Dienstag, 17. November 2020

Niederländische Kuscheljustiz verschont Cannabis-Verbrecher

Zwei Coffeeshop-Lieferanten standen in Almelo vor Gericht – und kommen glimpflich davon

Cannabis
Photo Willi Wiet

Von Sadhu van Hemp

Der nicht zugelassene Handel mit Cannabis steht auch in den Niederlanden unter Strafe. Wohl aber ist es ausgesuchten Coffeeshops gestattet, kleine Mengen Haschisch und Marihuana zu vertreiben. Die Gesetzeslage ist eindeutig – und doch gibt es eine Ungereimtheit, die eben diese Gesetzeslage ad absurdum führt und die Juristen manches Mal verzweifeln lässt.

Ursächlich dafür ist die groteske Praxis, dass Coffeeshops ihre Handelsware zwar legal verkaufen, aber nur illegal ankaufen können. Seit 1976 gilt diese Regelung, die nicht nur aus juristischer Sicht vorne und hinten nicht passt: Der Kurier, der mit der Rauchware an die Hintertür der Shops klopft, ist ein Gesetzloser  –  der, der die Tür öffnet und die Bestellung annimmt, zählt hingegen zu den gesetzestreuen Bürgern.

Die auf dem niederländischen Opportunitätsprinzip fußende Duldung der „Hintertürdealerei“ bedeutet enorme Rechtsunsicherheit für diejenigen, die die Anlieferung organisieren. Wer in einem gut besuchten Coffeeshop entspannt an der Tüte zieht, bekommt gar nicht mit, welch ein logistischer Aufwand betrieben wird, um den vorgeschriebenen Rauchwarenbestand von maximal 500 Gramm Cannabis nicht zu überschreiten und zugleich ein stets gutgefülltes Warensortiment anbieten zu können. Wie Gespenster geistern die Kuriere zwischen den Lagern und Coffeeshops hin und her, unentwegt auf der Hut vor der Polizei und anderen Räubern, deren Launen sie ausgeliefert sind.

Die Haschlieferanten sind systemrelevant im Coffeeshopsystem. Das wissen auch die Strafverfolgungsbehörden, die sich nunmehr seit 44 Jahren mit der Hintertür-Problematik auseinandersetzen müssen. Die letzte Instanz sind die Gerichte, die sich oftmals vor einer schier unlösbaren Aufgabe sehen, die ertappten Akteure der Lieferdienste sach- und fachgerecht abzuurteilen. Dieses Dilemma zeigte sich letzte Woche in Almelo, wo zwei Männer aus Glanerbrug, einem Dorf bei Enschede, vor dem Kadi standen.

Im Januar gerieten Maurice S. (49) und Patrick ten B. (47) nach einem anonymen Hinweis ins Visier der Polizei. Bei einer Razzia im Haus des 49-jährigen Angeklagten entdeckte die Polizei 50 Kilogramm Cannabis und eine beträchtliche Summe Bargeld, während sein Kollege auf dem Weg nach Hengelo mit 600 Joints abgegriffen wurde. Die Polizei erachtete die beschlagnahmte Menge als viel zu viel für einen Kurierdienst, der Coffeeshops mit Vorräten versorgt. Die beiden Männer wurden kurzerhand mit einem Haftbefehlt ausgestattet und mehr als einen Monat in Untersuchungshaft genommen. Fast drei Wochen lang hatten die Beschuldigten striktes Kontaktverbot zur Außenwelt und durften sich nur mit ihren Anwälten austauschen. „Wir wurden mit Drogenbaronen verwechselt“, schilderte Ten B. das unverhältnismäßig harte Vorgehen der Polizei. „Wir hatten keine Ahnung, was mit uns geschah.“

Doch alle Mühen der Polizei, dem Gericht zwei richtig schwere Jungs zu präsentieren, waren vergebens. Während der Verhandlung entbrannte zwischen den Angeklagten und den Richtern eine Diskussion über die Sinnhaftigkeit der niederländischen Toleranzpolitik. Diese Politik sei es, die die Straftat erst ermöglicht habe. Letztlich gehöre die niederländische Regierung auf die Anklagebank, da sie den Missstand der illegalen Cannabis-Anlieferung über die Hintertür der Coffeeshops in Kauf nehme, um den politisch gewollten legalen Verkauf über die Vordertür zu gewährleisten. Die Angeklagten machten überhaupt keinen Hehl daraus, dass ohne Kuriere und Lageristen der Coffeeshop-Betrieb eingestellt werden müsste. „Wir tun nicht viel mehr als ein Getränkegroßhändler, der Kneipen beliefert“, sagte S. mit einem Lächeln im Gesicht.

Der Argumentation der Angeklagten, sie seien Opfer der halbgaren Cannabis-Duldung, wollte die Strafkammer nicht folgen. Doch ebenso wenig ließen es die Richter der Polizei durchgehen, nach eigenem Gusto aus Coffeeshop-Kurieren und Lageristen Schwerbrecher zu machen und sie entsprechend unfein zu behandeln. Zwar hätten die Angeklagten gegen das Gesetz verstoßen und das Strafrecht sähe bei weichen Drogen ab 25 Kilogramm zwingend eine Haftstrafe von zwölf Monaten vor, aber in diesem Fall sei der Strafrahmen nicht voll auszuschöpfen. Die Angeklagten sind geständig und haben nicht den illegalen Schwarzmarkt bedient.

Das verhängte Strafmaß ist eine Ohrfeige für die Polizei. Zwar erhielten die beiden Coffeeshop-Lieferanten eine Gefängnisstrafe auf Bewährung, aber diese entspricht exakt der Zeit, die die beiden in Untersuchungshaft saßen. Um dem Gerechtigkeitsgefühl der Staatsanwaltschaft trotzdem ein bisschen Genüge zu tun, brummte die Strafkammer den armen Teufeln noch ein paar hundert Stunden gemeinnützige Arbeit auf.

Beide haben ihre Kuriertätigkeit für Coffeeshops eingestellt. S. arbeitet heute im Gastgewerbe und Ten B. in der Fleischindustrie. „Da ist viel mehr Ruhe und Frieden, obwohl die Bezahlung viel niedriger ist“.

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2 Kommentare
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Rainer
3 Jahre zuvor

Eigentlich hätte das Gericht der Argumentation folgend,ohne Rücksicht auf die Staatsanwälte(die wahren Teufel),Freispruch und Entschädigung veranlassen müssen.

Lars Rogg
3 Jahre zuvor

Sonntag 22.11.2020 um 19.10 Uhr auf 3Sat. So gehts auch…!! Blanker Neid…