Franjo Grotenhermen ist Vorstand und Sprecher der Arbeitsgemeinschaft Cannabis als Medizin
Wenn Kranke mit einer Therapie mit Cannabisprodukten beginnen, so wird ihnen empfohlen, mit kleinen Dosen zu starten und langsam zu steigern, um keine zu starken unerwünschten Wirkungen zu erleben. Die erforderliche Dosis für psychische Wirkungen und andere Effekte von THC ist individuell sehr variabel, und so stellt sich die Frage, woran das liegt. In einer klinischen Studie schwankten die wirksamen täglichen Dosen zur Behandlung der Spastik bei Querschnittslähmung zwischen 15 und 60 mg, in einer anderen Studie zur Wirksamkeit bei der Spastik von Multiple-Sklerose-Patienten lag die Breite der täglichen Dosen sogar zwischen 2,5 und 120 mg THC.
Eine wahrscheinliche Ursache sind Unterschiede in den Genen, die für die Herstellung der Cannabinoid-Rezeptoren sowie für die Herstellung von Enzymen für den Abbau von THC in der Leber verantwortlich sind. Dies führt zu Unterschieden im Aufbau der Rezeptoren und zu Unterschieden bei der Verstoffwechselung von Cannabinoiden. Enzyme sind Eiweißverbindungen, die chemische Prozesse im Körper beschleunigen.
Man kann sich leicht vorstellen, dass, wenn Enzyme unterschiedlich wirksam sind, der Stoffwechsel verschiedener Personen dadurch deutlich beeinflusst wird.
THC wird in der Leber überwiegend zunächst zu 11-OH-THC (11-Hydroxy-THC) und dann zu THC-COOH (11-nor-9-Carboxy-THC) abgebaut. Der Abbau von THC zu 11-OH-THC wird durch ein Enzym mit dem Namen CYP2C9 beschleunigt. Das Gen, das für die Herstellung dieses Enzyms verantwortlich ist, liegt in verschiedenen Varianten vor. Man spricht in diesem Fall von einem Polymorphismus des Gens. Weit verbreitet sind drei Varianten.
An der Universität Göttingen wurde vor drei Jahren eine Studie mit 43 gesunden Freiwilligen durchgeführt, bei denen unterschiedliche Gen-Varianten für das CYP2C9-Enzym vorlagen. Die meisten Teilnehmer wiesen die normale, aktivste Enzym-Variante auf. Alle erhielten einmalig 15 mg orales THC. Die maximalen THC-Konzentrationen im Blutplasma variierten zwischen 1,1 und 9,7 ng/ml (Nanogramm pro Milliliter) und unterschieden sich deutlich in Abhängigkeit von den drei Gen-Varianten.
Bei der Gen-Variante, die zur Herstellung des aktivsten Enzyms führt, betrug die maximale THC-Konzentration durchschnittlich 2,7 ng/ml, während diese Konzentration bei dem am wenigsten aktiven Enzym durchschnittlich 6,3 ng/ml betrug. Bei Personen mit der aktivsten Enzym-Variante wurde THC auch am schnellsten abgebaut, so dass nach 24 Stunden noch eine durchschnittliche THC-Plasmakonzentration von 0,15 ng/ml gemessen wurde, verglichen mit durchschnittlich 0,37 ng/ml bei Personen mit der am wenigsten aktiven Enzym-Variante. Bei den Konzentrationen für das Abbauprodukt THC-COOH verhielt es sich erwartungsgemäß umgekehrt. Bei Personen mit einem schnellen Abbau betrug die maximale Konzentration durchschnittlich 25,7 ng/ml und bei den Teilnehmern mit geringer Enzymaktivität betrug die THC-COOH-Konzentration im Durchschnitt maximal nur 4,8 ng/ml. Die Verstoffwechselung hat also auch Auswirkungen auf die Dauer eines THC-Nachweises im Blut beziehungsweise Urin. Am Abbau von THC sind weitere Enzyme beteiligt, wenn auch in geringerem Ausmaß. Für sie konnte in dieser Untersuchung kein relevanter Einfluss auf die Geschwindigkeit des THC-Abbaus festgestellt werden.
Interessanterweise fanden Wissenschaftler aus Göttingen auch Unterschiede zwischen den 27 an der Studie teilgenommenen Männern und dem 16 Frauen. Nach Berücksichtigung von Gentyp, Gewicht und einem Blutwert wiesen die männlichen Teilnehmer durchschnittlich eine deutlich geringere maximale THC-Konzentration im Plasma auf als die weiblichen Probanden (3,2 ng/ml gegenüber 5,3 ng/ml). Die Autoren vermuten, dass für diese Unterschiede zwischen den Geschlechtern der unterschiedliche Fettanteil am Körpergewicht verantwortlich sein könnte.
Für die Intensität der Wirkungen von Cannabis beziehungsweise THC könnten nicht nur Gen-Varianten für Enzyme, die für die Verstoffwechselung von Cannabis verantwortlich sind, von Bedeutung sein, sondern auch Gen-Varianten für die Herstellung von Cannabinoidrezeptoren. So wurde ein Polymorphismus des Gens, das den Cannabinoid-1-Rezeptor (CB1-Rezeptor) kodiert, nachgewiesen. Zudem gab es in den vergangenen Jahren eine Anzahl von Studien zur Untersuchung der Frage, ob Menschen mit bestimmten Gen-Varianten (Mutationen) des CB1-Rezeptors häufiger zu bestimmten Erkrankungen neigen. Danach könnte es sein, dass bestimmte Varianten des CB1-Rezeptors mit einem leicht erhöhten Risiko für Schizophrenie und Depressionen bei der Parkinson-Krankheit assoziiert sind.
Fazit: Wir besitzen alle Enzyme, die THC verstoffwechseln, sowie Cannabinoidrezeptoren, an die THC bindet. Sie arbeiten aber nicht alle identisch, denn es gibt verschiedene Varianten dieser Proteine.