Donnerstag, 19. September 2019

Die nicht erwarteten Partner von CBD

Über die überraschende Freizügigkeit des wohl wichtigsten Cannabinoids


Wie die Cannabinoide im menschlichen Körper wirken, ist ein äußerst komplexer Vorgang, deren Details ihres besonderen Mechanismus wir gerade erst zu verstehen beginnen. Denkt einfach einmal daran: vor einem halben Jahrhundert wussten wir noch nicht einmal etwas über die Existenz dieses komplett separaten Endocannabinoidsystems und erst vor einer Dekade wunderte man sich noch sehr über den sogenannten „Entoutrage-Effekt“. Ähnlich komplex ist es, wie CBD – der Hauptwirkstoff förderlicher Hanfeigenschaften – überhaupt funktioniert. In einem anderen Artikel befassen wir uns mit den Details, wie der Mechanismus funktioniert, der Cannabidiol mit den Endocannabinoid System interagieren lässt. Diese Interaktion ist extrem komplex und beinhaltet verschiedene Wege des CBDs, um sich an den Rezeptoren zu binden sowie auch indirekte Effekte auszulösen (hauptsächlich des Effekts auf Anandamid). Auch gibt es Informationen in Artikeln, welche die Effekte von Cannabidiol auf das Serotoninsystem beinhalten – ein Themenkomplex der gerade erst versucht wird aufgeschlüsselt zu werden, obwohl er wohl einen Durchbruch über das antipsychotische und antidepressive Potenzial von Hanf in sich birgt. In diesem Artikel hier versuchen wir dagegen einen kleinen Kreis zu schließen, der sich mit der Frage der Auswirkungen von CBD auf andere Rezeptoren beschäftigt, bei denen eine gewisse Anzahl zu besonders exotischen Rezeptoren zählt. Wie wir sehen werden, ist die Wirkung, die das wichtigste Cannabinoid auf den menschlichen Körper ausübt, extrem komplex und beinhaltet dessen überraschende Interaktionen mit Vanilloiden, Adenosin, Dopamin und neben anderen Verbindungen auch mit dem Opioid-System.

Eine freizügige Substanz

Zuerst eine kleine Erinnerung. Die Tatsache, dass wir die Wirkung von CBD auf vielen Ebenen und an vielen verschiedenen Rezeptoren vieler verschiedener Systeme analysieren können, rührt von der Pleiotropie und Promiskuität dieses Cannabinoids her. Pleiotropie  – die Ausprägung mehrerer phänotypischer Merkmale, die durch ein einzelnes Gen hervorgerufen wird – bezieht sich auf den Fakt, dass eine Substanz mehr als einen einzigen spezifischen Effekt verursachen kann, während Promiskuität – ja, das ist tatsächlich ein wissenschaftlicher Begriff, der für Freizügigkeit steht – darauf hindeutet, dass eine Substanz mehr als nur ein pharmakologisches Ziel anspricht. In unserem Kontext bedeutet dies, dass mit mehr als einem spezifischen Typ eines Rezeptors Interaktion und eine Bindung stattfinden kann. Diese zweite Eigenschaft – die Promiskuität von Cannabinoiden – spornt Moleküle dazu an, nach mehr als einem molekularen Partner zu suchen, und dank dieser Eigenschaft kann man die Auswirkungen von CBD auch außerhalb seines “dedizierten” Endocannabinoidsystems betrachten.

Erwähnenswert ist dazu auch, dass diese pharmakologische Promiskuität eher typisch für Substanzen natürlichen Ursprungs und für die frühe Generierung von Arzneimitteln ist. Dafür gibt es einen einfachen Grund: Arzneimittelhersteller versuchen heute ein potentes und möglichst selektives Produkt zu kreieren (sich auf ein pharmakologisches Ziel zu konzentrieren, soll auch mögliche potenzielle Nebenwirkungen ausschließen), während Mutter Natur sich hier hingegen ein wenig verschwenderischer zeigt. Aus diesem Grund besitzen Substanzen in Pflanzen – so wie auch die Cannabinoide – öfter auch eine größere Bandbreite an unterschiedlichen zuträglichen Eigenschaften, welche sie beim Konsum demonstrieren. Bei dieser Sichtweise aus den Augen von Konsumenten ist der Griff zu Hanfprodukten aufgrund ihrer allgemeinen positiven Effekte auf den Körper (CBD-Hanföl stellt ein bestes Beispiel für derartige Nahrungsergänzungsmittel dar) ein unbezahlbarer Vorteil für diverse Effekte. Dennoch kann die Pleiotropie auch ein kleines Problem darstellen, betrachtet man potenzielle Einsätze im medizinischen Sinne. Für einen allgemeinen gesundheitsförderlichen Einsatz ist daher empfohlen, sich auf Vollspektrumextrakte der gesamten Pflanze zu verlassen, während die Pharmaindustrie sich wohl eher für die Isolate interessieren wird (die Koexistenz mehrerer Cannabinoide und ihre Synergien behindern zusätzlich die gewünschte Selektivität), oder sich daran versucht, „verbesserte“ synthetische Cannabinoide einzusetzen.

Zu guter Letzt ist es erwähnenswert, dass das einfache Auftreten dieser Form von „Nebenwirkungen“ davon abhängig ist, wie stark Substanzen vorhanden oder konzentriert sind. Im Falle von niedriger dosierten Cannabidiol werden bloß gewisse Effekte auftreten, die mit dem Endocannabinoidsystem in Verbindung stehen, während eine Erhöhung der Konzentration im Körper auch andere Rezeptoren effektiv ansprechen kann. 

Dopaminrezeptoren

Dopamin ist einer der wichtigsten Neurotransmitter. Man bezeichnet es – in einfacher Form – gerne als den Neurotransmitter für Befriedigung und Erfüllung, doch es ist ein klein wenig komplizierter. Genauer stellt Dopamin ein wichtiges Element in dem sogenannten Belohnungssystem des Körpers dar, aber die Effekte dieses Neurotransmitters sind wesentlich komplexer. 

Fünf verschiedene Typen von Dopaminrezeptoren sind bislang identifiziert worden. Sie befinden sich in den limbischen, extrapyramidalen und hypothalamischen Systemen und regulieren emotionale Prozesse, höhere Gehirnfunktionen, Muskeltonus und Hormonsekretion.


CBD bindet an den D2-Rezeptor in einem Zustand hoher Affinität zu Dopamin (dieser Rezeptor kann in zwei Dopamin-Affinitätszuständen existieren, die als D2Low und D2High bezeichnet werden). Der D2High-Rezeptor ist mit dem Auftreten von Schizophrenie und Psychosen assoziiert. Cannabidiol ist ein partieller Agonist des D2High-Rezeptors, was möglicherweise mit der antipsychotischen Wirkung des Hanfwirkstoffes zusammenhängt. Bestimmte Nebenwirkungen von CBD – wie Schläfrigkeit, Müdigkeit, Appetitlosigkeit und Übelkeit – können auch mit der Wechselwirkung dieses Cannabinoids und dem betreffenden Rezeptor zusammenhängen.

Opioidrezeptoren

Die Opioidrezeptoren werden hauptsächlich mit der Schmerzwahrnehmung in Verbindung gebracht, doch sollen sie auch für das Empfinden von Schläfrigkeit und Lust mit verantwortlich sein. Ebenso regulieren sie das Atmungssystem. Die Opioidrezeptoren werden durch endogene Substanzen wie Endorphine sowie durch das gesamte Spektrum synthetischer Opioide stimuliert: von Codein bis Heroin. Genannte Opioide werden hauptsächlich in starken Schmerzmitteln verwendet.

Es wurde nachgewiesen, dass CBD ein schwach negativer allosterischer Modulator der Opioidrezeptoren μ (mu) und δ (delta) ist. Die allosterische Modulation ist eine Möglichkeit, den Rezeptor indirekt zu beeinflussen – im Falle einer negativen Modulation ist es weniger wahrscheinlich, dass der Rezeptor seine dedizierten Neurotransmitter bindet. Es wurde jedoch nur die Wechselwirkung von CBD mit diesen Opioidrezeptoren untersucht, wohingegen die möglichen Auswirkungen dieser Wechselwirkung nicht untersucht worden sind. Wichtiger als die direkte Stimulation mit Cannabidiol scheint die Dimerisierung von CB1-Rezeptoren mit Opioidrezeptoren zu sein (Dimerisierung ist eine Art Verstrickung von Rezeptoren verschiedener Typen, solche Hybridrezeptoren weisen häufig einzigartige Eigenschaften auf). CBD hat einige analgetische Wirkungen und geht einige interessante Synergien mit Opioiden ein. Inwieweit diese Eigenschaften jedoch mit indirekten oder direkten Wirkungen auf das Opioidsystem zusammenhängen, muss noch untersucht werden.


Adenosinrezeptoren

Adenosin dient als Botenstoff des Nervensystems. Es spielt die Schlüsselrolle bei der Übertragung von Signalen vom Gehirn zum Rest des Körpers. Einer der bekanntesten Antagonisten von Adenosinrezeptoren ist Koffein.

CBD beeinflusst Adenosinrezeptoren nicht direkt, sondern ist ein Adenosin-Wiederaufnahmehemmer. Diese Art der Wechselwirkung beinhaltet die Erhöhung der Menge des aktiven Neurotransmitters in den Synapsen, wodurch dessen Funktion verbessert wird. Insbesondere stört CBD die Aktivität von ENT1 – einem Adenosintransporter, der es aus den Synapsen entfernt. Wir haben es hier mit einer ähnlichen Situation zu tun wie mit der Wirkung von CBD auf das FABP-Protein im Endocannabinoidsystem. Die möglichen Wirkungen von Cannabidiol auf den Adenosin-A1A-Rezeptor können mit seinen entzündungshemmenden Eigenschaften sowie mit einigen unerwünschten Nebenwirkungen wie Schläfrigkeit verbunden sein. Es wurden jedoch keine Untersuchungen durchgeführt, um die praktische Bedeutung dieses Effekts zu untersuchen.

Glycinrezeptoren

Glycinrezeptoren (GlyRs) sind ligandengesteuerte Ionenkanäle (während die meisten der hier beschriebenen Rezeptoren G-Protein-gekoppelte Rezeptoren sind), die die Aktivierung des Nervensystems hemmen. Daher reguliert Glycin das Schmerzempfinden und Entzündungen. Sowohl CBD als auch Anandamid sind positive allosterische Modulatoren des GlyR-Glycinrezeptors – das heißt, sie können die Wahrscheinlichkeit die Aktivierung dieses Rezeptors erhöhen. In Anbetracht der Tatsache, dass CBD die Zufuhr und Aktivität von Anandamid signifikant beeinflusst und dass beide Verbindungen auf GlyR-Rezeptoren wirken, kann angenommen werden, dass einige der analgetischen und entzündungshemmenden Wirkungen von Hanf mit Glycin zusammenhängen. Die ersten Studien an Tieren legen in der Tat nahe, dass CBD die Übertragung von Schmerzsignalen entlang der Wirbelsäule verlangsamt, indem es auf die Glycin-α-3 -Rezeptoren einwirkt.

GABA-Rezeptoren

GABA oder Gamma-Aminobuttersäure ist einer der wichtigsten Neurotransmitter mit allgemeinen inhibitorischen Eigenschaften. Zwei Arten von GABA-Rezeptoren werden von Substanzen wie Alkohol und Benzodiazepinen angesprochen.

CBD bindet am GABA-A-Rezeptor (allerdings anders als Benzodiazepine) und dient als positiver allosterischer Modulator. In einem Tiermodell wurden antikonvulsive und analgetische Wirkungen von CBD beobachtet, die mit der Stimulierung von GABA-Rezeptoren verbunden sind.

Vanilloidrezeptoren

Der schmackhafte Begriff “Vanilloidrezeptor” bezieht sich auf den TRPV1-Rezeptor, der das Gefühl von Schmerz und Temperatur vermittelt. Interessanterweise ist eine der bekanntesten Substanzen, die TRV1 aktivieren, Capsaicin – eine Verbindung, die für die Schärfe von Chilischoten verantwortlich ist.

CBD (ebenso wie das Anandamid) ist ein TRPV1-Rezeptoragonist. Paradoxerweise verursacht die Stimulation von TRPV1 kein längeres Gefühl von brennendem Schmerz, sondern im Gegenteil – sie unterdrückt seine Wirkung und lindert das Gefühl chronischer Schmerzen. Capsaicin wird bereits zur Linderung von chronischen neuropathischen Schmerzen eingesetzt, was die Hoffnung auf ein ähnliches Potenzial seitens CBD weckt.

Praktische Auswirkungen

Wie wir gesehen haben, aktiviert CBD viele verschiedene Rezeptoren und dies auf viele verschiedene Arten – es wirkt als Agonist, Antagonist, allosterischer Modulator, partieller Agonist, inverser Agonist … Kann diese unbestreitbare Promiskuität von Cannabidiol zu ebenso vielen nützlichen Anwendungen führen? Es ist schwer zu diesem Zeitpunkt zu bestimmen. Das Potenzial von Cannabis ist enorm, aber seine Wirkungen außerhalb des Endocannabinoidsystems scheinen ziemlich begrenzt zu sein – zumindest bis eingehendere Untersuchungen durchgeführt werden.

Für Verbraucher, die zur allgemeinen Verbesserung der Gesundheit nach aus Hanf gewonnenen Nahrungsergänzungsmitteln wie CBD-Hanföl greifen, haben Cannabidiol-Tricks innerhalb des GABA- oder Vanilloid-Systems jedoch nur geringe praktische Konsequenzen. Warum? Erinnern wir uns an den ersten Teil unseres Minizyklus. Die Aktivierung weiterer pharmakologischer Ziele von Cannabinoiden erfolgt in höheren Konzentrationen – normalerweise nach Verabreichung von medizinischen Präparaten oder Isolaten. In Anbetracht der Tatsache, dass die einzige Form von CBD, die in hierzulande sowohl legal als auch allgemein verfügbar ist, Pflanzenextrakte sind, die den Status von Nahrungsergänzungsmitteln haben – das heißt: Wirkstoffe mit mäßigem Cannabidiolgehalt sind – sollte festgestellt werden, dass Verbraucher, die nach solchen Hanfpräparaten greifen, hauptsächlich von den Effekten profitieren, die mit der Aktivierung des Endocannabinoidsystems verbunden sind. Bei solchen Verbrauchern bleibt die Auswirkung von CBD auf andere Systeme und Rezeptoren daher vernachlässigbar gering. Bezüglich der spezifischen, streng medizinischen Anwendung von Cannabidiol und der möglichen praktischen Auswirkungen seiner Wechselwirkung mit Serotonin-, Dopamin- oder Opioidrezeptoren warten wir dagegen noch auf weitere Untersuchungsergebnisse. Nur dann wird es möglich sein, über die praktische Bedeutung der Auswirkungen der CBD auf andere Systeme zu sprechen – und selbst dann wird eine solche Auswirkung wahrscheinlich nur für Patienten relevant sein, die andere Medikamente gleichzeitig einnehmen. Für alle anderen Personen – das heißt: für diejenigen, die nach Nahrungsergänzungsmitteln aus Hanf zur allgemeinen Verbesserung der Gesundheit greifen – wird die Wirksamkeit von CBD außerhalb seines „zweckgebundenen“ Systems eine akademische Neugier bleiben, die praktisch bedeutungslos ist, jedoch inspiriert und zum Nachdenken anregt. Wie komplex sind die Wege des Hanfs – und wie wenig wissen wir noch über sie!

Quellen:

P. Consroe, M. Benedito, J. Leite, E. Carlini, R. Mechoulam: Effects of cannabidiol on behavioural seizures caused by convulsant drugs or current in mice.

How CBD Works.

C.Ibeas Bih, T. Chen, A. Nunn, M. Bazelot, M. Dallas, J. Whalley: Molecular Targets of Cannabidiol in Neurological Disorders.

P. Morales, Dow P. Hurst, P. Reggio: Molecular Targets of the Phytocannabinoids-A Complex Picture.

THC & CBD – Promiscuous Partners With Many Receptors.

J1. Wager-Miller, R. Westenbroek, K. Mackie: Dimerization of G protein-coupled receptors: CB1 cannabinoid receptors as an example.

W. Xiong, T. Cui, K. Cheng, F. Yang, S. Chen, D. Willenbring, Y. Guan, H. Pan, K. Ren, Y. Xu, L. Zhang: Cannabinoids suppress inflammatory and neuropathic pain by targeting α3 glycine receptors.

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R. Maestro
4 Jahre zuvor

Mir ein bisschen zu lange der Artikel, ich hab ihn nur überflogen. Aber die Eigenschaften als Medizin und die Eigenschaften als Rohstoff sind mit die wahren Gründe für das Verbot! Man sieht lieber Menschen beim Sterben zu und füllt sie lieber mit Gewinn versprechendem Pharmamüll ab. Ich habe noch kein einziges sinnvolles Argument für solches Verhalten gefunden. Man spricht gern mal vom rauhen Mittelalter. Dabei war die Medizin damals mehr für den Menschen da als heute. Hier und heute werden alle lieber verheizt, um der (modernen) Pharmaindustrie in den Allerwertesten zu kriechen. (Vielen sei gesagt: dort wird es langsam eng.) Aber unsere sog. “Volksparteien” würden ohne Zahlungen dieser Art vermutlich den Bach hinunter gehen. Auch 1933 wurden bereits Stimmen gekauft.… Weiterlesen »

R. Maestro
4 Jahre zuvor

Jetzt und heute reisst man sich plötzlich angeblich den Arsch auf, für die Umwelt. Ohne den öffentlichen Druck hätte man es nie getan! Sappralott, jetzt schreibt man sich plötzlich die Zukunft aller auf die Fahne? Man hat weitestgehend auf alles geschissen, was das Leben und unser aller Fortbestand bedeutet hat. Jetzt auf Druck hottet man? Warum nicht vorher? Die Wirtschaft hat es verm. untersagt. Ohne Druck hätte man ein “weiter so” bis aller Ende probagiert. Die Wirtschaft war bisher ausschlaggebend, nicht das lebenswerte Leben aller, nicht das Allgemeinwohl. Und die schwarze Null. Dafür reitet man alles kaputt, um diese zu erreichen? Renten, BER, Bundeswehr, das Gesundheitssystem, das Rentensystem, nahezu alles wird der dummen schwarzen Null geopfert? Ja? Die Menschen werden… Weiterlesen »