Montag, 18. Mai 2015

Über die geistbewegenden Studentenblumen

Geraucht, getrunken und geschnupft

 

 

Von Markus Berger

 

 

Psychonautik

 

Wenn von ethnobotanischen Rauchkräutern die Rede ist, wird meist auch von der Studentenblume (botanisch Tagetes) gesprochen. Tagetes-Arten werden in Büchern über Naturdrogen häufig dargestellt, obwohl die psychoaktiven Erfahrungen mit diesen Gewächsen sich nicht jedem zu erschließen scheinen. Im Gegenteil: Immer wieder behaupten Experimentatoren, dass die Einnahme von Studentenblumen nichts als Zeitverschwendung sei. Dennoch führt beispielsweise der Ethnopharmakologe Christian Rätsch die Pflanzen immer wieder in seinen Werken auf, und auch die mexikanischen Indianer der Huichol verwenden Tagetes-Arten seit langer Zeit als Ritualpflanzen – und genau das muss ja einen Grund haben. Der Autor dieses Texts hat sich also auf die Suche begeben. Auf die Suche nach der psychoaktiven Studentenblume. Und er hat sie gefunden.

 

 

Die Pflanzen

 

Die Gattung Tagetes umfasst in etwa 50 Spezies, kommt von Nord- bis Südamerika vor und ist in Mexiko und angrenzenden Gebieten am häufigsten zu finden. Für die ethnobotanische Forschung sind insbesondere fünf Spezies von Relevanz: die Tagetes lucida (als bedeutungsvollste Art), die Tagetes erecta, die Tagetes minuta, die Tagetes pusilla und die Tagetes patula. Besonders Tagetes erecta (in ihrer Zwergform nana) und die Tagetes patula sind Grundlage für die mannigfaltigen Hybriden, die wir in den Gartencentern unserer Breitengrade ohne Ende kaufen können und die in Gärten, auf Rabatten und als Zierpflanzen innerhalb unserer Städte und Dörfer sehr häufig Verwendung finden. Diese Züchtungen – und davon werden wir später noch sprechen – scheinen jedoch ihrer geistbewegenden Wirkung beraubt worden zu sein.

 

Verwendung

 

Die Tagetes-Arten gelten in Amerika als Gewürz- und Medizinalgewächse (zum Beispiel zur Behandlung von Durchfall, Schluckauf, Rheuma und Schmerzen), ganz besonders aber als Ritualpflanzen, die insbesondere als Räucherstoffe eingesetzt werden. Für die indigenen Ethnien Mexikos ist Tagetes eine magische Pflanze, kein Wunder, diente sie doch schon den Maya als Ingredienz des psychoaktiven Balche’-Trunkes. Weitere Anwendungsmöglichkeiten sind getrocknetes Tageteskraut als Paste zum Einreiben, Zubereitungen zum Auskauen (zum Beispiel zusammen mit Coca) und Schnupfpulver. Es ist aber auch eine Verwendungsart bekannt, bei der ein Dekokt, also ein wässriger Auszug in Form eines Tees, gebraucht wird. Zwei bis drei Tassen eines Aufgusses der Tagetes lucida sollen eine stimulierende Wirkung zum Ergebnis haben. Auch rauchen kann man das Kraut natürlich: „Die Huicholindianer der Sierra Madre (Mexiko) nennen Tagetes lucida entweder tumutsáli oder seltener yahutli und rauchen das getrocknete Kraut pur oder zu gleichen Teilen vermischt mit den Blättern der Nicotiana rustica. Obwohl Tagetes auch rekreational gebraucht wird, hat die Mischung doch zeremoniellen Charakter. Die Blätter und Blüten werden in Zigaretten aus Maislischblättern geraucht. Die Rauchmischung wird oft im Zusammenhang mit der Einnahme von Peyote (…) geraucht“ (Rätsch 1998: 496). Auch interessant: Das ausgequetschte Kraut der Tagetes erecta soll zusammen mit Wein oder Wasser als Aphrodisiakum nützlich sein.

 

Kulturhistorisches

 

Seit wann die Studentenblumen ethnobotanisch genutzt werden, erläutert der Kollege Christian Rätsch in seiner „Enzyklopädie der psychoaktiven Pflanzen“: „Tagetes-Arten wurden bereits in präkolumbianischer Zeit in Mexiko kultiviert und gezüchtet. Erstmals beschrieben wurden sie in dem aztekischen Badianus-Manuskript von 1552. Der aztekische Name für die Tagetes-Art(en), die als rituelle(s) Räuchermittel benutzt wurde(n), lautet yyauhtli (andere Schreibweise yyahitl); das Wort leitet sich von ujana, ‘Weihrauch, der beim Opfern geräuchert wird’, ab“ (Rätsch 1998: 495).

 

Wirk- und Inhaltsstoffe

 

Tagetes-Spezies sind reich an ätherischen Ölen, Tagetes erecta und Tagetes lucida beinhalten vermutlich auch eine Substanz, die von ähnlicher Art ist wie das stark psychotrope Salvinorin A aus dem Wahrsagesalbei Salvia divinorum. Ganz gesichert ist dies jedoch bis zum heutigen Tage nicht. Des Weiteren enthalten die Spezies unter anderem diverse Thiophene, Cumarinderivate, Cyanglykoside, Gerbsäuren und zum Teil auch Benzofurane (Tagetes patula). Eine vollständige Analyse der Inhaltsstoffe, besonders der pharmakologisch aktiven, steht noch aus und wäre für die nächste Zukunft durchaus wünschenswert.

 

Erfahrungen

 

Schauen wir uns einige Erfahrungsberichte an, von denen zum Beispiel das Internet nur sehr wenig hergibt. Ich habe im Psychedelik-Forum „Land der Träume“ einiges gefunden, das ich dem geneigten Leser nicht vorenthalten will. Hier zunächst einige Zeilen zu zwei Erfahrungen, die keine oder nur schwache bis kaum zuzuordnende Effekte zur Folge hatten (die Postings wurden stillschweigend redigiert und orthografisch angepasst): „Heute hab ich ca. 25 Gramm Tagetes lucida (auch Mexican Tarragon genannt) und ein paar Prisen Giftlattich als Tee aufgebrüht. Dann später noch ein bissl Zitronensaft dazu. Nix, absolut nix zu merken, außer ein bisschen Verpeiltheit ganz kurz, was aber auch von der Müdigkeit kommen kann.“ Und noch ein Bericht – diesmal mit einer recht großen Menge Tageteskraut –, der ebenfalls keine besonderen Wirkungen zur Folge hatte: „Ich hab das mit dem Tagetes lucida auch schon ein paar Mal ausprobiert, aber mehr als eine komische Schleiersicht hatte ich auch nicht. Hab mir das als Tee gemacht mit bis zu 10 Gramm.“

Es gibt allerdings auch User, die anderes zu berichten wissen. Offenbar spielt nicht nur die Zubereitung und Einnahmeform eine Rolle, sondern auch die Empfänglichkeit und Erwartungshaltung (was ja bei den psychoaktiven Substanzen zum normalen Programm gehört und beileibe nichts Ungewöhnliches ist): „Ich kenne nur den Tee, der schmeckt auch echt lecker, irgendwie angenehm dezent ‘anisig’. Wirkung ist leicht sedierend (chillig) und stressabschirmend.“ Noch deutlicher bringt es ein anderer User auf den Punkt: „Ich kann (…) Tagetes lucida aka yyauhtli empfehlen. Die ursprüngliche Studentenblume aus Mittelamerika. Sie wächst in unseren Breiten sehr gut, schmeckt lecker als Tee und kann dazu auch geraucht werden. Man kann sie auch als Gewürz verwenden. Die Wirkung ist beruhigend und kann in höheren Dosen auch leicht halluzinogen wirken (Closed Eyes Visuals).“

Tagetes kann aber auch als Verstärker und Synergetikum wirksam sein – wir erinnern uns an das weiter oben Ausgeführte, nämlich dass auch die Huichol die Studentenblume mit Tabak vermischt zu sich nehmen. Hier ein Bericht zum Mischkonsum mit Tagetes und Salvia divinorum: „Hatte zwei gute Erfahrungen, als ich Tagetes-lucida-Tee (Winterestragon) vorm Salviarauchen getrunken habe, jedoch hab ich letztes Mal eine relativ schwache Wirkung erzielt, woran das lag, weiß ich nicht.“ Und zum Schluss noch ein Bericht eines Users, der Tagetes zusammen mit dem Aztekischen Traumkraut Calea zacatechichi genommen hatte: „Ich hab’s schon selbst ausprobiert, und es funktioniert tadellos! Besorgt euch Tagetes lucida, mischt das Traumkraut im Verhältnis 2:1 mit dem yyauhtli. Kocht das Ganze wie gewohnt. Fügt evtl. noch Zuckermelasse hinzu. Das Endergebnis ist ein scharf-bitterer, geschmacklich entfernt an Lakritze erinnernder Tee, der wesentlich besser zu trinken ist als pure Calea.“

Wir sehen: Zu behaupten, die Studentenblume habe überhaupt kein Potenzial, psychoaktive Effekte zu induzieren, ist schlicht und ergreifend falsch. Daher kommen wir nun zu meiner abschließenden These über die Psychoaktivität der Tagetes-Arten.

 

Thesen zur Studentenblume

 

Es scheint in der Tat so zu sein, dass es ebenso Tagetes-Arten gibt, die keine Wirkung induzieren, wie auch solche, die eine gewisse Psychoaktivität aufweisen. In unseren Gefilden ist die Studentenblume in allen ihren Ausprägungen eine beliebte Zierpflanze, wobei jedoch die hauptsächlich als Rauschpflanze bekannte Tagetes lucida nur sehr selten im konventionellen Gartenhandel erhältlich ist. Durch die vielen Züchtungen für den Gartenbereich – das gilt insbesondere für Tagetes patula und Tagetes erecta – ist es möglich, dass der Gehalt an Inhaltsstoffen deutlich verringert oder gar zur Gänze ausgemerzt wurde. Auch Exemplare der Tagetes lucida können, je nach Quelle, aktiv oder vollständig inaktiv sein. Definitiv wirksam ist ein Extrakt aus dem Tagetes-Kraut, sofern das Pflanzenmaterial von einer guten Quelle stammt und nicht aus dem Mainstream-Gartencenter. Zu empfehlen sind beispielsweise alle ethnobotanischen Kräuterhändler, die im Internet ziemlich einfach zu finden sind. Am geeignetsten erscheinen mir Pflanzen, die aus gutem Samenmaterial selber gezogen wurden. Ganz klare Empfehlung ist der Kräuterhandel von Rühlemann, der qualitativ hochwertiges Saatgut anbietet und vertreibt und der über eine Internet-Suchmaschine in Sekundenschnelle zu finden ist.

 

Fazit und Aussicht

 

Schon unser kleiner Einblick genügt, um sich vergegenwärtigen zu können: Die Studentenblumen der Gattung Tagetes bergen auf jeden Fall ein gewisses Potenzial an Psychoaktivität in sich. Es scheint eine Rolle zu spielen, welche Pflanzen man verwendet und auf welche Art und Weise man sie zu sich nimmt. Hier wird eine künftige Erforschung der Gewächse von Bedeutung sein – und der Einsatz interessierter und findiger Forscher, die die geistbewegenden Eigenschaften der Spezies genauestens unter die Lupe nehmen. Die Arten der Gattung Tagetes sind ganz sicher deutlich interessanter, als es uns derzeit erscheint. Wir bleiben am Ball.

 

Literatur

 

Zum Abschluss unserer Betrachtungen zu den Studentenblumen schauen wir uns die Literaturquellen an, die zum weiterführenden Studium dieser Pflanzengattung geeignet sind.

 

Neher, Robert Trostle (1968), The Ethnobotany of Tagetes, Economic Botany 22: 317-325.

 

Rätsch, Christian (1998), Enzyklopädie der psychoaktiven Pflanzen, Aarau: AT Verlag

 

Siegel, Ron K., Collings, P. R. und Diaz, José L. (1977), On the Use of Tagetes lucida and Nicotiana rustica as a Huichol Smoking Mixture, Economic Botany 31: 16-23.

 

Sütfeld, Rainer, Balza, Felipe und Towers, G. H. N. (1985), A Benzofuran from Tagetes patula Sedlings, Phytochemistry 24(4): 876-877.

 

 

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J. Füreder
7 Jahre zuvor

Auf Sri Lanka wird die Pflanze “Daspethiya” genannt. Die Blätter werden erfolgreich zur Behandlung von Krampfadern eingesetzt.