Sonntag, 6. Oktober 2019

Das lange Warten auf ein Machtwort aus Karlsruhe

Von Sadhu van Hemp


Als das Bundesverfassungsgericht 1994 erstmalig das Hanfverbot auf seine Rechtmäßigkeit überprüfte, blickten die Niederländer bereits auf 18 Jahre Duldungspolitik zurück, ohne dass das kleine Königreich im Drogensumpf versunken wäre. Seit 43 Jahren öffnen täglich mehrere Hundert Coffeeshops ihre Vordertür, um über die Hintertür angeliefertes Haschisch und Marihuana an die Cannabis-Liebhaber zu bringen. Polizei und Justiz drücken beide Augen zu – und gut ist’s. Ein Blick der deutschen Verfassungsrichter in die Niederlande hätte schon damals genügt, um nach sorgfältiger Abwägung des Für und Wider zum logischen Schluss zu kommen, dass eine Cannabis-Duldung nicht gleichbedeutend mit dem Untergang des deutschen Abendlandes ist.

1994 waren die Verfassungsrichter nicht willens, das Unrecht des Hanfverbots zumindest nach niederländischem Vorbild abzuschwächen. Ein aus dem Grundgesetz ableitbares Recht auf Rausch gibt es nicht, stellten die obersten deutschen Richter fest. Auch bestehe nicht die Erfordernis, Cannabis mit wirksamgleichen oder -stärkeren Substanzen wie Alkohol und Nikotin gleichzustellen. Das Verbot steht im Einklang mit der Verfassung – Punkt. Seit 25 Jahren ist dieses Grundsatzurteil das Maß aller Dinge, um tüchtig Leid und Elend über die Hanffreunde zu bringen.

Derweil hat sich die Welt so einige Male um die eigene Achse gedreht, die digitale Revolution ist ausgebrochen und die Weltbevölkerung mal eben von sechs auf acht Milliarden Menschen angewachsen. Auch der Anteil der kiffenden Erdlinge steigt stetig, und der War on Drugs wächst sich immer mehr zur schlimmsten Geißel der Menschheit aus. In Kanada, Uruguay und in weiten Teilen der USA haben die Verantwortlichen in der Politik reagiert und dem Nonsens der Strafverfolgung von Kiffern ein Ende bereitet.

Höchste Eisenbahn also, die neue Generation Verfassungsrichter mit der verantwortungsvollen Aufgabe zu betrauen, das Cannabis-Verbot in Deutschland nach so langer Zeit erneut auf den Prüfstand zu stellen. Auch wenn von Seiten der Strafrechtler kaum Interesse besteht, sich das lukrative Geschäft mit abzuurteilenden Haschgiftverbrechern  nehmen zu lassen, die Zeichen der Zeit gebieten eine Entkriminalisierung der Prohibitionsopfer, denn es werden immer mehr.

Die Initiative, das Bundesverfassungsgericht anzurufen, hat nun der Jugend- und Amtsrichter Andreas Müller aus Bernau bei Berlin ergriffen. Am 17. September hat er seine Ankündigung wahrgemacht und gemäß Artikel 100 Grundgesetz einen Vorlagebeschluss beim Bundesverfassungsgericht eingebracht. Geprüft werden soll, ob die Verfassung überhaupt eine strafrechtliche Verfolgung des Cannabis-Besitzes zulässt. Müller sah sich außerstande, u.a. einen 24-jährigen Studenten wegen des illegalen Besitzes von 2,6 Gramm Cannabis zu verurteilen und setzte das Verfahren aus. Er argumentiert, dass die Strafverfolgung wegen Cannabis-Konsums dem Gleichheitsgebot der Verfassung widerspricht und auch nicht mit dem Freiheitsrecht der Bürger vereinbar ist. Ein Staat, der „einen Menschen juristisch verfolgt, nur weil er eine andere Droge konsumiert als Alkohol“, handle widerrechtlich und schieße „mit Kanonen auf Spatzen.“

Bereits 2002 wagte Müller den Schritt nach Karlsruhe, um das Hanfverbot vom obersten deutschen Gericht prüfen zu lassen. Seinerzeit scheiterte er, da die Richter keinen Anlass sahen, das Urteil von 1994 in Frage zu stellen. Diesmal stehen die Chancen besser, da sich im Gegensatz zu damals gut die Hälfte der Bevölkerung für eine kontrollierte Cannabis-Freigabe ausspricht. Die Verfassungsrichter können nicht ignorieren und leugnen, dass der Besitz und Konsum von Cannabis andere Menschen nicht gefährdet, dass Hanfblüten seit 2017 als Medikament zugelassen sind, dass immer mehr Länder mit der Freigabe für Genusszwecke liebäugeln, dass die „ideologisierte“ Repressionspolitik immensen gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Schaden anrichtet und völlig unnötig ganz normale Menschen stigmatisiert, diskriminiert und kriminalisiert.

Der Ball liegt nun in der Spielhälfte des Bundesverfassungsgerichts. Doch wer glaubt, nun gehe es ganz schnell, der irrt. Die Mühlen der Justiz mahlen langsam, sehr langsam – so wie damals 1994, als die Damen und Herren Verfassungsrichter erst nach zwei Jahren ihre scharlachroten Roben überstreiften und der Cannabis-Freigabe eine bis heute gültige Absage erteilten.

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7 Kommentare
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R. Maestro
4 Jahre zuvor

Eine Änderung ist längst fällig.
Aber unter den Talaren steckt weiterhin (bei den meisten) der Muff von 1000 Jahren.

Egal
4 Jahre zuvor

Das muss schneller gehen!
Ist ja so nicht mehr auszuhalten!

Harald
4 Jahre zuvor

Jetzt werden wir sehen, ob sich die Korruption bis zum BGH durchgefressen hat? Wenn das allerdings so ist, dann können wir unser ganzes Rechtssystem in die Tonne treten, dann ist es absolut nichts mehr wert und somit reif abgeschafft bzw. ersetzt zu werden und die Politik gleich mit. Gut bei der Politik ist der Beweis ja schon erbracht und beim BGH fehlt noch der ultimative Beweis. Wir dürfen gespannt sein, ob sie ihn liefern, die Herrn Richter?!

HANS Meyer
4 Jahre zuvor

Man muss wissen das die Bundesrichter auch über den Bundestag und deren Politiker mit gewählt werden. Auch wenn es diesmal einen positiveren Bescheid geben sollte wird der nicht vor 2021 erfolgen! Die Regierung braucht Zeit. Die WHO hat ihren Beschluss auch deshalb nicht veröffentlich um den Regierungen Zeit zu geben. Bist eine vollständige Legalisierung kommen wird muss viele Geregelt werden. Anbau, Vertriebsstrukturen, Steuern, Eigenanbau etc.
Der erste kurzfristige Schritt wäre die Entkriminalisierung mit vernünftigen Grenzweten bezügl. Frührerschein.

Rainer Sikora
4 Jahre zuvor

Er wird als lästige Fliege betrachtet.Das Bundesverfassungsgericht wird es richten,so wie ich die kenne mit unerfreulichem Urteil.Aber das hat meines Erachtens noch sehr lange Zeit.Ohne stetes drängeln werden die sich nicht bewegen,so träge,wie jemand der machen soll,was er gar nicht machen will.Und am Ende auch nicht machen wird.Wie ich die kenne.

Otto Normal
4 Jahre zuvor

Die nächste Hanfdemo sollte in Karlsruhe stattfinden.

PS:
@Harald
“Jetzt werden wir sehen, ob sich die Korruption bis zum BGH durchgefressen hat?”

Hat sie schon längst!

Krake
4 Jahre zuvor

@ Maestro,
lännnngggggggssssssst überfällig, mann!!!!!!!!!!!!!!!Schon über 25 Jahre, Mann!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!1