Freitag, 19. Dezember 2014

Der Ego-Tod

PSYCHONAUTIK

 

Autor:  HANNES SCHINDER

 

 

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„Der Tod deines Egos wird der Beginn deines wahren Lebens sein.“ (Osho)

 

 

Die Auflösung des Ich-Konstruktes, auch Ego-Tod, Ich-Auflösung oder Ich-Entgrenzung genannt, gehört zu den mystikumwobensten Phänomenen der Menschheit. Gleichzeitig ist es zweifelsohne eines der  faszinierendsten, dass, sofern es schon einmal an der eigenen Person erfahren wurde, ganz sicher niemals mehr vergessen wird, ganz egal, ob man  diese Erfahrung als etwas Positives oder Negatives erlebt hat. Wird der Ego-Tod allerdings bewusst und mehr oder minder willkürlich herbeigeführt, so etwa, wie es Mystiker, Schamanen, Sufis, Yogis oder Psychonauten praktizieren, hat das zeitweilige Verschwinden des Egos und der Verstandesgrenzen, vorausgesetzt die Erfahrung wird im Anschluss adäquat ins Alltagsbewusstsein integriert, meist jedoch einen sehr positiven Effekt. Und gerade dieser Effekt ist im heutigen -von Neid, Gier, Selbstzerstörung  und spiritueller Entwurzelung gezeichneten Zeitalter -, nenn es  „Babylon-System“ wie die Rastas oder „Kali-Yuga“ wie die Hindus, von unvergleichlicher Wichtigkeit. Denn der bewusste Ego-Tod, im Grunde genommen ein Zustand unverfälschten Seins, führt einen Menschen fast automatisch zu der Erkenntnis, dass alle Lebewesen Teil eines großen Ganzen sind, von jenem der Mensch ganz sicher nicht die Krone ist. Alles hat auf gleiche Weise seinen Sinn und seine Daseinsberechtigung. Denn sonst wäre es nicht da.

 

® Psychonautische Erkenntnisse, die, wenn sie zum Kollektiv werden würden, unseren Planeten vermutlich innerhalb kürzester Zeit in ein Paradies verwandeln.

   

 

Doch bitte nicht falsch verstehen! Das Ego bzw. Ich ist nicht grundlegend etwas Böses oder dergleichen, wie es in spirituellen Kreisen gelegentlich verstanden wird. Es ist für uns sogar ausgesprochen wichtig, denn sonst könnten wir überhaupt nicht als Individuen denken, fühlen und letztlich auch handeln.  Kurzum: Wir brauchen ein gesundes und reflektiertes Ich, damit wir uns in dieser Welt zu Recht finden können. Doch das Problem ist, dass sich die meisten Menschen vollständig mit ihrem Ego identifizieren und dabei zur Gänze vergessen, dass das Ego eigentlich nur eine psychologische Konstruktion darstellt, das sich beeinflusst durch Enkulturation, Sozialisation und Personalisation, mit zunehmendem Alter sukzessive herausbildet und manifestiert. Und je mehr es sich manifestiert, desto individueller nehmen wir uns wahr. Doch auch, und genau das ist die Kehrseite der Medaille, verlieren wir dabei das Gefühl für das große Ganze. Wir sehen uns getrennt zu unserer Umwelt und einzig diese Entwurzelung ist letztlich auch der ursächliche Grund dafür, dass der Mensch scheinbar gewissenlos seine gesamte Lebensgrundlage zerstört. Würde er sich wieder als Teil des Ganzen sehen, so wie es unsere Vorfahren über Jahrtausende getan haben, dann könnte er gar nicht so handeln wie er es derzeit tut. Verbreitete Phänomene wie Urwaldabholzung, Massentierhaltung bzw. Tierquälerei, sexueller Missbrauch u.s.w. wären schlicht nicht mehr zu rechtfertigen und ertragen, denn mit jedem Handeln gegen seine Umwelt, handelt der Mensch letztlich auch gegen sich selbst. Und sobald die Masse dies verstanden hat, geht es eigentlich gar nicht anders, als das sich vieles in der Welt spürbar und ganzheitlich zum Positiven verändert. Die Kunst und letztlich auch die Schwierigkeit dabei ist jedoch, dass wir dazu wieder lernen müssen unser Ego nicht über zu bewerten und es bewusst als Werkzeug unseres Geistes einzusetzen. Es sollte nicht sein, dass das Ego den Mensch bestimmt, sondern umgekehrt. Doch selbstverständlich hat die Schöpfung auch in diesem Falle mal wieder ordentlich mitgedacht und dem Menschen eine Vielzahl an Möglichkeiten zur Verfügung gestellt, die wir jederzeit nutzen können. Möglichkeiten, die uns dabei helfen können, tiefgreifende Erkenntnisse über unser Sein zu gewinnen sowie letztlich auch, und das ist der entscheidende Punkt, eine Transformation des Egos einzuleiten. Es geht also nicht ernsthaft darum, dass Ich vollständig auszulöschen, denn dann wären wir in unseren Körpern kaum noch lebensfähig. Vielmehr geht es darum, dass wir uns von destruktivem Egozentrismus befreien, das Ich auf eine höhere, bewusstere Ebene heben und eine Perspektive einnehmen, die das Ego wieder in den größeren Kontext des Lebens einbettet.

 

Methoden zur Ego-Transformation – Viele Wege führen nach (R)OM

 

 

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In der psychonautischen Welt sind viele bewusstseinserweiternde Methoden bekannt, die dazu herangezogen werden können, das Ego zu transformieren. Dazu gehören beispielsweise Techniken wie schamanische Rituale mit Trommeln, Räucherwerk, Tanz und Klang, Reizentzug (bspw. Floating), Meditation, Yoga, bestimmte Atemtechniken (bspw. Holotropes Atem nach Grof) oder aber die Einnahme psychoaktiver Substanzen. Letztere Technik möchte ich nun etwas genauer beleuchten, allerdings sei vorab noch betont, dass all diese Techniken, gleich ob nonpharmakologischer oder pharmakologischer Natur, nur deshalb wirken, weil sie alle auf unser endogenes und psychoaktives Neurotransmitter-System einwirken. Werden bestimmte Neurotransmitter in einer erhöhten Konzentration ausgeschüttet oder in ihrer Wirkung gehemmt, fühlen wir eine bestimmte psychoaktive Wirkung, wodurch es gegebenenfalls zu einer Ich-Transformation kommt.  Ob der Auslöser dafür aber nun Meditation, Holotropes Atmen oder LSD heißt, ist eigentlich nebensächlich. Zumindest ist es Neurotransmittern wie Dopamin, Serotonin oder den Endorphinen reichlich egal, auf welche Weise sie freigesetzt werden. Hauptsache ist nur, sie werden es.

 

Psychoaktive Substanzen

 

Keine Frage: Psychoaktive Substanzen sind zweifelsohne der schnellste und zuverlässigste Weg einen Verlust des Egos zu induzieren, allerdings auch, und das ist wichtig zu wissen, ist dieser Weg auch der risikobehafteste. Vor allem dann, wenn Dosis, Set und Setting nicht stimmen. Denn diese drei zentralen Einflussfaktoren entscheiden letztlich immer, wo die Reise hingeht. Ebenfalls wird durch Set (= Geisteshaltung und Zielsetzung des Konsumenten) und Setting (= gesamte Umgebung, in der ein Psychoaktivum eingenommen wird) bestimmt, ob die Ich-Auflösung als etwas Beglückendes respektive Bereicherndes oder im Gegensatz dazu, als etwas  Beängstigendes empfunden wird. In der Psychonautik werden diese beiden Erfahrungsrealitäten ozeanische Selbstentgrenzung und angstvolle Ich-Auflösung genannt und im Folgenden kurz erläutert.

 

Die ozeanische Selbstentgrenzung (OSE)

 

In ihrer Intensität ist diese Erfahrung eigentlich mit nichts in der Welt zu vergleichen. Wird die ozeanische Selbstentgrenzung als Samadhi bzw. Unio Mystica erlebt, also als die zur Einheit werdende Verschmelzung zwischen Mensch und „Gott“, entspricht diese Erfahrung dem höchsten Ziel aller Mystik und folglich aller spiritueller Lehren. Es handelt sich wahrhaftig um eine großartige Gipfelerfahrung, die Sasha Shulgin in seiner berühmten Bewertungsskala (engl. Shulgin Rating Scale) als Plus Vier (++++) quantifizierte. Charakterisiert für die OSE ist, dass die gegebenfalls vollständige Auflösung der Ich-Du- und Raum-Zeit-Grenze als intensiv beglückend empfunden wird. In einem derartigen außergewöhnlichen Bewusstseinszustand, indem der innere und äußere Kosmos zu einer Einheit verschmelzen, gibt es keine Dualität, keine Identität und keine Individualität mehr, sondern auschließlich pures Sein. Man ist einfach nur noch und das gängige Verständnis von Wirklichkeit existiert nicht mehr. Doch trotz der unbeschreiblich beglückenden Aspekte, die einer solchen All-Einheitserfahrung inne wohnen, sind selbst erfahrene Psychonauten meistens sehr glücklich darüber, wenn sie im Anschluss wieder mit beiden Füßen sicher auf dem Boden stehen und ihre Individualität den Weg zurück ins Bewusstsein gefunden hat.  Ist der Konsument einer psychoaktiven Substanz mit sich selbst im Reinen und offen für neue, außergewöhnliche, ja sogar transzendierende Erlebnissphären, dann stehen die Chancen gut, dass die Ich-Auflösung als ozeanische Selbstentgrenzung erlebt wird. Doch selbst das ist kein Garant dafür, dass die Erfahrung nicht vielleicht doch auch beängstigende Formen annimmt.

 

Die angstvolle Ich-Auflösung

 

„Es ist ein großer Kummer, wenn das, wofür man sich stets gehalten hat, zu verschwinden beginnt.“ (Stanislav Grof)

 

Stimmen Dosis, Set und Setting nicht, dann wird die Ich-Auflösung sehr häufig als extrem angstvoll erlebt. In Einzelfällen kann das Schwinden der Persönlichkeitsgrenzen als etwas dermaßen Lebensbedrohliches erlebt werden, dass Konsumenten kurzzeitig glauben, wahnsinnig zu werden oder sterben zu müssen, denn alles, womit sie sich bisweilen als Mensch identifiziert haben, existiert plötzlich nicht mehr bzw. gibt es keinen Zugriff mehr darauf. Abgrundtiefe Angstgefühle sind häufige Symptome einer solchen Erfahrung, was in ganz wenigen Einzelfällen sogar so weit gehen kann, dass das bisherige Selbstverständnis von Ich-Bewusstsein, Identität und Realität völlig zerstört wird. Manchmal sogar derart nachhaltig, dass eine kurz-, mittel- oder langfristige Unterbringung in einer psychiatrischen Klinik zur unumgänglichen Notwendigkeit wird. Allerdings sei betont, dass dies nur in ganz wenigen Einzelfällen passiert. Vor allem sind es eine starre Konventionalität, emotionale Instabilität sowie eine rigide Abneigung gegenüber unbekannten und ungewissen Erfahrungen, die als zentraler Präindikator für eine angstvolle Ich-Auflösung herangezogen werden können. Personen auf die das zutrifft, sind also besonders gefährdet nach der Einnahme einer psychoaktiven Substanz eine angstvolle Ich-Auflösung zu erleben oder passender formuliert, zu erleiden.

 

Wichtig zu wissen und rein psychologisch auch verdammt interessant ist die Tatsache, dass beide Erfahrungsrealitäten, also die ozeanische Selbstentgrenzung sowie die angstvolle Ich-Auflösung nicht zwangsläufig getrennt voneinander auftreten. Es kann passieren, dass eine Person im akuten Rauschzustand ständig zwischen diesen beiden Dimensionen wechselt. Seltener, aber ebenso möglich ist es, dass beide Realitäten gleichzeitig erlebt werden.

 

Nun noch die Frage, welche psychoaktiven Substanzen denn überhaupt dazu imstande sind, einen Ego-Tod zu induzieren? Darauf kann jedoch eigentlich keine allgemeingültige Antwort gegeben werden, denn abhängig von Dosis, Set und Setting vermögen dies ziemlich viele Substanzen. Selbst Haschisch oder Gras kann eine entheogene Erfahrung herbeiführen, die gegebenenfalls sogar zur Unio Mystica führt. Doch sicher nur dann, wenn es nicht als alltägliches Genussmittel  sondern als sakrales Psychoaktivum oder als (spirituelle) Medizin angesehen und behandelt wird. Etwa so, wie einige authentische Rastas oder die indischen Sadhus es praktizieren.

Doch deutlich zuverlässiger als THC-reiche Hanfprodukte sind, sofern es zur Herbeiführung eines transzendentalen Bewusstseinszustandes inklusive einer Ich-Auflösung geht, psychoaktive Substanzen aus der Gruppe der Psychedelika. Vor allem aber die sogenannten Entheogene, die das Göttliche im eigenen Bewusstsein offenbaren und seit Urzeiten zu Zwecken der Spiritualität rituell genutzt werden. Dazu zählen insbesondere DMT, Meskalin und Psilocybin/Psilocin. Aber auch moderne Substanzen wie LSD  oder Ketamin können starke Entheogene sein und ohne weiteres, vorausgesetzt Dosis, Set und Setting stimmen, den Ego-Tod herbeiführen.

 

Fazit

 

Die Menschheit befindet sich derzeit in einer massiv bedrohlichen Situation, in einer global-ökologischen Krise, die, wie eingangs kurz erläutert, vor allem darauf beruht, dass sich der Mensch getrennt von seiner Umwelt wahrnimmt. Und da einige psychoaktive Substanzen über ein enormes Potenzial verfügen, dieser gefühlten Trennung massiv entgegenzuwirken, ist es wirklich höchste Zeit, die vorherrschende Drogengesetzgebung, die ja letztlich auch nur ein weiteres Beispiel für die menschliche Entwurzelung ist, komplett zu überdenken und auf Sinnhaftigkeit zu überprüfen. Ist dies geschehen, wird es über die Jahre hinweg möglich sein, es unseren weisen Ahnen gleichzutun und einen gesellschaftlich akzeptierten, rituellen Umgang mit psychoaktiven Substanzen zu entwickeln, worauf sich das Kollektivbewusstsein und darauf gründend auch das künftige Weltgeschehen, grundlegend positiv verändern wird. Aber nicht falsch verstehen: Es sind nicht die Drogen, die zwangsläufig zu einer besseren Welt führen. Es ist ausschließlich die entheogene Erfahrung, die sowas möglich machen kann. Aber an dieser Stelle kommen dann wieder die Drogen ins Spiel, nämlich als einer von mehreren denkbaren Wegen, hin zur entheogenen All-Einheitserfahrung und Ego-Transformation. Jonathan Ott hat in diesem Zusammenhang die Wortformation der entheogenen Reformation eingeführt, was genau ebensolchen Perspektivwechsel beschreibt, den unsere Welt so bitter nötig hat.

 

 

 

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5 Kommentare
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J2
9 Jahre zuvor

Danke für den tollen Artikel! 🙂 Er erfaßt genau die Tatsachen. Wenn sich aber die Menschen zunehmend mit ihrer Umwelt identifizieren, wer hat da noch Bock, für die Blutsauger zu arbeiten?

Johnny
9 Jahre zuvor

Sehr guter Artikel!

Ich bin sehr froh, dass ich zu _meiner_ Wahrheit gefunden habe (denn die absolute/allgemeingültige Wahrheit gibt es nicht).
Cannabis, MMushrooms und Jiddu Krishnamurti haben mir dabei geholfen 🙂

fahrie
9 Jahre zuvor

da schließ ich mich doch gleich mal an, echt super Artikel 🙂 !

poppy
6 Jahre zuvor

Top!

Ronnie
5 Jahre zuvor

Vielen Dank für diesen Artikel.
Ich unterlied leider während einem Bad-Trip genauso diese angstvolle Ich-Auflösung, aber auch wie beschrieben sprang ich unaufhörlich zwischen beiden Erfahrungsrealitäten umher. Es war das Schlimmste und angsteinflößenste, das ich jemals erleben musste. Ich wusste tagelang nicht mehr was die Realität sei. Ich bin froh auf diesen Artikel gestoßen zu sein, vielleicht hilft es mir meine Erfahrung zu verarbeiten.