Dienstag, 6. November 2012

Wenn der Vater mit dem Sohne …

von Sadhu van Hemp

Nicht selten treten Söhne in die Fußstapfen ihrer Väter. Auch ich bin so ein Erblasser, der darauf hofft, dass der Nachwuchs eines fernen Tages das Lebenswerk seiner Vorväter zum Wohle der Dynastie in Ehren halten und weiterführen wird. In unserer Familie ist das aber etwas anders als bei den anderen Geldsäcken, denn mein Filius weiß nicht, womit das Papachen die Kohle scheffelt, die er und seine Mutter postwendend zum Fenster rauswerfen.

Aber keine Sorge, hier klagt kein Investmentbanker, niedergelassener Facharzt oder Großaktionär eines Rüstungskonzerns. Ich bin auch kein Teilzeit-Abgeordneter im Deutschen Bundestag, der sich hauptberuflich als Lobbyist verhurt und seinen Judaslohn auf einem Schwarzgeldkonto am anderen Ufer des Bodensees parkt. Im Gegenteil: Ich muss mich meines Berufstandes nicht schämen, denn mein Gewerbe ist ein grundehrliches und dient ausschließlich dem Wohle des Germanenvolkes – und das bereits in zweiter Generation. Wie ich es von meinem Vater gelernt habe, übe ich immer Treu und Redlichkeit – und was soll ich lügen, dieser Bauerntrick aus grauer Vorzeit klappt prima und schenkt einen ruhigen Schlaf.

Ein derartiges Berufethos ist heutzutage natürlich voll pervers und asozial dazu, denn es widerstrebt den Grundsätzen dieser unseren freien sozialen Marktwirtschaft, den Menschen ohne Lug und Trug das Geld aus der Tasche zu ziehen – und das für ein Konsumgut, das tatsächlich hält, was es verspricht und einen echten Nutzen für die Bürger hat. Kein Wunder also, dass mein antiquiertes Handelsunternehmen ganz ohne staatliche Subventionen und Rettungsschirme auskommt, um tiefschwarze Zahlen zu schreiben – und das ist auch gut so!

Kurze Rede, langer Sinn

Ich bescheiße ehrlich. Und dazu brauche ich keinen Steuerberater, der die Steuererklärungen türkt, indem er das turnusmäßige Fettabsaugen bei meiner Frau als betriebliche Abfallbeseitigung deklariert. Wozu auch? Das Finanzamt kennt mich gar nicht, da meine Einkünfte aus selbstständiger Tätigkeit offiziell gar nicht existieren. Doch so schön die fiskale Vernachlässigung auch ist, ein Wermutstropfen bleibt – und das ist die fehlende soziale Anerkennung, die einem anständigen und zutiefst aufrichtigen Menschen wie mir eigentlich zustünde.

Darunter leidet vor allem meine Familie, denn der Ruf meiner Rechtschaffenheit bringt uns in der guten Gesellschaft des Geldproletariats arg in Verruf.

Zwar gehen wir in den Prunkvillen am Potsdamer Heiligensee ein und aus, spielen mit den Reichen und Schönen Golf und segeln jeden Sommer zwischen Monaco und Marbella, aber irgendwie lässt man uns spüren, dass wir nicht dazugehören. Deshalb war es anfänglich auch mein größter Wunsch, dass aus unserem Söhnchen mal etwas Besseres wird. Er sollte aufsteigen in die Elite unseres globalisierten Vaterlandes und zu einer systemrelevanten Stütze der Gesellschaft heranreifen. Und das mit einem Beruf, den die Welt wirklich braucht – sei es Hedgefonds-Manager, BILD-Chefredakteur oder Papst.

Dummerweise ist daraus nichts geworden – trotz schweineteurer Privatschule und Hauslehrer in den Ferien. So sah ich mich gezwungen, den vom vielen Komasaufen völlig verblödeten Pisa-Krüppel unter meine Fittiche zu nehmen. Schließlich führe ich ja ein florierendes Einzelhandelsunternehmen, und das mit ständig wachsendem Kundenstamm und chronischem Personalmangel.

„Willst du mal so werden wie dein Vater?“, weckte ich eines Morgens den Nichtsnutz, der sofort die Ohren aufstellte und eifrig nickte. „Na klar doch, Paps! Dann breche ich erst mal die Schule ab – wie du früher. Wann kann ich anfangen?“
„Sofort!“, rief ich hellauf begeistert, denn mit diesem Eifer hatte ich nun ganz und gar nicht gerechnet. Wir reichten uns die Hand und der Lehrvertrag war besiegelt. Nach dem Mittagsschläfchen sind wir dann einträchtig zur Arbeit gejuckelt, schön gemütlich mit dem auf unsere jüngste Tochter zugelassenen Mercedestaxi, das wir aus finanz- und steuertechnischen Gründen ausschließlich für Privat- und Dienstfahrten nutzen. Na ja, und so sind Senior- und Juniorchef bequem über die Busspur am Stau vorbei in die Berliner Umweltzone, und ich erklärte dem Azubi unser Business.

„Siehst du da das Opachen? Das könnte ein Kunde sein. Genauso wie das Omilein dort drüben. Jeder Passant, ob alt oder jung, ist potentieller Abnehmer unseres hochwertigen Qualitätsproduktes. Ja, auch der olle Rollstuhlfahrer da vorne. Merk dir, Sohni: Kranke und Sieche sind die Zielgruppe von morgen. Der demographische Wandel ist die Hefe unseres Wachstums. 75% unserer Kunden sind bereits über vierzig Jahre alt, Tendenz steigend.“

Mein Söhnchen hörte artig zu, während ich die Kraftdroschke auf einem Behindertenparkplatz direkt vor dem Eingang der „Hasenheide“ abstellte. Ja, und dann spazierten Lehrherr und Lehrling hinein in die Parkanlage, direkt zum Spielplatz, wo die Kundschaft die Ladenöffnung bereits sehnsüchtig erwartete.

„Wie jetzt, Papa?“ fragte Sohnematzen etwas begriffsstutzig nach. „Bist du jetzt einer der Guten – oder der Bösen?“
„Kommt darauf an, von welcher Warte man das sieht“, antwortete ich, während der erste Fuffi in der Kasse klingelte. „Aber ich denke, als mobile Straßenapotheker für Medizinal-Hanf zählen wir zu den Guten. Oder sollen wir den ADS’lern hier Ritalin und Melissengeist verscheuern? Na, also! Und nun unterstütze deinen Vater! Wir wollen den Bauchladen pünktlich schließen und Mutti nicht mit dem Abendbrot warten lassen.“

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