Samstag, 24. September 2016

Tatwaffe im Interview

 

 

„Dadurch, dass Cannabis in der Gesellschaft lange tot geschwiegen wurde, fehlt es an Bildung.“

 

Quelle: SureShot Promotions/ Fotograf:  Mirko Polo
Quelle: SureShot Promotions/ Fotograf: Mirko Polo

 

von Janika Takats 

 

Mit rund 25 Jahren Erfahrung gehört Alexander Terboven aka Tatwaffe zu den Urgesteinen der deutschen Hip Hop-Szene. Zusammen mit seiner Crew „Die Firma“ schreib er Hip Hop Geschichte und inspirierte die Nachfolgende Generation. Nun ist Tatwaffes neues Album „Sternenklar“ erschienen und der Rapper stellt unter Beweis, dass er keines Falls den Anschluss verloren hat. Das Hanf Journal hat mit ihm über die Vergangenheit, Fußball und Cannabis in und außerhalb von Hip Hop gesprochen.

 

 

Dein neues Album ist gerade herausgekommen. Was erwartet uns?

 

Der Titel „Sternenklar“ ist mehr als ein Wort für mich. 1992 habe ich meine erste Single veröffentlicht, bin also schon lange dabei. Mit meiner Crew Die Firma habe ich sechs Alben veröffentlicht und ein Soloalbum. Das neue Album ist in gewisser Weise ein Neustart für mich. Ich bin kein Rapper, der stehengeblieben ist, sondern höre und mag auch die neue Musik sehr. „Sternenklar“ bedeutet für mich: Kopf hoch, egal wie düster es aussieht, denn da oben stehen immer noch die Sterne und der Blick ist frei. Das Album ist von vorne bis hinten so wie es mir gefällt. Ich sehe mein Ziel vor Augen und kenne meinen Weg und ich hoffe damit Menschen aus der Seele zu sprechen. Musikalisch gesehen enthält das Album moderne Elemente wie Trap, ist aber im Wesentlichen ein Rap-Album wie man es erwarten würde. Es sind auch einige old school Beats dabei und zwei West Coast Tracks.

 

Hast du das Gefühl, dass sich deine Arbeitsweise über die Jahre verändert hat?

 

Ein wichtiger Unterschied sind definitiv die neuen Medien. Zu Die Firma Zeiten hattest du deine Promoter gehabt, die deine Musik bei Zeitungen und Radiosendern beworben haben. Heute liegt viel an einem selber, egal ob du bei einem großen Label oder wie ich jetzt bei einem kleineren bist. Über Facebook bist du selbst für die Promotion verantwortlich. Es sei denn du stellst jemanden dafür an, aber dann ist die Seite ja nicht mehr wirklich „echt“. Daher finde ich eine Künstlerseite sollte immer noch vom Künstler selber geführt werden. Ich muss gestehen, dass ich da etwas der Zeit hinterher renne. Ich fange jetzt erst mit Twitter an, weil mir unzählige junge Künstler dazu geraten haben.

Das Gute an den sozialen Medien ist, dass man direkt mit den Leuten, die deine Musik hören in Kontakt treten kann und du so zum Beispiel auf Kritik eingehen kannst. Bei dem Song „Bikini“ vom neuen Album haben sich einige Leute beschwert, dass die Nummer zu poppig ist und das Video mit den halbnackten Frauen zu flach ist. Da kann ich dann antworten, dass es sich dabei um einen Song von 23 handelt und dass ich einfach mal Bock auf eine Sommernummer hatte. Ich finde als Künstler sollte man sich mit dem was Leute über deine Musik sagen auseinander setzten, auch wenn man sich selbst natürlich treu bleiben sollte. Es gefällt mir, auf diese Weise dazu die Möglichkeit zu haben.

 

Inzwischen bis du verheiratet und hast drei Kinder. Hat das deine Energie Musik zu machen verändert?

 

Dadurch, dass ich nur Musik mache und selbstständig bin, bin ich viel zu Hause, wenn ich nicht gerade auf Tour bin oder Promotermine habe. Und das genieße ich. Ich bin kein Mensch, der Kinder in die Welt setzt, weil er denkt es gehöre zum sozialen Status. Ich gehe darin auf, Zeit mit meinen Kindern zu verbringen, selbst wenn ich mit ihnen im strömenden Regen draußen spiele. Dadurch, dass ich so viel Zeit mit meinen Kindern verbringe, fällt es mir dann schwer mich loszureißen, wenn es wieder auf Tour geht und ich dann tagelang unterwegs bin. Aber ich will mich nicht beschweren. So ist es mir auf jeden Fall immer noch lieber als jeden Tag im Büro zu sitzen.

 

Mit „0 Tore“ hast du einen Song über Manuel Neuer gemacht. Bist du selber großer Fußballfan?

 

Ich bin erst über meine beiden Jungs richtiger Fußballfan geworden. Früher war ich manchmal mit Freunden auf dem Bolzplatz, habe ansonsten aber eher Basketball gespielt. Als meine Kinder drei/vier waren haben wir sie im Verein angemeldet. Ich bin dann selbst in die Sache reingewachsen und seit knapp vier Jahren sogar selber Trainer. Auf einer Party habe ich dann einen der besten Freunde von Manuel Neuer kennen gelernt. Wir haben ein Selfi gemacht und ihm geschickt und er fand’s cool. Dadurch ist mir die Idee gekommen mit meinen Kids zusammen ein Lied über ihn zu machen. Die sind nämlich beide Riesenfans von ihm. Die beiden sind jetzt in den Hooks zu hören. Das Lied haben wir nach der WM aufgenommen. Damals waren die beiden also noch kleiner und es war für sie nicht ganz einfach das einzurappen. Heute hätten sie damit keine Probleme mehr. Zur EM haben mich die Jungs gedrängt dazu ein Video zu machen. Wir haben dann die ganze Fußballmannschaft genommen und die Kids haben sich riesig gefreut. Schon allein dafür hat sich der Aufwand gelohnt.

 

Verfolgst du die Debatte über die Legalisierung bzw. Regulierung von Cannabis?

 

Ja und ich habe auch eine klare Meinung dazu. Auf Grund der Erfahrungen, die ich in meinem Freundes- und Bekanntenkreis gemacht habe, bin ich ganz klar für eine Legalisierung. Ich habe aus erster Hand mitbekommen, was Alkohol für Probleme mit sich bringt, wenn man den Konsum übertreibt. Auf Alkohol zu Hause rumzuwüten oder Frauen anzugrapschen gilt fast schon als Kavaliersdelikt. Dem entsprechend müssen die Leute nicht unbedingt mit Ärger rechnen und das gefällt mir gar nicht. Bei Cannabis hingegen sehe ich diese Gefahr nicht. Ich habe noch nie jemanden getroffen, der durchs Kiffen aggressiv geworden ist oder Lust hatte sich zu schlagen. Darin eingeschlossen bin ich auch für die Verwendung von Hanf im Allgemeinen. Wenn man überlegt, was man damit alles machen kann. Mit Hanf könnten die Regenwälder entlastet werden. Man kann daraus Kleidung, Papier und alles Mögliche machen. Das ist natürlich auch eine wirtschaftliche Frage. Anscheinend gibt es irgendeine Lobby, die sich da nach wie vor dagegen stellt.

 

Glaubst du, dass die Legalisierung in einigen US-Staaten Deutschland beeinflussen wird?

 

Durch die Legalisierung drüben wird auf jeden Fall mehr von Leuten über das Thema gesprochen, die sich davor nicht damit auseinandergesetzt haben. Drogen werden generell von der Gesellschaft verteufelt – außer Alkohol natürlich. Früher haben sich viele Leute und vor allem Eltern große Sorgen gemacht, wenn ihre Kinder mal gekifft haben und hielten den Absturz für vorprogrammiert. Heute wissen viele schon mehr darüber. Wenn sie Berichte sehen von Menschen jeder Altersklasse, die in ein Geschäft gehen, um sich Marihuana zu kaufen und ansonsten normal im Alltag funktionieren, wird dies, denke ich, ihren Geist öffnen. Daher würde ich mir sogar wünschen, dass es noch mehr Berichterstattungen gäbe. Die Lobby gegen Cannabis ist allerdings immer noch sehr stark.

Auf der anderen Seite steht der medizinische Nutzen. Die schmerzlindernde Wirkung gilt ja fast schon als unumstritten. Viele andere Behandlungsmethoden wären bestimmt noch möglich, doch die Forschung kommt auf Grund des Verbots nur langsam voran. Wenn die Legalisierung weltweit voranschreitet, wird auch sicher dort mehr investiert werden. Dann werden die Pharmakonzerne kommen und ihre Möglichkeiten ausloten. Dazu muss jedoch erst der Stempel der Einstiegsdroge verschwinden.

 

In der HipHop-Szene ist Cannabis allgegenwärtig. Hast du das Gefühl, dass man sich dort gegen negative Stigmata wehren muss?

 

Ich bin niemand der groß rumposaunt, dass er Musik macht. Ich lasse das die Leute selbst herausfinden. Wenn zum Beispiel andere Eltern es herausfinden, kommen manchmal schon so Fragen wie: „Ihr kifft doch da alle oder?“. Nach Kokain wir genauso gefragt. Ein bisschen stigmatisiert wird man schon. Ich bin allerdings ganz froh, wenn Leute es ansprechen, anstatt es sich nur zu denken. Wenn man darauf angesprochen wird, kann man darüber reden und Sachen relativieren. Es ist ja allgemein das Problem unserer Welt, dass zu wenig gesprochen wird. Dadurch entstehen vorgefertigte Tunnelblicke mit denen man durch den Alltag geht. In der Szene und in den Songs ist Marihuana nach wie vor Thema. Rapmusik ist letztendlich immer ein Spiegel der Gesellschaft, das darf man nicht vergessen. Ich bin mir sicher, dass es genauso viele Ärzte oder sogar Polizisten gibt, die ab und zu Cannabis konsumieren. Ich persönlich habe damit kein Problem. Es ist wie mit jeder anderen Droge. Man muss seine Grenzen kennen. Dadurch, dass Cannabis in der Gesellschaft lange tot geschwiegen wurde, fehlt es an Bildung. Wenn meine Kinder irgendwann kiffen sollten, kann ich zumindest mit ihren darüber reden ohne direkt durchzudrehen. Andere Leute hingegen haben immer noch das Denken, dass man gleich das Jugendamt rufen muss, wenn das Kind einmal einen Joint in der Hand hat. Stattdessen sollte man mit den Kids drüber reden. Am besten schon im Vorfeld. Zu anderen Zeiten wurden Drogen – ob nun Cannabis oder Kokain – kulturell genutzt. Wenn man an die Rituale von Indianerstämmen denkt, hatte man dort immer ältere und erfahrenere Leute dabei, die die Unerfahrenen angeleitet haben und aufpassten. Diese Einbindung fehlt bei uns. Dadurch fällt es vielen schwer damit in ihrem Bekanntenkreis oder der Familie umzugehen.

 

Mit welchen Newcomern hast du für das Album gearbeitet?

 

Auf dem Album sind Größen wie Eko Fresh, Vega oder Boska. Ich habe keine Features eingekauft, wie das andere Leute machen. Die Leute habe ich über die Musik kennen gelernt. Ich habe das Glück und die Ehre, dass Leute wie Vega oder Boska als Teenies meine Musik gefeiert haben. Da wird man ganz bescheiden, wenn Rapper, die gerade viel größer im Business sind als man selbst einem sagen: „Du bist einer der Gründe warum ich rappe“. Als Newcomer ist zum Beispiel SRZ dabei. Für ihn ist es super auf einem Album zusammen mit ein paar der besten Rapper Deutschlands zu sein. Ich komme noch aus der alten HipHop-Generation, als jeder jedem geholfen hat. Dieser Gedanke ist immer noch in mir verankert, daher unterstütze ich neue Künstler wo ich kann. Ich habe in den letzten Jahren viele Features mit unbekannteren Leuten gemacht. Ich weiß wie schwer es ist hochzukommen wenn man Talent hat.

 

Ist es für Newcomer heute anders einzusteigen als bei dir damals?

 

Früher war die Musik nicht so populär und die Szene war kleiner. Damals musste man zwei, drei Schritte machen damit sich jemand, der was zu sagen hatte diene Platte anhört. Heute stellst du was ins Netz und hast die Möglichkeit selbst Fans zu sammeln. Jedoch gibt es eine Flut an Rappern in Deutschland, dass es sehr schwer ist sich da durchzusetzen. Früher gab es weniger Konkurrenz. Du hast diene Auftritte durchgezogen und wenn du dich bewährt hast, bist du schnell mit größeren Gruppen ins Gespräch gekommen und hattest den Fuß in der Tür.

 

Trauerst du dieser Zeit nach oder schätzt du die Möglichkeiten von heute?

 

Es ist ein hin und her. Auf der einen Seite finde ich es schade, dass es die Jams nicht mehr gibt, wo die fünf bis zehn angesagtesten Gruppen ohne große Gage zusammen auftraten. Es gibt keine großen Bühnen und danach kann man direkt mit den Fans sprechen. Es ist sehr einfach geworden große Töne zu spucken und sich ein Image zuzulegen. Früher musste man sich beweisen und zudem stehen, was man sagt, da man sich nicht im Internet verstecken konnte. Auch als Fan kannst du heute die größten Beschimpfungen raushauen. Früher musstest du das jemandem direkt sagen, wenn er von der Bühne gekommen ist.

 

Vielen Dank für das Interview.

 

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