtische Strategie“ offensichtlich an der nötigen intellektuellen und sozialen Kompetenz.

 

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9 Kommentare
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Fred
7 Monate zuvor

So ist das mit den Konservativen. Mittel, die zuverlässlich 60 Jahre versagt haben, werden immer wieder ausgepackt. Weil man es ja immer so gemacht hat.
Wenn dieses Denken nicht mal bald aufhört, können wir hierzulande bald einpacken.

Rainer
7 Monate zuvor

Wenn man bedenkt,daß der Schwarzmarkt verschwinden soll in Zusammenhang mit Säule 1und 2,ist das ein Anfang.Nur wenn sich sonst nichts weiter tut,braucht es weiterhin den Schwarzmarkt.Die Berliner Koalition hat dabei aber garantiert nicht an eine baldige Lockerung für Konsumenten gedacht.Nur mit so einem Zaun gibt es mehr Beute für die Schergen.

Fred
7 Monate zuvor

Passt zwar wiedermal nicht zum Thema weißt aber auf die “erheblichen” Gefahren hin. Besonders lesenswert ist der Artikel ab der Mitte. Ein Arzt kommt mal mit Zahlen um die Ecke.

Werner
7 Monate zuvor

wer da sein Grass kauft, gehört eh eingesperrt. seriöse Bezugsquellen sehen für mich anders aus. und die wirds auch zukünftig, mit dem Cannabisgesetz, vorerst nur für Menschen mit grünen Daumen geben. wie auch jetzt schon. und ehrlich gesagt, ich kann damit leben, wobei ich das Gesetz als komplett und absichtlich soo vermurkst ansehe, dass es nur zu einem zu gebrauchen ist: Konfusion bei der Exekutive zu erzeugen.
Nu denn – hätt gern weiter gerantet, aber ich muss noch was curen..

PS: mit keinem Wort , auch wenns eine Glosse ist, die dort offenbar stattgefundene Vergewaltigung zu erwähnen, spricht nicht gerade für eine objektive Sicht auf die Dinge.

PPS: ich würd noch IMSI Catcher aufstellen.

Rogg
7 Monate zuvor

Ja Wahnsinn…Zäune sollen ausgrenzen…und sicherer machen. Also…wir sind damals durch ein Loch im Zaun (mittels Zange selber hergestellt) ins Freibad gekommen. Man stelle sich vor…jeder Verkäufer nimmt einen Tag lang eine Zange mit zur Arbeit…Abends wäre der Zaun so durchlöchert wie das Hirn von bayerischen Politikern. So ein Theater, kurz vor der Entkriminallisierung….tzzz

Werner
7 Monate zuvor

@Sadhu van Hemp
stimmt sorry, mein Fehler.

Haschberg
7 Monate zuvor

Leute, malt den Teufel blos nicht an die Wand.
Dieses angreifbare neue Gesetz bietet so viele Fallstricke, dass weiteren Repressionen Tür und Tor geöffnet sind.
So ohne weiteres werden wir dieser massiven, gut funktionierenden Kriminalisierungsmisere wohl nicht entrinnen können.
Es bedarf noch vieler Verbesserungen.