Sonntag, 26. Mai 2024

Wegen Cannabis-Gummibärchen angeklagt

Hamburger drohen in Russland bis zu sieben Jahre Straflager wegen des Verstoßes gegen Cannabis-Verbot

Cannabis

 

 

Von Sadhu van Hemp

 

 

Das Auswärtige Amt rät auf Instagram dringend von Reisen nach Russland ab: „Immer wieder kommt es in Russland zu willkürlichen Festnahmen. Als „Gründe“ reichen da „Kleinigkeiten“: ein Post, ein Foto, ein Jahre zurückliegender Kommentar, eine Kunstaktion oder einfach nur das Wort „Krieg“. Jegliche Kritik an Putin oder dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine können zu jahrelangen Haftstrafen führen. Und das betrifft auch Deutsche! (…) Und Vorsicht übrigens auch bei Tinder, Hinge, Bumble und Co: Hier können falsche Motive hinter neuen Kontakten stecken. Russland ist derzeit nicht das beste Reiseziel, für ein erstes Date mit dem Online-Flirt.“

Für einen 38-jährigen Hamburger kam diese Reisewarnung zu spät. Am 16. Januar tappte er bei der Einreise nach Russland am Flughafen Pulkowo in Sankt Petersburg in die Falle. Zollbeamte entdeckten in seinem Rucksack ein verblasstes Tütchen mit der Aufschrift „Goldbears“, das einen Warnhinweis mit einem Cannabis-Blatt trug. Laut Zollprotokoll, aus dem das Nachrichtenmagazin „Spiegel“ zitiert, beinhaltete die Tüte sechs schwarz-braune Gummibärchen mit einen von Gewicht 19,35 Gramm.

 

Auf die Notlüge, dass es sich bei den Gummibärchen um normales Weingummi handelt, fielen die Zollbeamten nicht herein. Zu markant war die Duftnote der vermeintlichen Süßigkeit. Ein Drogenschnelltest brachte schließlich Gewissheit: Die Goldbären waren mit Tetrahydrocannabinol (THC), dem Hauptwirkstoff von Cannabis, versetzt. Somit waren alle Voraussetzungen einer schweren Straftat erfüllt; der Delinquent wurde stante pede in Eisen gelegt und eingekerkert.

 

Soweit, so gut. Nicht wesentlich anders ergeht es einem Gummibärchenschmuggler bei der Einreise nach Deutschland – egal ob In- oder Ausländer. Trotz der Cannabis-Teilfreigabe sind deutsche Zollbeamte wie eben auch ihre russischen Kollegen ganz besonders heiß auf Leute, die glauben, sie könnten kackdreist und ungestraft gegen das strikte Einfuhrverbot von Cannabis verstoßen. Die Justizvollzugsanstalten im Emsland und Nordrhein-Westfalen sind voll mit Schmugglern, die aus den Niederlanden kommend Haschisch und Marihuana oder eben THC-haltige Lebensmittel im Reisegepäck mit sich führten. Einziger Unterschied ist, dass die deutsche Rechtsprechung ein klitzekleines bisschen mehr Milde walten lässt, wenn der Straftäter glaubhaft machen kann, dass das Tütchen Gras, der Bobel oder der Haschkeks für den Eigenbedarf bestimmt ist. Alle anderen müssen auch hierzulande damit rechnen, eingelocht zu werden.

 

Das Recht ist in diesem Fall auf russischer Seite. In puncto Cannabis-Verbot geht es in der „Bundesrepublik Russland“ rechtsstaatlich zu, so wie es der Internationale Suchtstoffkontrollrat der UNO verlangt. Auch ist die russische Rechtsprechung nicht allzu hart, wenn man zugutehält, dass die überführten Haschgiftverbrecher nur jahrelang im Straflager lebendig begraben und nicht wie im Iran, in Malaysia oder China kurzerhand einen Kopf kürzer gemacht werden.

 

Doch bei allem Verständnis für das Bedürfnis des russischen Vielvölkerstaates, fremd- und andersartige Lebensweisen vom Volke fernzuhalten und die eigene Kultur vor der Moderne zu bewahren, wenn es menschenrechtsverletzend ist, dann hört der Spaß auf: Russland muss sich den Vorwurf gefallen lassen, auf der langen blutverschmierten Liste der Schurkenstaaten ganz weit vorne zu stehen. Fäulnis und Verderben gärt in Mütterchen Russlands Seele – und die Mehrheit der Bevölkerung fühlt sich offensichtlich wohl dabei.

 

Und so greift in der russischen Gesellschaft ein Rädchen ins andere. Das Kollektiv Russland martert die, die nicht ins Sittengemälde einer Gesellschaft passen, die immer grobschlächtiger und intoleranter wird. Die Ausgrenzung und Verfolgung von Homosexuellen, Frauenrechtlerinnen, Pazifisten und auch Kiffern ist Beleg genug dafür, dass Russland eine No-go-Area für Menschen ist, die es bevorzugen, in Freiheit und Frieden zu leben.

 

Diese Freiheit hat der Hamburger Jung nun wegen sechs THC-Gummibärchen verloren. Nach vier Monaten Untersuchungshaft wurde dieser Tage der Schauprozess eröffnet. Ein Schuldspruch ist unabwendbar. Laut Spiegel drohen dem Unglücksraben bis zu sieben Jahre Zwangsarbeit in einem sibirischen Gulag.

„Naiv“ sei er gewesen, wird seine Anwältin zitiert. Der Liebe wegen sei er nach Sankt Petersburg geflogen. Er wollte eine Online-Bekanntschaft treffen, die ihm angeboten hatte, mit ihm das Land zu bereisen.

 

Alle Augen richten sich nun auf die deutsche Bundesregierung, die zum Glück nicht von CSU/CDU-Hardcore-Hanfprohibitionisten angeführt wird. Der Delinquent hofft, dass sich die linksgrüngelbe Regierung für ihn ins Zeug legt und auf diplomatischem Weg eine Freilassung erwirkt.

Ein Gefangenenaustausch zwischen zwei verfeindeten Staaten ist durchaus üblich, wie der Fall der US-amerikanischen Basketballspielerin Brittney Griner zeigt, die im Februar 2022 am Moskauer Flughafen wegen des Schmuggels von ein paar Hanföl-Kartuschen, die für den Eigenbedarf bestimmt waren, als politische Geisel genommen wurde. Nach einem Schauprozess mit einer Verurteilung zu neun Jahren Straflager wurde die Unglückliche zehn Monate später gegen den in den USA zu 25 Jahren Haft verurteilten Transportunternehmer und Waffenhändler Wiktor But ausgetauscht.

 

Nun ist der Hamburger Haschbruder leider kein US-Basketballstar, geschweige denn eine tragende und millionenschwere Säule des deutschen Rumpelfußballs. Die Medien halten den Ball flach – auch bei rund 30 weiteren Deutschen, die wegen ähnlicher Bagatelldelikte in russischer Haft schmoren.

Auch die Bundesregierung übt sich in Zurückhaltung und belässt es vorerst bei einer Warnung vor romantisch motivierten Reisen: „Die Möglichkeiten des Auswärtigen Amts in solchen Fällen sind nicht grenzenlos. Anders als in Hollywood-Filmen können wir Euch nicht einfach irgendwo aus dem Gefängnis holen. Deswegen nehmt unsere Reise- und Sicherheitshinweise für Russland ernst.“

 

 

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3 Kommentare
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Ramon Dark
1 Monat zuvor

Wie es Gummibärchenschmugglern, Pazifisten, Frauenrechtlerinnen, Homosexuellen und Kiffern in der Ukraine wohl so geht? Meines Wissens nach wohl um keinen Deut besser, es sei denn, sie haben genug Schmiergelder parat.

Ramon Dark
1 Monat zuvor

@Minuspunkt: Ich liebe verbal begründete sachliche Kritik um meinen Standpunkt überprüfen und gegebenenfalls auch ändern zu können.

Ralf
1 Monat zuvor

Bravo @Ramon Dark Sehr enttäuschend dass Sadhu den Schwachsinn von Putins brutalem Angriffskrieg einfach so nachplappert. Bevor Russland in den Donbass einmarschiert ist haben die Ukrofaschisten welche z.B. in Kiev eine Banderastrasse (Mörder von 100 000 Menschen für Hitler) und viele andere Nazisymbole geschaffen haben dort 14 000 russische Zivilisten massakriert. Danach haben sich die Bewohner in freien Wahlen zu über 90% für die Unabhängigkeit von der Naziregierung in Kiev entschieden, was völkerrechtlich vollkommen legal ist. Ich könnte noch 1000 Beweise anbringen, warum das kein Angriffskrieg ist aber das ist in Deutschland mittlerweile brandgefährlich und man kann dafür im Land der freien Meinung im Knast landen, deswegen lass ich das hier lieber. Übrigens ist die Ukraine seit Ende Mai eine… Weiterlesen »