Dronabinol ein 2-Klassen-Medikament
Seit der Umstufung des Cannabishauptwirkstoffs Tetrahydrocannabinol (THC) in die Anlage III des Betäubungsmittelgesetzes (BtMG) „verkehrsfähige und verschreibungsfähige Betäubungsmittel“ im Jahr 1998 war es in Deutschland zumindest theoretisch möglich Patienten mit THC-haltigen Medikamenten zu behandeln.
Die Nachfrage nach Dronabinol, einem Präparat der Firma THC-Pharm, das mindestens 98 Prozent reines THC enthält, war besonders unter Schmerzpatienten, Krebs- und AIDS-Kranken sowie bei Menschen mit Erkrankungen des Bewegungsapparats z.B. Multipler Sklerose enorm.
Es wurde jedoch schnell klar, dass die Mehrheit der Krankenkassen eine Dronabinoltherapie nicht bezahlen würden, da die THC-Präparate keine „zugelassenen Medikamente“ sind. Dabei sind die Kosten des Medikaments enorm.
1g Dronabinol kostet so viel wie 5g natürliches THC
1 Gramm Dronabinol kostet beim Hersteller THC-Pharm 350,00 Euro! Nimmt man die Zahlen der Europäischen Drogenbeobachtungsstelle (EMCDDA) zur Grundlage, könnte ein Patient für dieses Geld, bei einem durchschnittlicher Preis 6 Euro pro Gramm, auf dem illegalen Cannabismarkt in Deutschland rund 58 Gramm Marihuana kaufen. Bei einem durchschnittlichen THC-Gehalt von 8,6 Prozent entspräche dies einer Wirkstoffmenge von mindestens 5 Gramm THC!
Die Kosten einer Therapie mit Dronabinol betragen in der Regel zwischen 150,- und 600,- Euro pro Monat. Manche Patienten, insbesondere solche mit Erkrankungen des Magen-Darm-Tracks z.B. Morbus Crohn, müssen für eine wirksame Therapie mit synthetischem THC mit bis zu 1500,- Euro pro Monat rechnen.
Synthetisches THC oft noch teurer
Markus Einsle vom Selbsthilfenetzwerk Cannabis Medizin (SCM) hat mich darüber informiert, dass 350 Euro pro Gramm Dronabinol lediglich der Einkaufspreis für Apotheker ist. Erst diese stellen aus dem hochreinen sythetischen THC vom Patienten anwendbare Präparate her. Die Betroffenen müssen auch diese Leistung des Apothekers selbst zahlen und so für sythetisches THC noch weit tiefer in die Tasche greifen. Nach eigener Aussage zahlt Markus für 500 mg Dronabinol in 9,5 ml Ethanol derzeit 422 EUR!
Wen wundert es da, dass Schwer- und Schwerstkranke, die in der Regel nur über ein geringes Einkommen verfügen, auf das vielfach billigere THC im natürlichen Marihuana setzen?
Lebensbegrenzung durch Verhungern
Dr. Knud Gastmeier – verordnete Kassenpatienten Dronabinol
Die AOK und Dr. Gastmeier
Nicht alle Ärzte wollten akzeptieren, dass sie den Versicherten gesetzlicher Krankenkassen kein Dronabinol verschreiben dürfen. Wie Dr. Knud Gastmeier, Landessprecher Brandenburg des Berufsverbandes der Schmerztherapeuten Deutschland (BVSD), konnten und wollten sie nicht verstehen, dass manchen Patienten die lebenserhaltende Medizin verweigert wird.
Dem auf Tumorschmerztherapie spezialisierten Gastmeier lag das Wohl seiner Patienten so sehr am Herzen, dass er ihnen dennoch Dronabinol verordnete. Nach seiner festen Überzeugung war das Medikament Dronabinol die einzige Möglichkeit, dass Leben der an Anorexie-Kachexie-Syndrom (ACS) leidenden zu retten. Die Krankheit hatte sich bei den Patienten als Nebenwirkung einer Krebstherapie und des Krebses selbst eingestellt und führt zu Appetitlosigkeitund damit zum lebensgefährlichen Körpergewichtsverlust. Die durch die Chemotherapie bereits geschwächten Körper werden durch ACS zunehmend ausgezehrt. Ohne adäquate Behandlung endet die Erkrankung tödlich – Die Betroffenen „verhungern“.
„Neben dem Einsatz von Prokinetika, Kortikosteroiden und Gestagenen werden in letzter Zeit auch Cannabinoide auf ihre Eignung zur Appetitsteigerung und Gewichtszunahme untersucht. Bei Tumorpatienten waren Cannabinoide deutlich effektiver als Placebo, aber eher schwächer als Gestagene. Bei Patienten mit AIDS oder Morbus Alzheimer konnte im Vergleich zu Placebo ebenfalls eine höhere Effektivität nachgewiesen werden. Nebenwirkungen wie Schwindel, Müdigkeit und Benommenheit führten bei einem Teil der Patienten zum Abbruch der Cannabinoidtherapie.“ aus „Cannabinoide in der Palliativtherapie des Anorexie-Kachexie-Syndroms“ Beitrag in der Medizinerzeitschrift „Der Schmerz“ Volume 18, Number 3 / Juni 2004
Die Krankenkassen regierten auf den mutigen Schritt Dr. Gastmeiers mit einer Schadensersatzklage. Die AOK Sachsen-Anhalt forderte vor Gericht die Rückzahlung der Behandlungskosten in Höhe von 50.000 Euro.
„Dann werden Gesetze angeführt, die mir die Therapie einschränken und letztendlich zum Versterben des Patienten führen. Das ist aktive Sterbehilfe durch Krankenkassen!“ Dr. Knud Gastmeier im Interview mit dem ZDF-Magazin Frontal 21
Kassengeiz kostet Menschenleben
Die Lösung für das Dilemma hunderttausender Patienten ist denkbar einfach. Der Gemeinsame Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen (G-BA) kann auf Antrag seiner Mitglieder beschließen, dass die Krankenkassen das Medikament Dronabinol in Zukunft erstatten müssen. Das er dies bisher nicht getan hat, liegt daran, dass bisher niemand einen solchen Antrag stellen wollte.
„Damit eine Untersuchungs- oder Behandlungsmethode im Bundesausschuss beraten werden kann, muss dafür zunächst ein Antrag gestellt werden. Antragsberechtigt sind die Spitzenorganisationen der Krankenkassen, die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV), die Kassenzahnärztliche Bundesvereinigung (KZBV), die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) und die Patientenvertreter.“ Gesetzlicher Auftrag und Arbeitsweise der G-BA
Es mag eine populistische Herangehendweise sein, aber ich bin nicht der erste, der sich angesichts des Elends chronisch-kranker und sterbender Patienten fragt, wer ein Interesse daran haben könnte, dass im G-BA kein Antrag gestellt wird, der es ermöglicht Medikamente aus synthetischem THC in den Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenkassen aufzunehmen Quo bono? – Wem nützt es, fragen sich Medienvertreter, Ärzte und Patienten schon seit zehn Jahren!
„Es drängt sich der Verdacht auf, dass die Krankenkassen gar nicht daran interessiert sind einen solchen Antrag zu stellen. Weil, dann geht ja Geld aus dem System raus und das wollen sie nicht.“ Patientenanwalt Rainer Kuhlen im Interview mit dem ZDF-Magazin Frontal 21
„Schwerstkranke Patienten können seit acht Jahren Dronabinol verordnet bekommen. Die Erstattung der Kosten mit dem Hinweis auf den gemeinsamen Bundesausschuss zu verweigern, wenn man die Klärung eben dieser Frage selbst blockiert, zeugt von der Ignoranz (der Krankenkassen A.d.A.) gegenüber dem Leidensdruck dieser Patienten.“ Holger Rönitz, Geschäftsführer der THC Pharm GmbH
Auch Ärzte und Patienten beklagen die Weigerung der Krankenkassen einen Antrag im G-BA einzureichen. Diese geben den schwarzen Peter jedoch an ihre Spitzenverbände weiter. Die in der Arbeitsgemeinschaft der Spitzenverbände der Krankenkassen organisierten Bundesverbände von AOK, BKK und IKK, der Verband der Angestellten-Krankenkassen e. V., der Arbeiter-Ersatzkassen-Verband e.V. (AEV), die Knappschaft und der Bundesverband der landwirtschaftlichen Krankenkassen sehen sich jedoch auch nicht in der Pflicht und verweisen Fragesteller an das Bundesgesundheitsministerium (BMG).
Das BMG hat sich schon Jahre nicht mehr zu THC-Medikamenten geäußert. In Publikationen der Behörde wurde Dronabinol zuletzt 2004 erwähnt. Damals sah sich die Drogenbeauftragte Marion Caspers-Merck außerstande eine Empfehlung für oder gegen das Medikament auszusprechen. Im Auftrag der Bundesregierung erklärte sie, die Studienlage zu THC-haltigen Medikamenten sei „uneinheitlich“ und es bestehe weiterer Forschungsbedarf.
Letztlich tragen aus meiner Sicht die Krankenkassen die Verantwortung für den Hungertod ASC-Erkrankter, für unzählige Suizide von Menschen mit chronischen Schmerzen und das andauernde Elend zigtausender Menschen in Deutschland. Den Hinweis auf die Untätigkeit der Politik nehme ich AOK und Co. nicht ab, weil sie ihre Macht und die ihrer Lobbyorganisationen bei anderen Gelegenheiten mehr als einmal unter Beweis gestellt haben.
Mehr zum Thema „Haschisch auf Rezept“
Das ZDF-Magazin Frontal21 berichtete am 18.07.2006 von der unbefriedigenden Situation der betroffenen Patienten und dem Kampf Dr. Gastmeiers für die Übernahme der Kosten einer Dronabinoltherapie.Der Bericht zeigt, wie Vertreter der Krankenkassen ins stocken geraten, wenn man sie auf ihre Untätigkeit im G-BA anspricht und stellt exemplarisch die Schicksale dreier Patienten vor. Auch ein an ACS-Erkrankter kommt zu Wort.
Steffen Geyer
Steffen Geyer, geb. 1979, studierte Rechtswissenschaft in Berlin und ist heute Mitarbeiter des Deutschen Hanfverbands und Mitorganisator der Hanfparade
Webseite: Usualredant: Cannabis als Medizin – Wenn Krankenkassen töten