Er ist ein Mann von alt-bayerischem Charakter….
…,der eine Drecksau auch eine Drecksau nennt und mit dem Stinkefinger auf die zeigt, die ihm seine etwas eigenwillige
Lebensart verbieten wollen. Das zornige und unbelehrbare Uàviech heißt Johann Michael Söllner und feiert dieses Jahr dreißigjähriges Berufsjubiläum als Musiker, Querdenker und Freistaatsfeind Nr. 1.
Wer am Heiligen Abend vom Klapperstorch unterm Weihnachtsbaum abgelegt wird, der ist ein Christkind. Doch diese vom lieben Gott aufgehalste Bürde kann den Lebenslauf auch schon mal auf die schiefe Bahn bringen, vor allem dann, wenn das Christkind schlechten Vorbildern nacheifert und die auf den Plan ruft, die die frohe Botschaft nicht hören und sich nicht erlösen lassen wollen. Vor zweitausend Jahren war Jesus so ein Christkind, das in den Slums des gelobten Landes partout nicht stubenrein werden wollte und die Obrigkeit mit seinen unflätigen Poetry Slams bis zum Äußersten reizte. Heute haben bayerische Feudalherren, Kirchenfürsten und Staatsbüttel so ein Christkindl an der Backe, das nicht auf seinen Taufnamen hört und das Kuschelnest beschmutzt. Der Söllner Hans will nicht flügge werden und fröhlich im Chor twittern, dass ihm die Welt gefällt. Oh nein, er will wie ein Rohrspatz schimpfen und mit denen stänkern, die ihn, den Alpen-Rastafari, am liebsten an der nächsten Straßenlaterne gekreuzigt sähen. Doch noch hat sich kein aus Notwehr handelnder Rächer gefunden, der mit der roten Laus im bayerischen Löwenfell kurzen, sehr kurzen Prozess gemacht hätte.
Und so tingelt das 1955 in Bad Reichenhall geborene Problemkind bewaffnet mit Klampfe und Fotzhobel durch die Wirtshäuser Bavarias und rotzt mit seinem illegalen Mundwerk denen in die Hackfresse, die ihm einen Maulkorb anlegen wollen. Und das nicht nur zur Gaudi seiner Jünger, die den bayerischen Rebellen mit geradezu krimineller Energie unterstützen, wenn sie seine CDs kaufen und zu seinen Konzerten pilgern, um die Kollekte des Sektierers zu füllen. Ja, selbst das schlichte Gemüt der bajuwarischen Volksseele zollt dem singenden Grantler Respekt – denn Widerständler in eigener Sache sind in Franz-Joseph-Land per se Volkshelden, die stellvertretend für alle Unterdrückten die Obrigkeit narren und zum Gespött machen. Söllners Popularität, die ganz ohne Beihilfe der Tendenzmedien auskommt, ist ein seltenes Phänomen, das rückblickend öfter mal unter blauweißem Himmel zu beobachten ist. Deshalb steht der kiffende Künstler auch ganz in der Tradition jener mutigen Frauen und Männer, die wie einst Räuber Kneißl, Hitlerattentäter Georg Elser oder die Geschwister Scholl ausschließlich der persönlichen Erkenntnis folgen, dass ein auf Wahrheit gestelltes Wesen das gottgegebene Recht zum aktiven Widerstand hat.
Doch wer ist dieser Mann, der da gänzlich unbemerkt vom Rest der bundesrepublikanischen Welt wie ein Don Quichote gegen die Mühlen der bayerischen Justiz und deren Willkür in der Verfolgung von Kiffern ankämpft? Wie kann es im vom Kapitalismus globalisierten Mikrokosmos Deutschland sein, dass sich die Teenager zwischen Passau und Coburg vor Entzückung einnässen, wenn ihnen das langhaarige Opachen aus vorsintflutlicher Zeit ein Wiegenlied singt? Beherrscht dieser Naturbursche aus den Bergen tatsächlich die hohe Kunst eines Gurus, Menschen durch seine bloße Erscheinung zu hypnotisieren? Oder ist er nur ein Hexer, dessen Verbrennung auf dem Scheiterhaufen ein ebenso großes Publikum fände?
Wer sich dem heute 56-jährigen Liedermacher nähert, kommt nicht umhin, biografische Ereignisse im Leben des „Boarischen Krautmos“ zu beleuchten. Wie es die Vorsehung vorsieht, versuchten sich zunächst katholische Nonnen an dem Knäblein, um die unschuldige Seele auf die von Kirche und Staat vorherbestimmte soziale Anschlussverwendung zu trimmen. Ziel der Erziehung war, dem Bub möglichst viel Bildung vorzuenthalten, um ihn dann in die Hauptschule zu selektieren, damit das Hänschen nicht lernt, was der Hans nicht wissen muss. Alles schien gut, nichts stand dem ordentlichen Werdegang eines Untertanen entgegen. Und wer weiß: Vielleicht wäre aus dem feschen Mannsbild sogar ein bei den Skihaserl wohlgelittener Skilehrer geworden, wenn nur der liebe Gott den Hinterwäldern in den bayerischen Tälern die wohl grausamste Plage aller Zeiten erspart hätte. Pünktlich zur Pubertät des Knaben tat sich nämlich die Hölle auf, und die ersten Sendboten des Bösen flüsterten auch der Landjugend die Sünde ins Ohr: Sex, Drugs & Rock ’n’ Roll. Plötzlich mutierte so manch gottesfürchtiger Messdiener zum sündigen Kirchenverweigerer, der lieber bei seinem Mädel als beim Pastor Hand anlegte.
Lange hatte sich die drohende Sintflut am flammend roten Horizont zu Preußen angekündigt, dann schwappte die Hippiewelle auch in die tiefschwarzen Täler des Berchtesgadener Land und riss alles mit, was noch nicht tief genug verwurzelt war. Und dazu zählte wohl auch der Söllner Hans, der sich zaghaft über Bob Dylan, Zappa und Konsorten fortbildete und somit den gefährlichsten aller Schalter im Kopf betätigte, und zwar den, der Licht ins Hinterstübchen bringt. Doch noch gute zehn Jahre sollten vergehen, bis sich der Selbsterleuchtete endgültig den gesellschaftlichen Zwängen entzog und seitdem als wandernder Hassprediger seine Schrippen verdient.
Aus preußischer Sicht kann man vor dem Martyrium seiner Teenagerzeit nur den Hut ziehen, denn während die Hippies oberhalb des Weißwurstäquators hauptberuflich Gammler waren und sich mit Vatis Taschengeld makrobiotisch selbstverwirklichten, hat Bruder Söllner stramm zwei Lehren durchgezogen.
Er ist nicht vor dem Wehrdienst nach Westberlin geflohen, sondern hat sich für drei Monate brav in Uniform stecken lassen, bis er sich für den 16-monatigen Zivildienst entschied, um nicht im Knast zu landen. Die erste Hälfte seines Lebens zeigt, dass der junge Hans stets guten Willens war, die an ihn gestellten Anforderungen und Pflichten zur Zufriedenheit aller zu erfüllen – um es mal amtlich zu formulieren.
Keine Frage, der Söllner Hans besitzt all die Tugenden, die einen Menschen mit Leidenschaft auszeichnen: Er ist tapfer, ausdauernd und verlässlich, freimütig, moralisch und unbestechlich – eben ein Mann jener raren Art, aus dem gut und gerne auch ein Olympionike oder preußischer Offizier hätte werden können. Doch wie so oft war es der Unbill des Lebens, der aus Duckmäusern und Mitläufern Helden wider Willen macht. Söllner ist durch das Tal der Tränen geschritten, er hat am eigenen kaum ausgereiften Körper gespürt, wie bitter harte, schlechtbezahlte Kinderarbeit schmeckt und langsam die Seele auffrisst. Von Staat, Gesellschaft und Kirche gegängelt, gedemütigt und traumatisiert flüchtete sich der junge Söllner wie viele seiner Zeitgenossen in die Musik, brachte sich nach Feierabend im Selbststudium das Gitarrenspiel bei, komponierte Lieder und schrieb Texte.
Wie gesagt, er war nur einer von vielen, doch er überwand allen Selbstzweifel und biss sich durch, debütierte 1979 auf einer Münchner Kleinstkunstbühne und veröffentlichte drei Jahre später sein Debüt-Album Nachdenkliches zum Schmunzeln. Noch hätte aus ihm ein gutbezahlter Konstantin Wecker werden können, der in Moll singt und die Frauenherzen erobert. Doch schnell zeichnete sich ab, dass nicht der Hochmut des verwöhnten Münchener Elitekindes die Hefe seines Denkens ist, sondern die Demut eines in der Seele verletzten jungen Mannes, der vor all den Ungerechtigkeiten seiner von Göttern und Götzen beherrschten Welt nicht kapitulieren und seinen langgehegten Groll gegen den Obrigkeitsstaat Bayern nach außen tragen will.
Söllner ist auf der Bühne ein roher und heftiger Geselle, der noch die hohe Kunst des Derbleckens in seiner ursprünglichen Form beherrscht und dabei gerne die Grenze des Anstands überschreitet, wenn es sich nicht vermeiden lässt. Da kann es dann schon mal wie im Fall Peter Gauweiler passieren, dass einem Sätze wie dieser herausrutschen: Der „sieht so aus, als ob wir die Reichskristallnacht noch vor uns hätten!“ Das Gericht verdonnerte den Habenichts Söllner zu einer Geldstrafe von satten 15.000 D-Mark, obwohl dieser Qualitäts-Satz anno 1988 gut und gerne das Doppelte, wenn nicht gar eine Kerkerstrafe wert war.
Doch diese Ohrfeige hielt den Bazi-Hans nicht davon ab, sogleich den abgöttisch geliebten Landesvater Franz-Josef-Strauß einen „dreckigen Faschisten“ zu nennen. Das ist zweifellos Majestätsbeleidigung in höchster Vollendung – und dazu noch auf Hochdeutsch.
Binnen weniger Jahre mauserte sich der Liedermacher zum Staatsfeind Nr. 1 des Freistaats. Polizei und Justiz unternehmen seitdem alles, ihm die Ausübung des Grundrechts auf freie Meinungsäußerung so schwer wie möglich zu machen. Die willigen Helfer in Sachen „Lex Söllner“ sind die Freunde und Helfer in Uniform, die ihren Lieblingsfeind mit fiesen Tricks psychisch wie physisch zu vernichten trachten. Söllner und die Polizei – das ist der Stoff, der Realsatire schreibt.
Der Affront ist nämlich nicht des Barden Schandmaul an sich, sondern der schlichte Umstand, dass er mit seinen Schmähliedern auf Polizeibeamte eben diese in Sippenhaft nimmt und gesellschaftlich stigmatisiert. Söllner dreht den Spieß angesichts der staatlichen Gewaltexzesse um und lässt keine Gelegenheit aus, einen Keil zwischen Polizei und Bevölkerung zu treiben.
Und Recht hat er, denn nicht nur der, der den Vollzug eines Verbrechens gegen die Grundrechte anordnet, ist ein Täter, sondern auch der, der die Straftat vollzieht und sich um den zivilen Ungehorsam drückt. Diese Geisteshaltung ist natürlich eine heikle Sache für einen, der als bekennender Hanfbruder eine ziemlich große Angriffsfläche bietet. Wer auf der Bühne Joints raucht und mit dem Finger auf die Polizeispitzel im Publikum zeigt, darf sich nicht wundern, wenn die Gekränkten mit gezückter Pistole Rache nehmen. Kurz und gut, kaum ein anderer deutscher Künstler hat mehr überfallartige Razzien, Personenkontrollen und Strafverfahren zu ertragen, und nur Gott weiß, wie viel Polizeifinger noch im Söllner-Gesäß nach Beweismitteln suchen werden.
Nach eigenen Aussagen belaufen sich die gezahlten Straf- und Schmerzensgelder wegen Beleidigung und Ehrverletzung auf rund 400.000 Euro, die sanktionierten Verstöße gegen das bajuwarische Hanfkrümelverbot sind dabei inbegriffen. Doch bei allem Elend, das unseren Bruder quält, seinen Humor hat er längst nicht verloren. Noch immer pilgert der musizierende Querulant mit einem lachenden Auge durchs schöne Bayernland, mal mit seiner Reggae-Band Bayaman‘Sissdem und großem Equipment, dann wieder solo auf seiner ausgedehnten Wirtshaus-Tour. Und wenn er dann „Zu Gast bei Freunden“ ist, kann man sich darauf verlassen, dass kein Konzert dem anderen gleicht.
Auch in diesem Punkt ist der Liedermacher und Geschichtenerzähler zuverlässig wie ein Uhrwerk, das je nach Tagesform mal laut, mal leise tickt. Doch wenn sein Zorn erst einmal auflodert und das Publikum offenen Mundes und staunenden Blickes in den Rausch der Verzückung gerät, dann ist der Volksmusiker in ihm nicht mehr zu halten und niemand weiß, wohin die Reise an diesem Abend geht. Das sind dann die einzigartigen Augenblicke, in denen das innere Feuer des unverbesserlichen Weltverbesserers auf die Zuhörer überspringt und selbst die kleinste und ärmste Seele im Hochgefühl des eigenen Wertes zu schwelgen beginnt.
Söllner ist das Sprachrohr des kleinen Mannes, der kleinen Frau, des alten und jungen Menschen – er ist die wahre Stimme Bayerns, denn sie kommt aus dem Herzen.