Mittwoch, 11. Februar 2009

SCHREIE EINES CANNABIS GESUNDHEITSIRRLÄUFERS

Fortsetzung von Ausgabe 01/09

(Fortsetzung 3. Tag)

Kurz vor Mittag lasse ich mir vom Stationspersonal meine Behandlungsakte aushändigen, weil der begutachtende Chefarzt und Professor (mit Sicherheit) nicht darüber informiert ist, dass ich inzwischen Patient seiner Klinik bin. Zusätzliche ärztliche Informationen über meinen Zustand könnten u. U. eine Entscheidungshilfe für ihn sein, wenn es denn darum geht herauszufinden, ob ich aus medizinischer Sicht in der kommenden Woche körperlich und geistig in der Lage sein werde, den mehrstündigen Gerichtsverhandlungs-Marathon über mich ergehen zu lassen.
Der Professor ist nett. Er hat wenig Zeit, aber er gibt sich dennoch freundlich und sehr interessiert. Er schaut etwas verblüfft, als ich erkläre, dass die begutachtende Untersuchung auf meinen Antrag hin zustande gekommen ist und auch die anstehende Gerichtsverhandlung aus einer freiwilligen Selbstanzeige resultiert. Danach fragt er mein Befinden ab und äußert die Hoffnung, dass sich meine Symptome nach dem Absetzen des Interferons bessern könnten. Über die etwaigen Nebenwirkungen der Kombi-Medikation „Rebetol“ ist er nicht informiert und muss sie in meinem Beisein erst per PC herausfinden. „Na, ja“, sagt er, „die müssen ja heutzutage in die Beipackzettel alles Mögliche reinschreiben, selbst wenn es im Einzelfall gar nicht zutreffend sein mag…“
Diese seine Einschätzung gibt die tendenzielle Richtung des Gesprächs vor. Meinen Einwand, dass ich mich erheblich in meiner Verteidigungsfähigkeit eingeschränkt sehe, wenn ich mich unter schweren Medikationsnebenwirkungen vor Gericht für meinen medizinischen Cannabis-Gebrauch verantworten soll, hebelt er mit der beiläufig eingestreuten Bemerkung aus, wie schwierig es sei das Verfahren neuerlich zu terminieren und dass eine solche Verhandlung für den kranken Angeklagten ja durchaus unter begleitender ärztlicher Aufsicht oder auch nur zeitlich begrenzt stattfinden könne. Der Professor klopft beiläufig meinen Rücken ab, hört sich Lunge und Herz an und bestellt mich schließlich für den nächsten Tag zu einer Lungenfunktionsprüfung und zu einer Sonografie ein. Überdies wolle er noch mit meinem Hausarzt über die Angelegenheit sprechen, bevor er zu einem endgültigen Urteil gelange. Er scheint (noch) nicht zu wissen, ob ich verhandlungsfähig bin. Oder er will es mir nicht sagen. Aber er scheint auch das Gericht und die Staatsanwaltschaft nicht verprellen zu wollen.
Zu meinem Cannabisgebrauch äußert er sich lediglich aus Sicht des Lungenfacharztes und verweist auf die karzinogenen Stoffe, die bei einer Verbrennung und Inhalation der Substanz entstehen können, was ich wiederum mit der Möglichkeit der oralen Applikation per Kekse kontere. Seinen nachfolgenden Hinweis, „…aber jugendliche Gebraucher können Psychosen entwickeln“ beantworte ich mit dem Argument, dass die meisten Studien hinsichtlich der tatsächlichen Ursachen für einen vermuteten Zusammenhang von Cannabis und Psychosen unvollständig seien. Wieder spüre ich kritische Ablehnung, erfahre jedoch zu meiner Überraschung aus seinem Munde auch, dass das Potential der Hanfpflanze wohl enorm – aber noch völlig unzureichend ausgelotet sei.
Unter ziemlichem Zeitdruck („…meine Frau ist krank, ich muss die Kinder abholen“) sorgt der Professor für das Ende des Gesprächs und für einen weiteren Untersuchungstermin in der prekären Angelegenheit „Axel Junker-Nebenwirkungen von Interferon – bei Nutzung von Cannabis als Medizin“. Er entlässt mich schließlich nur unwesentlich schlauer als vor der Begutachtung, aber die erwarteten Würfelergebnisse sollten bereits vorgelegen haben.
Als ich die Stufen des Verwaltungsgebäudes hinuntersteige in den Krankenhaushof bin ich ein wenig durcheinander. So etwas hat man nicht alle Tage. Mir ist plötzlich, als hörte ich in der Entfernung ein Kind nach Leibeskräften schreien. Womöglich ist es jedoch nur das Kind in mir und in Wahrheit ist es überhaupt nicht so weit entfernt, wie`s mir derzeit noch scheint.

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