Montag, 5. März 2012

Cannabis gegen Alzheimer

Franjo Grotenhermen ist Vorstand und Sprecher der Arbeitsgemeinschaft Cannabis als Medizin

Vor etwa fünf Jahren berichtete ich im Hanf Journal bereits über die Behandlung bestimmter Symptome der Alzheimer-Krankheit (Morbus Alzheimer) mit Cannabinoiden. Damals ging es vor allem um eine Studie an der Universitätsklinik Charite in Berlin, bei der THC die nächtliche Bewegungsaktivität von Patienten mit fortgeschrittener Alzheimer-Krankheit reduzierte.

Eine neue experimentelle Studie mit Mäusen von Professor Maria de Ceballos und ihren Kollegen vom Cajal-Institut in Madrid (Spanien) hat nun ergeben, dass die langzeitige Gabe von Cannabinoiden Entzündungen im Gehirn reduzierte und auf längere Sicht die geistige Leistungsfähigkeit bewahrte. Diese Ergebnisse wurden nun im Journal of Neuroinflammation veröffentlicht. In der gleichen Ausgabe der Zeitschrift werfen Professor Yannick Marchalant von der Universität Marseille und weitere renommierte Wissenschaftler aus Frankreich und den USA die Frage auf, ob Cannabinoide möglicherweise eine Rolle bei der Vorbeugung der Alzheimer-Krankheit spielen könnten. Dazu sollten Studien mit Personen, die Cannabis konsumieren, durchgeführt werden. „Um diese Hypothese zu testen, könnten epidemiologische Studien mit langzeitigen, chronischen Cannabinoid-Konsumenten den möglichen Nutzen dieser Substanzen bei normalen und pathologischen Alterungsprozessen erhellen,“ schreiben sie Anfang 2012 im Journal of Neuroinflammation.
Die Alzheimer-Krankheit ist die häufigste degenerative Krankheit des Nervensystems und für die meisten Fälle von Demenz nach dem 60. Lebensjahr verantwortlich. Die derzeit verfügbaren Medikamente bringen nur eine vorübergehende Linderung einiger Symptome und sind oft mit starken Nebenwirkungen verbunden. Es gibt bisher keine Therapie, die die Erkrankung verzögern, stoppen oder die zu Grunde liegenden Veränderungen im Gehirn rückgängig machen können.
Wegen der mangelnden Wirksamkeit verfügbarer Behandlungen macht es Sinn, sich verstärkt mit der Vorbeugung der Erkrankung zu beschäftigen. Ein Aspekt der Alzheimer-Krankheit sind entzündliche Veränderungen im Gehirn.
In einer Studie aus dem Jahr 2001 mit Patienten im Alter von über 65 Jahren, die mehr als zwei Jahre lang mit nicht-steroidalen Entzündungshemmern, wie beispielsweise Aspirin oder Voltaren, behandelt worden waren, fiel auf, dass sie in einem Beobachtungszeitraum von acht Jahren wesentlich seltener an einer Alzheimer-Krankheit litten als andere Personen im gleichen Alter. Danach wurden einige klinische Studien mit solchen Präparaten bei Patienten mit der Alzheimer-Krankheit durchgeführt. Allerdings waren die Medikamente jetzt wirkungslos. Diese Entzündungshemmer hatten offenbar keine große Auswirkung auf den Verlauf, wenn die Erkrankung bereits ausgebrochen war.

Cannabis und Cannabinoide beeinflussen Entzündungsprozesse. Das ist bei verschiedenen entzündlichen Erkrankungen, wie beispielsweise entzündlichen Darmerkrankungen (Morbus Crohn) und Gelenksentzündungen (Arthritis), nachgewiesen worden. Bereits in den Jahren 2007 bis 2009 hatte Professor Marchalant mit seiner Arbeitsgruppe in mehreren Versuchen nachgewiesen, dass Cannabinoide chronische Gehirnentzündungen von Ratten lindern, Alterungseffekte mit entzündlichen Gehirnveränderungen abschwächen, die Bildung neuer Nerven fördern und das Gedächtnis verbessern können. Die Wissenschaftler aus Spanien um Professor de Ceballos haben diese Beobachtungen nun mit einer speziellen genetischen Variante von Mäusen, die zur Entwicklung von Alzheimer-ähnlichen Veränderungen im Gehirn neigen, bestätigt. Die Tiere erhielten vier Monate lang kleine, nicht zu psychischen Effekten führende Dosen zweier synthetischer Cannabinoide in ihr Trinkwasser.
Tiere, die keine Cannabinoide erhalten hatten, wiesen nach 11 Monaten ausgeprägte Störungen der Wiedererkennung von Objekten auf, während eines der beiden Cannabinoide diese Störungen vollständig verhinderte. Die Anzahl und Aktivität von Entzündungszellen im Gehirn, so genannte Mikrogliazellen, wurden durch die Cannabinoid-Gabe deutlich reduziert. Die Menge des bei der Alzheimer-Krankheit vermehrt im Gehirn auftretenden, für Nervenzellen giftigen Amyloid-Beta war deutlich reduziert.
Etwa 2 Prozent der Europäer im Alter zwischen 65 und 70 Jahren leidet an einem Morbus Alzheimer. Dieser Anteil verdoppelt sich mit steigendem Lebensalter alle fünf bis 10 Jahre. Bei den über 80-Jährigen liegt der Anteil über 15 Prozent. Es wird erwartet, dass wegen der weiter steigenden Lebenserwartung der Bevölkerung die Häufigkeit der Altersdemenz in den kommenden Jahrzehnten deutlich zunimmt. Die Erkrankung ist durch Gedächtnis- und Orientierungsstörungen sowie Störungen des Denk- und Urteilsvermögens gekennzeichnet. Hinzu kommen Störungen der Emotionen und des Verhaltens.
Professor Marchalant und seine Kollegen weisen daraufhin, dass es mittlerweile eine Anzahl von Cannabiskonsumenten geben sollte, die seit vielen Jahren konsumieren und über 60 Jahre alt sind.

Eine Studie mit einer großen Gruppe dieser Konsumenten könnte „zu neuen therapeutischen Strategien führen, die sowohl auf die chronische Entzündung als auch auf die Abnahme der Nervenneubildung im Zusammenhang mit der normalen Alterung und der Alzheimer-Krankheit abzielt“.

Dr. med. Franjo Grotenhermen
Mitarbeiter des nova Institutes in Hürth bei Köln und Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft Cannabis als Medizin(ACM).

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