Eine Glosse von Sadhu van Hemp
Es ist vollbracht: Das deutsche Volk hat seine Freiheit am Hindukusch erfolgreich verteidigt. Knapp zwanzig Jahre lang durfte die Bundeswehr unter dem Oberbefehl des großen Bruders aus Amerika mitwirken, Afghanistan nach westlichem Vorbild zu zivilisieren. Nun checken unsere Kriegshelden fluchtartig aus – und der Traum der Feldherren, die Afghanen für alle Zeit von Terror und Drogenanbau zu kurieren, ist wie eine Seifenblase geplatzt.
So seltsam es klingen mag: Die Afghanen verehren und mögen die Deutschen, schließlich pflegen beide Länder seit Kaisers Zeiten nachhaltige bilaterale Beziehungen. Anstoß dafür war die im 19. Jahrhundert erwachte Schwärmerei des Bildungsbürgertums für den Zauber der orientalischen Welt, die es zu erforschen – und auch zu erobern und auszuplündern galt. Doch im Gegensatz zu britischer und französischer Kolonialpolitik, die auf Territorialgewinn zielte, beschränkte sich der verspätete deutsche Imperialismus auf wirtschaftliche Interessen, die ohne Pulverdampf durchgesetzt werden sollten. Erster Empfänger deutscher Wohltaten war der „Kranke Mann am Bosporus“, dem Kaiser Wilhelm II. die Bagdadbahn schenkte, mit dem Ziel, den Wirtschaftsraum bis zum Persischen Golf zu erschließen und einen Stützpunkt für die Handels- und Kriegsflotte zu schaffen. In dieser Zeit kamen auch die ersten Deutschen ins Königreich am Hindukusch – als Zuschauer des „Trauerspiels von Afghanistan“, das die britische Armee inszenierte. Der Romancier und Journalist Theodor Fontane hielt in gleichnamigem Gedicht das britische Kriegsdebakel mit den Worten fest: „Mit dreizehntausend (Mann) der Zug begann. Einer kam heim aus Afghanistan.“
König Amanullah war es dann, der nach sechzig Jahren britischer Gewaltherrschaft anno 1919 damit drohte, sich notfalls zur Beendigung des Blutvergießens mit dem ebenso verhassten Russischen Reich zu verbrüdern. Die Chancen auf einen vorzeitigen Zweiten Weltkrieg standen nicht schlecht, doch die leere Kriegskasse der Briten gab es nicht her, die ungeheure logistische Herausforderung eines Stellungskrieges samt Materialschlacht im hinteren Orient zu bewerkstelligen. So kam es zu dem Deal, Afghanistan in die Unabhängigkeit zu entlassen und als Pufferzone zwischen britischer und russischer Expansionspolitik einzurichten.
Wenn zwei sich streiten, freut sich der Dritte – vorneweg das Deutsche Reich, das sich keineswegs nach dem verlorenen Ersten Weltkrieg geläutert zeigte. Statt Reiter mit Säbel und Muskete ritten Baumeister und Ingenieure mit Hammer und Zirkel ein, die König Amanullah zu ehrgeizigen Plänen der Modernisierung des Landes anstifteten. 1924 öffnete in Kabul die Amani-Oberrealschule ihre Pforten, und das afghanisch-deutsche Schulabkommen von 1928 ermöglichte, dass auch afghanische Abiturienten an preußischen Universitäten studieren konnten. 1936 folgte die „Deutsche Schule Kabul“, und 1937 wurde das „Technikum“ gegründet, an der junge Afghanen von deutschen Paukern in technischen Berufen ausgebildet wurden.
Die Missionare aus dem fernen Teutonenland haben in jenen Jahren deutliche Spuren in den Herzen der Afghanen hinterlassen. Das tolerante Kabul war bis Anfang der Vierziger Jahre des letzten Jahrhunderts ein El Dorado für deutsche Gastarbeiter, die sich in schicken Nachtbars das Heimweh ins Dritte Reich damit vertrieben, sich von orientalischen Schönheiten mit süßen Früchten und berauschenden Köstlichkeiten verwöhnen zu lassen.
Nun kam die Liebe der Deutschen zum hinteren Orient nicht von ungefähr. Insbesondere die Nazis hatten ihre helle Freude an den „schönen blauen Augen“ der Paschtunen, die obendrein der indogermanischen Sprachfamilie angehören. Dieses ethnologische Vorurteil erklärt das eifrige Engagement der Nazis in Afghanistan. Der vom Rassenwahn besessene Massenmörder Heinrich Himmler sah in den Völkern des Himalaya-Gebietes sogar Nachfahren eines göttergleichen Herrenmenschen, die als enge Verwandte des Ur-Germanen als Beweis dafür herhalten sollten, dass der erste Mensch der Menschheit ein Übermensch aus Deppendorf an der Wumme war, der bereits vor Adams Zeiten seine Gene auf dem Dach der Welt verkleckerte.
1941 war dann Schluss mit dem süßen Leben in Kabul: Der von den Deutschen angezettelte Zweite Weltkrieg erreichte Afghanistan. Die deutsche Kolonie wurde zum Schutz vor den Engländern zur Grenze eskortiert und abgeschoben. Was blieb, war die Erinnerung der Afghanen an fleißige, pflichtbewusste und gebildete Deutsche, die den Kindern Lesen und Schreiben beigebracht und die Wege nicht mit Leichen gepflastert hatten.
Dieser gute Ruf sollte anno 1967 der nächsten in den Orient pilgernden Generation zugutekommen. Diesmal waren es aber keine Baumeister und Pädagogen, die sich nach getaner Arbeit in den Opiumhöhlen der Chicken Street verloren. Nunmehr setzte sich kein gepflegter Deutscher auf den Stuhl des Schuhputzers, sondern ein langhaariger Gammler, dem die Sackläuse bereits in den Augenbrauen saßen. Die Afghanen nahmen die Invasion der Hippies und Blumenkinder aus Westeuropa und den USA gelassen. Kein Wunder, ließen sich doch mit den Wohlstandskindern aus der westlichen Welt gute Geschäfte machen. Insbesondere der Handel mit psychoaktiven Substanzen entwickelte sich zu einem wahren Geldsegen für die verarmte Bevölkerung.
Bis zum Einmarsch der Roten Armee im Jahr 1979 war Afghanistan das Drogen-Mekka schlechthin, und wenn es Tote zu beklagen gab, dann waren das hängengebliebene Junkies aus dem westlichen Kulturkreis, um die keine afghanische Mutter trauern musste.
Doch dieses Image sollte sich bald ändern und den Afghanen selbst zum Verhängnis werden. Mit dem Bürgerkrieg von 1978 und der anschließenden Intervention der Sowjetunion wurde die Uhr zurückgedreht: Der Hippietrail machte fortan einen großen Bogen um das Land, das zum Spielball der Supermächte im Kalten Krieg geworden war und im Chaos versank.
Die USA und ihre NATO-Verbündeten scheuten die direkte Konfrontation mit der UdSSR und schauten dem Trauerspiel mit der Faust in der Tasche zu. Doch gänzlich untätig blieben die USA nicht. Um der Roten Armee in den unzugänglichen Gebirgsregionen rund um Kabul das Fürchten zu lehren, wurde „der Feind meines Feindes“ aktiviert – also die fundamentalistisch islamisch ausgerichteten Taliban und das weltweit operierende Terrornetzwerk Al-Qaida.
Zugleich gewann der Opiumanbau in Afghanistan wie von Zauberhand immer mehr an Bedeutung. Zum einen war Opium die Geldquelle für Waffenkäufe, zum anderen stärkte der Mohnsaft die fanatisierten Kämpfer der Mudschahidin und schwächte die ungläubigen Kollegen auf russischer Seite. Nach 15.000 gefallenen Rotarmisten zog die Sowjetunion 1989 die Reißleine und kapitulierte vor der Übermacht der Mudschahidin-Partisanen. Die Bilanz des Betriebsausflugs der Roten Armee beläuft sich auf anderthalb Millionen Tote und fünf Millionen Flüchtlinge auf afghanischer Seite. Anfang der Neunziger Jahre prägten Invalide und abgerissene Junkies das Stadtbild von Kabul – und für Ordnung sorgte das Faustrecht.
1996 machte die „Islamische Talibanbewegung“ dem Sodom und Gomorrha am Hindukusch ein Ende und installierte einen Gottesstaat nach dem Vorbild des Iran. Erste Amtshandlung der Fundamentalisten war, dem Opium- und Haschischhandel den Krieg zu erklären, was binnen kürzester Zeit verheerende Kursschwankungen auf den internationalen Drogenmarkt nach sich zog. Zwar handelten die Taliban im Sinne des UN-Einheitsabkommens über Betäubungsmittel, aber das ohne Erlaubnis der USA, die das Oberkommando im Anti-Drogen-Krieg haben und sich nicht die Butter vom Brot nehmen lassen, was die Regulierung des Weltmarktes betrifft. Bis 2001 dauerte der Spuk brennender Felder, dann war Schluss mit dem Amoklauf der Gotteskrieger: Die USA traten in die Fußstapfen der UdSSR – und Vorhang auf für den nächsten Akt des Trauerspiels von Afghanistan.
Fast zwanzig Jahre lang standen die Schlafmohn- und Hanffelder unter Aufsicht der ISAF-Truppen. Den Heldenmut, den Bauern die Felder niederzubrennen, hatten die Besatzungstruppen nicht. Afghanistan ist längst wieder Exportweltmeister in Sachen Dope: 92 Prozent allen Rohopiums werden am Hindukusch gewonnen. Im Herbst 2007 wurden in Afghanistan rund 8200 Tonnen Opium geerntet, was den weltweiten Verbrauch um 3000 Tonnen übersteigt.
Auch die Hanffelder blühen in voller Pracht: Das UN-Büro für Drogen- und Kriminalitätsbekämpfung (UNODC) gibt an, dass 2012 rund 1400 Tonnen Haschisch geknetet wurden, was einer Zuwachsrate von acht Prozent zum Vorjahr entsprach. Pro Hektar werden in Afghanistan 145 Kilogramm Cannabis-Harz gewonnen. Zum Vergleich: Das weltgrößte Cannabis-Anbauland Marokko erzielt nur 40 Kilogramm pro Hektar. Rund 6400 Dollar Umsatz erzielt der afghanische Hanfbauer pro Hektar – also 1800 Scheinchen mehr als für den Anbau von Schlafmohn.
Unter diesem Aspekt hat sich der Kriegsbeteiligung der Bundeswehr in Afghanistan gelohnt, so zynisch das auch klingen mag. Der Nachschub mit „Schwarzen Afghanen“ für die Bongs der Welt war einigermaßen gesichert. Aber nicht nur das: Fast zwanzig Jahre lang durfte die Nachfolgeorganisation der Deutschen Wehrmacht unter realen Bedingungen die Kriegskunst üben – ausgerüstet von deutschen Waffenschmieden, die für ihre um die Ecke schießenden Sturmgewehre weltweite Reklame schieben durften.
Dass der Einsatz zum „Wiederaufbau der Infrastruktur in Afghanistan“ jährlich rund eine Milliarde Steuergelder geschluckt und 59 deutschen Soldaten das Leben gekostet hat, ist dagegen nur als marginal zu betrachten – denn wo gehobelt wird, da fallen auch Späne, wie schon der olle Clausewitz sagte.
In diesem Sinne wollen wir allen Beteiligten dieses Hals über Kopf abgebrochenen humanitären Kriegseinsatzes im hinteren Orient danken. Das habt ihr fein gemacht, ihr Kriegskünstler – das Vaterland wurde erfolgreich in den blühenden Landschaften am Hindukusch verteidigt. Nun müssen die glorreichen Taliban nur noch begreifen, dass der Sieg erst ein Sieg ist, wenn auch das Trauerspiel des War on Drugs in Afghanistan beendet ist.
Was für Traumtänzer sitzen denn in unseren Ministerien? Ihre übersetzungsmöglichkeiten sind auch begrenzt. CIA heißt übersetzt Cocain Import Agency und das trifft nicht nur auf Kokain, sondern auch auf Heroin zu. Verlogenes und lorruptes Pack, wohin man schaut.
Danke für den geschichtlich detailierten Afghanistanartikel mit seinen kleinen, satirischen Einlagen. Zur Ergänzung möchte ich nur noch hinzufügen, dass der deutsche Imperialismus seine kolonialen Interessen andernorts durchaus “mit Pulverdampf” versucht hat durchzusetzen(z.B. beim Massenmord an den Herero und Nama in Afrika). Abgesehen vom dumpfbackigen Rassismus war das wohl auch wieder einmal eine kapitalistische Kostenminimierungsfrage mit eiskalten Effektivitätseinschätzungen. Wenn sich ein Massenmord auszahlt, wird er durch Investitionen aus der Konzernwirftsachaft durchgeführt (z.B.historisch auch durch Thyssen, Krupp, Siemens und Konsorten als Nutzniesser und Unterstützer der Nazis, des Holocaust und des 2.Weltkriegs). Aktuell dazu nur noch ein Hinweis an die vielen Waffenexporte der westlichen Welt (inkl.Deutschland) an die reaktionären Regierungen von Türkei(Kurdenmetzler), Saudi-Arabiern (Jemenitenmetzler) usw. Alles für Grund- und Menschenrechtsverwirklichung, verlogenes Pack!CDU/CSU, SPD,Grüne,FDP… Weiterlesen »
Danke Sadhu von Hemp,
geil geschrieben – macht Spass zu lesen
Es bleibt zu hoffen, dass es den armen, gebeutelten Afghanen in absehbarer Zeit gelingt, endlich einen legalen Cannabismarkt zu schaffen, um die große Nachfrage auf internationaler Ebene nach gutem Hanf zu stillen.
Schließlich verfügen sie über die potentesten Haschischsorten weltweit, die bei entsprechender Einnahme
so gut wie jeder Krankheit den Garaus machen.
Das westliche Ausland sollte den Taliban klarmachen, dass dies eine gute Alternative zum Opiumanbau wäre und ihre eigenen Märkte zunächst mal wenigstens zur medizinischen Versorgung öffnen.
So könnte Deutschland mit gutem Beispiel vorangehen und für eine bessere Zukunft der Afghanen sorgen.
Schöner Artikel! Lese Sadhu immer gerne. Das schlimmste an dem verlorenen Krieg ist, daß es evtl. bald keinen schwarzen Afghanen mehr gibt, das Zeug was ich immer am allerliebsten geraucht habe, nicht die 59 Toten. Das Dope war es wert denke ich. Die deutschen Verluste des gesamten Afghanistankrieges hat Oberst Klein mit einem einzigen Einsatz wieder wettgemacht. Waren zwar keine Soldaten sondern die meisten Zivilisten und auch Frauen und Kinder und Jugendliche dabei, was da halt so frei rumläuft und Sprit klauen will, aber dafür hat er mit der Sprengung des Tankers viel mehr Tote erzeugt und das mit einem einzigen Angriff! Ist ja auch anschließend ausgezeichnet worden muß ja irgendwie anerkannt werden solch ein Heldenmut! Wir haben nur noch… Weiterlesen »
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