Eine Berliner Cannabis-Fachverkäuferin berichtet von der vordersten Front des War on Drugs während der Corona-Krise
Ein satirischer Beitrag von Sadhu van Hemp
Ahoi Katinka! Du bist seit über dreißig Jahren im illegalen Cannabis-Gewerbe tätig und wirst sicher so einiges erlebt haben. Dazu zählen auch der Mauerfall 1989 und die Vereinigung Deutschlands 1990. Dass sich die Zeiten ändern, ist Dir nicht fremd, und Du hast es als politisch und strafrechtlich Verfolgte gelernt, Dich auf neue Situationen und Herausforderungen einzustellen. Doch wie verhält es sich jetzt, nachdem wegen der Corona-Seuche alle Macht von der Exekutive ausgeht und die Bürger und Bürgerinnen ihrer Freiheitsrechte beraubt wurden?
Als Mitte März die Corona-Verordnung in Kraft trat und sich Berlin wegen der Ausgangsbeschränkungen und Kontaktsperre über Nacht in eine Geisterstadt verwandelte, hatte ich ernsthafte Sorge, dass die Auswirkungen meinem Business schweren Schaden zufügen können. Zum einen fürchtete ich, dass es wegen der hohen Polizeipräsenz zu Lieferengpässen bei Haschisch kommt. Zum anderen erwartete ich Umsatzeinbußen, wenn die Partystadt Berlin zu einem menschenleeren Kuhkaff verwaist.
Ja, Berlin ist dieser Tage nicht wiederzuerkennen. Die Stadt ist leer wie sonst nur zu Weihnachten, wenn die Touristen und Zugezogenen weit weg von Spree und Havel daheim bei Mutti unterm Christbaum sitzen. Mit Einbruch der Dunkelheit werden in der Stadt, die sonst nie schläft und rund um die Uhr geöffnet ist, die Bürgersteige hochgeklappt. Zudem verbieten die Kontaktbeschränkungen Spaß mit anderen Menschen: Keine gemütlichen Kneipenabende mehr, keine Tanzveranstaltungen und keine Partys. Wo nicht gefeiert wird, wird auch nicht gegiftet.
Das mag sein, aber ich merke davon nichts. Das liegt natürlich auch daran, dass ich nicht mit Partydrogen, sondern ausschließlich mit Haschisch und Marihuana handle. Zudem bediene ich in erster Linie Stammkunden und kleinere Hausdealer. Mit dem illegalen Straßenhandel, der für Touristen und Gelegenheitskiffer zuständig ist und von den etwas schwereren Jungs organisiert wird, habe ich nichts zu tun. Gut möglich also, dass der kleine Dealer, der auf Straßenhandel und Partyvolk spezialisiert ist, gerade ein Problem hat. Bei mir ist das Business nicht eingebrochen. Eher das Gegenteil ist der Fall: Die Umsätze steigen.
Woran liegt’s? Was meinst Du?
Wirklich schwer zu sagen. Ich bin vielleicht auch nicht repräsentativ, da ich in denen letzten Monaten verstärkt von Kollegen angefragt werde, bei denen Engpässe beim Einkauf von Haschisch herrschen. Grund dafür sind die Erfolge der spanischen und marokkanischen Polizei, die im letzten Jahr schwer aufgerüstet haben und große Mengen Haschisch abgreifen konnten. Ihr vom Hanf Journal habt ja ausführlich darüber berichtet. Seltsamerweise herrscht nur im mittleren und unteren Preissegment Ebbe. Was da genau vorgeht zwischen Drogenfahndern und Großhändlern, weiß ich nicht. Aber es riecht nach Marktbereinigung zu Gunsten einiger weniger. Offenbar schlägt sich das auch auf das hiesige Geschäft nieder. Aber das ist nicht ausschließlich der Grund der verstärkten Nachfrage. Die Coronakrise trägt auch einen erheblichen Teil dazu bei, dass Hasch und Gras wie geschnitten Brot weggehen.
Wie kommt’s? Ist doch tote Hose in der Stadt.
Ja, das ist es ja. Die Leute haben Langeweile. Die Abwechslung fehlt. Wer nicht Fußball spielen darf, der legt die Beine hoch und raucht in der Zeit eben zwei oder drei Tüten, die er beim Sport nicht gedampft hätte. Die Hälfte meiner Kundschaft arbeitet jetzt im Home-Office, und keinen Chef und Kollegen stört es, wenn man dabei raucht, säuft oder kifft. Zudem ist Berlin die Stadt der Singles. Viele schmoren im eigenen Saft, ohne soziale Kontakte. Kein Wunder also, dass mehr gekifft wird als vor dem Lockdown.
Was denkst Du? Wird sich die weltweite Corona-Krise auch auf die Preise in Berlin niederschlagen?
Das lässt sich schwer prognostizieren. Meine Lager und die meiner Grossisten sind mit Haschisch voll. Etwas enger sieht es bei der Frischware Gras aus. Aber das ist nicht neu, da die Nachfrage nach qualitativ hochwertigem Weed schon vorher hoch war. Ich denke, das wird sich einpendeln, zumal damit zu rechnen ist, dass Berlin so schnell nicht zur Partystadt zurückfinden wird. Überschüsse sind also vorhanden, vor allem in den Niederlanden, wo die Coffeeshopware vertrocknet, weil die Touristen ausbleiben. Über kurz oder lang wird das überschüssige Gras schon seinen Weg nach Berlin finden. Größere Sorge als das Preisniveau bereitet mir die Kaufkraft der Kunden. Es könnte schon zu einem Umsatzeinbruch kommen, wenn den Leuten in den nächsten Monaten allmählich das Geld ausgeht. Noch lässt die große Entlassungswelle auf sich warten. Aber sie wird kommen und viele in den Ruin treiben.
Auch in Berlin zeigt die Polizei vermehrt Präsenz. Zugleich halten sich die Bürger*innen weitgehend an die Beschränkungen, so dass weniger Menschen unterwegs sind. Die Gefahr ist also groß, von der Polizei herausgepickt und kontrolliert zu werden. Wie gehst Du mit dem erhöhten Risiko für Dich und Deine Kunden um?
Oh ja, die Beschneidung der Bewegungsfreiheit erfordert mehr Wachsamkeit. Die Zeiten, als ich meine Kunden bei mir zu Hause antanzen ließ, sind erst einmal vorbei. Ich wohne in einem Mehrfamilienhaus, also Wand an Wand mit Leuten, von denen ich nicht weiß, wie sie ticken. Vor der Krise waren alle mit sich selbst beschäftigt, nun hocken die meisten gelangweilt in ihren Buchten und mancher brütet nichts Gutes aus. Plötzlich wird die jahrelang übersehende Nachbarin interessant und man wundert sich, dass es bei der schrägen Tante wie im Taubenschlag zugeht. Mit Neugier fängt es an und mit einem Anschiss hört es auf. Nee, das Kontaktverbot verbietet Kundenbesuche. Bis auf weiteres ist Lieferdienst angesagt. Schauen wir mal, wie sich das entwickelt und ob es auf den Straßen für unsereins wieder sicherer wird. Dank der ersten Lockerungen füllen sich ja zumindest tagsüber wieder die Straßen.
Du sprichst es an, Katinka. Die Corona-Pandemie gebiert zu allem Überdruss auch noch eine andere Seuche – und zwar die der Denunzianten.
Ja, es ist absurd! Die Bevölkerung hat sich selbst gegenseitig unter Beobachtung gestellt, seitdem Social Distancing angeordnet ist. Sich unauffällig zu verhalten, ist jetzt oberstes Gebot. Meinen Lieferdienst beginne ich am frühen Nachmittag, wenn die Straßen etwas voller werden. Im Geleit habe ich einen kleinen Terrier, den ich mir bei meiner betagten Nachbarin ausleihe. Als Gegenleistung kaufe ich für sie ein. Mit dabei auch immer meine Schutzmaske, die mich als gehorsame Bürgerin kennzeichnet und mich zugleich unkenntlich macht. Die kurzen Wege mache ich zu fuß, die weiten mit dem Auto. Spätestens zur Dämmerung, wenn sich die Straßen wie von Zauberhand selbst leerfegen, bin ich wieder zu Hause. Und dann sitze ich wie alle anderen in der Stube und drehe Däumchen. Im Grunde kann ich froh sein, durch den Lieferdienst mal an die frische Luft zu kommen.
Viele Kleinunternehmer und Soloselbstständige werden von Vater Staat in der Krise finanziell unterstützt. Bundesfinanzminister Olaf Scholz hat die Bazooka abgeschossen und tüchtig Geld regnen lassen. Eigentlich wäre es nur gerecht, wenn auch mutige Frauen wie Du, in das Soforthilfeprogramm für Coronageschädigte aufgenommen werden.
Richtig, auch ich bin eine soloselbstständige Freiberuflerin, die wegen der erschwerten Arbeitsbedingungen unter den Corona-Schutzschirm gestellt werden müsste. Aber ganz ehrlich. Leute: Ich bin zwar eine Verbrecherin, aber keine Betrügerin. Ich hätte die Soforthilfe nicht verdient. Bei mir brummt das Geschäft trotz Corona. Aus dem Topf sollen sich mal die bedienen, die wegen der Krise wirklich bankrottgehen und das Corona-Sterbegeld bitter nötig haben.
Liebe Katinka, wir danken Dir für Deine offenen Worte und wünschen Dir, dass Du gut und unbeschadet den Corona-Wahnsinn überstehst.
[… Liebe Katinka, wir danken Dir für Deine offenen Worte und wünschen Dir, dass Du gut und unbeschadet den Corona-Wahnsinn überstehst. …] das wünschen WIR auch – besonders das mit dem …-sinn. UND hoffen WIR, dass immer mehr kluge Menschen dieses Teil-“System Prohibition” zu verstehen beginnen. Das ist noch kein Aktiv-Werden, aber vielleicht sowas wie ein archaischer Muntermacher, wenn man in den Abgrund geblickt hat und “erschauert” ist. Ich kenn das nur zu gut seit 2011. Mit der Zeit stumpft man allerdings etwas ab, aber weh tut “das” trotzdem, wenn man es ins Bewusstsein lässt. Ich empfinde es als eine Ohnmacht, die man als kleiner Mensch ertragen muss oder verdrängen, um unbesorgt weiter leben zu können. Ein ÜBERlebensmechanismus. :-/ Ein… Weiterlesen »