Montag, 9. März 2009

SCHREIE EINES CANNABIS GESUNDHEITSIRRLÄUFERS

Fortsetzung von Ausgabe 02/09

(Fortsetzung 4. Tag)

Puls 84, Blutdruck 130/80. Meine Augen jucken nicht mehr so penetrant und sind deutlich weniger gerötet als in den Tagen zuvor. Die Hautentnahmestelle am Hals ziept noch ein bisschen, aber wesentlich stärker nervt das Unwissen, ob heute in einer Woche über mich zu Gericht gesessen wird. Ein im Rahmen der Verhandlungsfähigkeits-Begutachtung durchgeführter Lungenfunktionstest ist mit kleineren Schwierigkeiten abgelaufen, d h. die Angst, im Mundstück der Messapparatur bei der Ausatmung bronchiale Sekretabsonderung zu hinterlassen, dürfte meine Atmung merklich beeinflusst haben. Diese „Behinderung“ wird jedoch mit Sicherheit nicht dazu taugen den Berufungstermin zu verschieben, zumal der mögliche Sputum-Auswurf im Verlaufe der Verhandlung ja „ärztlich begleitet“ oder „zeitlich begrenzt“ ablaufen könnte. Die ursprünglich angedachte Sonografie hingegen ist aus Zeitgründen auf den Folgetag verschoben worden. Ob es ein weiteres Gespräch mit dem gutachtenden Professor geben wird, ist aktuell ungewiss. Mein Entlassungsdatum aus der Klink wurde inzwischen auf nächsten Montag festgelegt, 3 Tage vor der Hauptverhandlung.
Insgesamt scheint also die ärztliche Sorge, dass das schleswig-holsteinische Justizwesen durch eine Verschiebung des Gerichtstermins um ca. 3 Wochen bis 3 Monate nachhaltigen Schaden erleiden könnte, größer zu sein, als etwaige medizinisch begründete Bedenken hinsichtlich der aus Nebenwirkungserkrankung resultierenden Einschränkung meiner Verteidigungsfähigkeit.
Ein am späteren Vormittag in Anspruch genommenes psychologisches Beratungsgespräch hat auf Seiten des Psychologen weitgehend Ungläubigkeit, Erstaunen und Kopfschütteln über die perverse Situation hervorgerufen, dass in Deutschland heutzutage chronisch oder final tödlich Erkrankte noch immer einem derartigen Instanzen- und Verwaltungshorror inklusive medizinischer Fehleinschätzungen ausgeliefert sind. Er rät allerdings für den Fall meiner Inhaftierung nicht zur Freitod-Ausführung, weil es selbst nach dem Verlust aller mit der Freiheit verbundenen positiven Umstände immer noch die Möglichkeit eines Neuanfangs und Wiederanschlusses an bereits bestehende Verhältnisse gäbe. Es fällt mir schwer, aus diesem Psychologen-Rat die erforderliche Kraft für die anstehenden Aufgaben und Entscheidungen zu ziehen. Nicht zuletzt, weil das Kind in mir inzwischen oft und lange genug sich den Schmerz von der gepeinigten Seele geschrieen hat, ohne dass bis dato psychologische, medizinische oder juristische Hilfe ersichtlich wäre, die durch nüchterne Ursachenforschung bei gleichzeitiger Freistellung von gesetzlich zu verfolgender „Schuld“ die Grausamkeit dieser Schreie zu mindern in der Lage wäre.

Fazit:
Die Allergie klingt ab. Die schweren Reiz- Symptomatiken haben sich deutlich gebessert. Was bleibt, ist das breite Nebenwirkungsspektrum der antiviralen Kombi-Medikation Ribavirin („Rebetol“): Schmerzen, Schwäche, Husten, Erschöpfungszustände, Depressionen, Schlafstörungen und Konzentrationsmangel.
Aus diesem Grund bin ich am heutigen fünften Tag meines Klinikaufenthaltes vom begutachtenden Professor H. darüber in Kenntnis gesetzt worden, dass er mich vorläufig bis zum voraussichtlichen Ende der antiviralen Maßnahme für nicht verhandlungsfähig erachtet.
Die Cannabis als Medizin-Problematik bleibt jedoch für nicht unmittelbar Betroffene – insbesondere für Strafverfolger – unter stetem Generalverdacht, ein Gesundheits-Irrläufer zu sein, dem mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln der Weg verbaut werden muss. Und sei es der individuelle Weg zur nachweislichen Leidenslinderung, zum Lebenserhalt und zur Steigerung von krankheits- und medikamentös nebenwirkungsbedingt eingeschränkter Lebensqualität. Zum Schreien.
Verwunderlich ist diesbezüglich jedoch, dass im Verlaufe dieses kurzen Klinkaufenthaltes meine freie Verfügungsgewalt über verschriebene und nicht verschriebene Mittel – inklusive Cannabis – seitens der mich behandelnden Ärzte in keiner Weise eingeschränkt worden ist. Möglich, dass meine Schreie also durchaus doch gehört wurden und auch künftig hörbar sein werden.

Nachwort: Die zuvor geschilderten Sachverhalte und Erlebnisse entsprechen der Wahrheit. Ich wurde von keiner Seite beauftragt die beschriebenen Geschehnisse zu dokumentieren – außer von meinem Gewissen im Zusammenhang mit der in Deutschland herrschenden Medizinalcannabis-Situation…

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