Weshalb wir uns vor der Legalisierung fürchten
Was würde eigentlich passieren, wenn das Cannabisverbot fiele? Der Blick in die Niederlande beweist seit nunmehr 40 Jahren, dass eine westliche Gesellschaft ohne Strafen für den Konsum oder den Verkauf leben kann, ohne zu Grunde zu gehen. Was also hindert uns daran, es den Niederländern gleich zu tun? Denn Deutschland verfolgt zumindest auf internationaler Ebene offiziell eine liberale Drogenpolitik, Stichworte Schadensminimierung und Überlebenshilfe. Auch die Einführung der Geringen Menge war ursprünglich dazu gedacht, Konsumierende zu entkriminalisieren, nicht, wie mittlerweile so oft behauptet, die Gerichte zu entlasten.
Als vier Jahre nach dem „Haschisch-Urteil“ dann auch noch Rot-Grün an die Macht kam und Deutschland eine Grüne Drogenbeauftragte hatte, dachten alle, dass Hanf nicht mehr lange illegal bliebe. Ja, wir waren schon einmal fast soweit, selbst Hans Eichel war vor seiner Berliner Zeit in den 1990er Jahren ein glühender Verfechter der Cannabis-Legalisierung.
Das war auch die Zeit, als sich die Mythen, die zur Zeit des Kalten Krieges über Hanf kursierten, in Rauch auflösten. Wissenschaft und Forschung begannen, sich ernsthaft mit dem Thema Hanf auseinanderzusetzen und die medizinische Nutzung von Hanfblüten trat immer mehr in den Vordergrund. Doch dann geschah in Deutschland etwas Seltsames, was unsere Nachbarn gerne als „German Angst“ bezeichnen. Spiegel, RTL und andere große Medien starteten mit Hilfe von Dr. Rainer Thomasius eine großangelegte Kampagne, die es schaffen sollte, Hanf durch gebetsmühlenartige Wiederholung falscher Tatsachen und dem Missbrauch menschlicher Ur-Instinkte zu re-dämonisieren:
Plötzlich war die Rede von massenhaft kiffenden Kindern, gestiegenen THC-Gehalten, Einstiegsdroge, Gen-Gras oder starken körperlichen Entzugssymptomen, alles Dinge, die sich früher oder später als haltlos erweisen sollten. Erst im Juni musste Frau Dyckmans erneut zugeben, dass der angeblich angestiegene Wirkstoffgehalt in Cannabis statistisch nicht zu belegen sei (siehe News Seite 10). Passend zum Ton der medialen Kriegserklärung an eine Pflanze hatte der Spiegel eine Fotomontage einer Erstklässlerin mit Schul-Tüte (wie witzig) gephotoshopt. Und obwohl wir Deutschen eigentlich ein aufgeklärtes Völkchen sind, haben wir wieder mal Angst bekommen, dass die Horror-Szenarien von Bild, Thomasius und Caspers-Merk Wirklichkeit werden. Anstatt einfach wieder mal nach Holland zu schauen, um zu sehen, ob das Prophezeite auch eintritt, fiel die Kampagne auf fruchtbaren Boden, hatten die drogenpolitischen SPD-Betonköpfe im bierseligen Umfeld des Kanzlers doch nur darauf gewartet, das Thema „Re-Legalisierung“ endgültig vom Tisch zu bekommen. Also hat Tante SPD in Form von Frau Caspers-Merk und später mit Sabine Bätzing fleißig an der Mär vom „Psycho-Gras“ mit gestrickt. Mittlerweile sitzt Frau Caspers-Merk in der „Global Commission on Drug Policy“, deren Mitglieder auf internationaler Ebene Modelle für einen regulierten Cannabismarkt einfordern. Bei ihren Vorträgen in Deutschland besteht die Ex-Drogenbeauftragte jedoch weiterhin auf dem Total-Verbot und beweist damit, dass nicht Prävention, sondern Opportunismus das Leitmotiv deutscher Drogenpolitik ist: Immer schön mitreden und ja sagen, aber, wie so oft in der Geschichte, bloß nicht Erste/r sein, wenn es um konkrete Reformen geht. Die kann es auch nur geben, wenn die medizinische Erkenntnis, dass ein verantwortungsvoller Umgang ohne problematisches Konsummuster und ohne Suchtdruck bei Cannabis viel einfacher ist als bei den legalen Drogen, auch in den Köpfen des Gesetzgebers verankert ist.
Die derzeitige Pseudo-Entkriminalisierung von Cannabiskonsumierenden ist das Ergebnis einer seit Jahren anhaltenden „Anslinger-Light“ Kampagne, die ausschließlich an niedere Ur-Instinkte appelliert, friedliebende Bürger/innen zu Kriminellen macht und einer aufgeklärten Gesellschaft des 21. Jahrhunderts nicht würdig ist. Angst macht eben mut- und kraftlos.