Dienstag, 3. Juli 2012

Toleranz und Entzugssymptome: Das Gehirn passt sich an die TBC-Aufnahme an

Franjo Grotenhermen ist Vorstand und Sprecher der Arbeitsgemeinschaft Cannabis als Medizin

Kürzlich konnte eine Forschergruppe aus den USA erstmals nachweisen, dass sich bei gewohnheitsmäßigen Cannabiskonsumenten die Zahl der Cannabinoid-Rezeptoren in bestimmten Regionen des Gehirns reduziert. Der Körper passt sich an die regelmäßige Zufuhr von THC an und reduziert die Bindungsstellen bzw. die Empfindlichkeit der Bindungsstellen für THC. Die Stärke der Reduzierung war bei der Untersuchung abhängig von der Konsumdauer in Jahren. Verschiedene Cannabis-Wirkungen sind unterschiedlich stark betroffen.
Regelmäßiger Cannabiskonsum führt zur Entwicklung von Toleranz. Das bedeutet, dass die gleiche Cannabismenge nach längerem Konsum nicht mehr so starke Wirkungen verursacht wie in den ersten Tagen der Verwendung. Beispielsweise schwächen sich die euphorischen Wirkungen und die akuten Effekte auf das Gedächtnis ab, sodass die Inhalation einer Cannabiszigarette einen regelmäßigen Konsumenten nicht daran hindert, beispielsweise beruflichen Aktivitäten nachzugehen. Die gleiche Dosis würde einen Anfänger dagegen möglicherweise vollkommen außer Gefecht setzen. Ein weiteres Phänomen eines langzeitigen Konsums sind Entzugssymptome, die unterschiedlich stark ausgeprägt sein können. Der eine Konsument hat kaum Schwierigkeiten, beispielsweise während des Urlaubs den Cannabiskonsum zu unterbrechen. Der andere leidet dagegen unter Schlafstörungen, Reizbarkeit und Appetitlosigkeit, wenn er eine Pause von zwei Wochen einlegen muss.
Im Gehirn werden die meisten Wirkungen des THC (Tetrahydrocannabinol), das für die charakteristischen psychischen Cannabis-Wirkungen verantwortlich ist, durch eine Aktivierung des Cannabinoid-1-Rezeptors vermittelt. Dieser CB1-Rezeptor ist im Gehirn weit verbreitet. Er findet sich in großer Zahl in Gehirnregionen, die für die Wahrnehmung und die Verarbeitung von Sinnesreizen, für Emotionen, für die Koordination von Bewegungen, für die Erinnerung und die Bewertung von Erlebnissen, für die Verarbeitung von Schmerzen und von Informationen aus dem Magen-Darm-Trakt verantwortlich sind, um einige wichtige Bereiche zu nennen.
Aus Untersuchungen an Ratten und Mäusen ist seit langem bekannt, dass die Toleranzentwicklung nach längerer THC-Gabe auf einer Herabregulierung der CB1-Rezeptoren beruht. Diese Herabregulierung kommt durch eine Reduzierung der Anzahl der Rezeptoren oder ihre verminderte Ansprechbarkeit auf THC zu Stande. Wird der Cannabiskonsum eingestellt, so normalisierte sich innerhalb von Wochen und Monaten die Zahl der CB1-Rezeptoren wieder. Die Toleranz-Effekte von THC halten relativ lang an, nach meinem Eindruck mindestens 2-3 Monate, was natürlich stark von der Intensität des Konsums und seiner Dauer abhängt.
Kürzlich wurden erstmals Methoden entwickelt, um mithilfe von bildgebenden Verfahren (Positronen-Emissionstomographie) die Dichte der CB1-Rezeptoren und ihre Verteilung im menschlichen Gehirn zu bestimmen. Das nutzten die Wissenschaftler, um die Verhältnisse bei 30 regelmäßigen Cannabiskonsumenten mit denen bei 30 Personen, die bisher nicht oder nur gelegentlich die Droge verwendet hatten, miteinander zu vergleichen. Die 30 Konsumenten, die im Durchschnitt zwölf Jahre lang zehn Joints geraucht hatten, erklärten sich zudem bereit, vier Wochen auf Cannabis verzichten, so dass untersucht werden konnte, ob und wie sich die Rezeptordichte in dieser Zeit veränderte.
Im Vergleich zu den Cannabiskonsumenten wiesen die Kontrollpersonen etwa 20 Prozent weniger CB1-Rezeptoren in der Rinde des Großhirns und in der Rinde des limbischen Systems auf. Dagegen fanden sich in anderen Gehirnregionen keine relevanten Unterschiede zwischen den beiden Gruppen, so im Kleinhirn, im Mittelhirn, in den Basalganglien und im Thalamus. Die Basalganglien und das Kleinhirn sind für die Bewegungskoordination zuständig, und tatsächlich verursacht Cannabis eine geringere Toleranz bei seiner Wirkung auf Bewegungsstörungen als beispielsweise bei der Beeinträchtigung des Gedächtnisses.
Interessanterweise war die Zahl der CB1-Rezeptoren nicht mit der Stärke der Entzugssymptome in den vier Wochen ohne Cannabis assoziiert. Es müssen also noch andere Faktoren eine Rolle spielen, die die Intensität dieser Symptome beeinflussen. Überraschenderweise spielte auch die ethnische Zugehörigkeit eine Rolle bei der Rezeptordichte. So wiesen die drei Kontrollpersonen indianischer Abstammung eine ungewöhnlich geringe Zahl von CB1-Rezeptoren im Gehirn auf, ohne dass sie Cannabis konsumiert hatten. Unter den Cannabiskonsumenten gab es keine Personen indianischer Abstammung. Es gab keine Unterschiede zwischen Amerikanern europäischer und afrikanischer Herkunft. Nach vier Wochen Abstinenz hatte die Dichte der CB1-Rezeptoren in den Regionen mit einer zuvor verminderten Anzahl von Rezeptoren wieder leicht zugenommen. Das Gehirn passt sich sowohl an die Zufuhr von Cannabis als auch an eine spätere Abstinenz an.

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