Teil 2: Die Tollkirsche
Atropa belladonna LINNÉ
Familie:
Solanaceae (Nachtschattengewächse)
Synonyme:
Atropa lethalis SALISB., Atropa lutescens JACQ. ex C.B. CLARKE, Belladonna baccifera LAM., Belladonna trichotoma SCOP. und andere
Trivialnamen:
Beilwurz, Bockwurz, Bullkraut, Deadly Nightshade, Höllenkraut, Irrbeere, Judenkirsche, Mörderbeere, Satanskraut, Schlafapfel, Schlafbeere, Sleeping Nightshade, Solanum bacca nigra, Schwindelbeere, Teufelsbeere, Teufelsgäggele, Waldnachtschaden, Wolfsauge, Wolfsbeere, Wolfskirsche u.v.a.
Vorkommen:
In Mittel- und Süd-Europa in Laubwäldern, an Waldrändern, auf Lichtungen, bevorzugt schattige Plätze und kalkreichen Boden.
Botanik
Atropa belladonna ist ein mehrjähriges, staudenartiges Gewächs, das über 1,50 Meter hoch werden kann. Sie trägt längliche, oval-spitze Blätter und eine glockenförmige violette bis bräunliche Blüte, die aus einem fünfzipfeligen, grün-gelblichen Kelch sprießt.
Die zunächst grüne, später tiefschwarze Beere ist etwa groß wie eine Kirsche und bildet sich nach der Blüte in deren Kelch. Die Tollkirsche blüht von Juni bis August.
Wirkstoffe
Tropanalkaloide Atropin und Hyoscyamin als Hauptkomponenten, daneben Apoatropin und weitere Tropanalkaloide. In der frischen Pflanze kommt hauptsächlich (-)-Hyoscyamin vor, welches sich nach der Ernte und während des Trocknungsprozesses in Atropin umwandelt. Die stärkste Konzentration an Atropin enthalten mit bis zu 9,6 % die reifen Beeren.
Geschichte
Seit langem wird die gefürchtete Tollkirsche als Gift- und Hexenpflanze, wegen ihrer Giftigkeit aber nur selten als Zaubergewächs, z.B. für die Verwendung in Flug- und Hexensalben, gebraucht. Wissenschaftliche Spekulationen machten Atropa sogar für das plötzliche Aussterben der Dinosaurier verantwortlich. Seit dem Altertum wird die Tollkirsche zu aphrodisischen Zwecken eingesetzt, im alten Orient benutzte man die Pflanze als Bier-, Met- und Wein-Additiv.
Abgesehen vom antiken Gebrauch als Analgetikum (Schmerzmittel) und Psychopharmakon und der im 19. Jahrhundert populär gewordenen Anwendung gegen Gelbsucht, Husten, Epilepsie, Scharlach, Hautkrankheiten, Nierenkoliken und einige andere Leiden, erlangte Atropa als Medizin in früherer Zeit nur wenig Bedeutung.
Erst mit der Entdeckung der pupillenerweiternden Eigenschaften des Tollkirsch-Saftes und der darauffolgenden Aufnahme desselben in die Pharmakopöe der Ophthalmologie (Augenheilkunde), wurde die Pflanze für medizinische Zwecke interessant und wertvoll. Der deutsche Apotheker MEIN isolierte 1833 erstmals das Atropin aus der Tollkirsche.
Verwendung
Die getrockneten Blätter und Früchte können Rauch- und Räuchermischungen beigegeben werden. Das Essen der Beeren ist wegen möglicher Alkaloidschwankungen sehr unsicher und mitunter sogar lebensgefährlich.
Nach Christian Rätsch gelten 1 bis 2 Beeren als niedrige psychotrope Dosis, 3 bis 4 Beeren als Aphrodisiakum und 3 bis höchstens 10 Früchte als Halluzinogen. Mengen ab 10 Tollkisch-Beeren gelten als tödlich, bei Kindern reichen schon 2 bis 3. Aus den frischen Früchten kann außerdem ein alkoholisches Getränk, z.B. Schnaps, hergestellt werden. Am ungefährlichsten ist der Gebrauch von getrocknetem Pflanzenmaterial in Rauchmischungen.
Wirkung
Die Wirkungen auf Körper und Geist sind gekennzeichnet durch die typischen Symptome einer Nachtschatten- bzw. Tropan-Intoxikation und ähneln denen, die durch Stechapfel (Datura spp.), Engelstrompete (Brugmansia spp.), Bilsenkraut (Hyoscyamus spp.) und Alraune (Mandragora spp.) induziert werden (siehe hierzu meinen Beitrag zu den Erfahrungsberichten, grow! 3/03: 38-39).
Je nach Dosis können Ataxie, Atembeschleunigung, Aggression, Bewegungs- und Koordinationsstörungen, Erregung (auch sexuelle), Euphorie (z.B. Lach-Flashs), Halluzinationen, Haut- und Gesichtsrötung, Mundtrockenheit, Mydriasis (Pupillenerweiterung), Raserei, Rededrang, Tachykardie (erhöhte Pulsfrequenz), Verwirrung, Wut, und im schlimmsten Fall, sogar der Tod durch Atemlähmung die Folge eines Konsums sein.
„Leichtere Vergiftungen äußern sich in euphorischer Stimmung und einem Gefühl der Zeitlosigkeit, wie dies bisweilen auch beim Gebrauch von Haschisch vorkommt. Anschließend fällt der Betroffene in einen Tiefschlaf mit erotischen Träumen. Mittlere Vergiftungen bewirken Trockenheit der Schleimhäute mit Jucken und Brennen, begleitet von Übelkeit und Schwindel. (…) Schwere Formen der Vergiftung führen zu Tobsuchtsanfällen, psychomotorischer Unruhe, hochgradiger Erregung und Euphorie, Rededrang, Weinkrämpfe, Halluzinationen, Konvulsionen, Beschleunigung der Atmung, rasendem Puls, Blutdrucksteigerung, Seh- und Sprachstörungen, selten Erbrechen (Erbrochenes ist violett gefärbt), Fieber und Hitze mit enormem Schwitzen, pochenden Kopfschmerzen, Zittern und Zucken mit schwankendem Gang, Delirium und zentrale Lähmung bis zum Atemstillstand. (…) Als Halluzinogen ruft die Pflanze bei entsprechender Einnahme wahnsinnige Illusionen hervor, in dem Tiergestalten, düstere Gesichter wahrgenommen werden. Bereits wenn man einige Blätter oder Blüten unters Kissen legt, werden lebhafte und intensive Träume wachgerufen, bei denen man glaubt, in der Luft zu schweben.“ (VONARBURG 1996: 62f.)
Gefahren & Nebenwirkungen
Wie bei allen Tropanalkalod-haltigen Solanaceen überschneiden sich Wirkung und Nebenwirkung recht schnell und häufig. Bekanntermaßen können Psychedelika, also auch Atropa belladonna, eine latente Psychose aktivieren; der User befindet sich dann auf einem Horrortrip. Durch Tropanalkaloide verursachte Halluzinationen können in der Regel nicht oder nur sehr schwerlich von der Realität unterschieden werden.
Dies kann für den Intoxikierten schnell zur lebensbedrohlichen Falle werden. Die größte Gefahr im Umgang mit der Tollkirsche ist aber eindeutig eine Überdosierung, welche zügig einen qualvollen Tod durch Atemlähmung mit sich bringen kann. Weitere Nebenwirkungen entnehme man bitte den Wirkungsangaben oben.
Rechtslage
Atropa belladonna wächst wild im Wald und unterliegt in dieser Form keinen Bestimmungen. Die präparierten Atropa-Blätter und -Wurzeln hingegen, sowie der Wirkstoff Atropin sind apotheken- und verschreibungspflichtig.
Literatur:
Berger, Markus (2003), Stechapfel und Engelstrompete. Ein halluzinogenes Schwesternpaar, Solothurn: Nachtschatten Verlag
Berger, Markus und Hotz, Oliver (2008), Die Tollkirsche – Königin der dunklen Wälder, Solothurn: Nachtschatten Verlag
Rätsch, Christian (1998), Enzyklopädie der psychoaktiven Pflanzen, Aarau: AT Verlag
Rätsch, Christian; Müller-Ebeling, Claudia (2003), Lexikon der Liebesmittel, Aarau: AT Verlag
Vonarburg, B. (1996), Die Tollkirsche, Natürlich – Offizielles Publikationsorgan der ‚Eidgenössischen’ Gesundsheitskasse 16, 10: 61-64