Dienstag, 5. Oktober 2010

Rolys Silberscheiben des Monats Oktober

1000 Robota: UFO
(buback / indigo)

Im Jahre 2008 war das damals knapp volljährige Trio aus Hamburg trotz oder gerade wegen seiner deutschen Texte plötzlich ein kleiner Hype in London, bejubelt vom New Musical Express und auf eine Stufe gehoben mit Gang Of Four und anderen Königen des Postpunk. Nach ihrer EP mit dem überaus shirtkompatiblen Titel „Hamburg brennt“ und dem jugendlich aggressiven Parolen-Album „Du nicht er nicht sie nicht” wechselten Anton Spielmann und seine Kollegen zur Hamburger Indie-Institution Buback und haben mit Mense Reents und Ted Gaier von den Goldenen Zitronen den Nachfolger „UFO“ produziert. Distanziert und erbarmungslos schmettern 1000 Robota dem Zuhörer in zehn Songs ihre wütenden Gedanken entgegen. „UFO“ ist ein cleveres Spiel mit Postpunk- und Krautrockreferenzen, das Wiederholungen und Instrumentalpassagen zulässt, um plötzlich doch düstere Killerhooklines zu servieren – „Guten Menschen kommen oft die Tränen“. Die Jungs spielen mit der Erwartungshaltung, lassen Aussagen aus, wenn sie erwartet werden, und sprechen Klartext, wenn die Musik runterfährt – „Verneinen ist einfach und Einsicht ist schwer“. Beim finalen Song „Alter Mann“ setzt sich Spielmann mit der Angst auseinander, eines Tages die Wut zu verlieren, die seine Musik befeuert. Man hat das Gefühl, das Album wäre vor 30 Jahren produziert worden, und da ich die Musik der frühen Achtziger sehr schätze, ist das als Kompliment gemeint. Auch der viel zu früh verstorbene Joy Division-Sänger Ian Curtis hätte seine helle Freude an dieser blutjungen Band. Druckvoll, spielfreudig und verstörend.
www.myspace.com/1000robota
www.1000robota.com


Le Fly: St.Pauli Tanzmusik
(lacrima records)

Nicht nur als langjähriger Fan des 1.FC Köln pflege ich seit fast 30 Jahren eine innige Freundschaft zu St.Pauli. Vor gut zehn Jahren wäre ich fast selbst dort hingezogen, und über den Wiederaufstieg zum 100. Jubiläum habe ich mich mindestens so gefreut wie die Jungs von Le Fly, die am 9.Mai 2010 mit als 50.000 St. Paulianern auf dem Spielbudenplatz die Aufstiegsfeier ‚ihres’ Fussballclubs mit einem Mördergig feierten. Seit 2005 begeistern die sechs Mucker- und Schlucker-erfahrenen Schnacker mit dem süffisant norddeutschen Schalk im Augenwinkel das Publikum auf Festivals und in den Clubs. „St. Pauli Tanzmusik“ ist eine schrille Mischung aus Schnaps, Qualm und Konfetti bzw. ein Clash aus Rock, HipHop, Reggae, Funk und Punk mit einer Portion Turntablism. 15 Kracherpeitschen plus der nicht weniger stimmungsvolle Bonustrack „We Love FC St.Pauli“ sorgen für einen abrissartigen High-Energy-Irrsinn. Dort, wo sich Hamburgs Glamour und Schmutz so selbstverständlich mischen wie die Körpersäfte der Herbertstrassen-Freier mit denen ihrer auserwählten Kurzbegleiterinnen, mischen sich wild und ironisch ihre deutschen, englischen und spanischen Texte auf Songs wie „Fliegen“, „Suck It Or Lick It“ und „Uh Girl“ oder Rap-Ska-Raketen wie „No Tan Solo“, „Weiter“ und „Face On The Cover“ mit einem Humor, dem sie selbst attestieren, „angenehm bescheuert“ zu sein. Mit „St. Pauli Tanzmusik“ haben die Jungs eine knackig-spackige Trümmer-Platte zusammengejammt. Mit Melodien, die man auch nach einem St. Pauli-Auswärtssieg noch rückwärts schunkeln kann – aber nicht gegen Köln 😉
www.myspace.com/fliegmitlefly
www.lefly.de


V.A.: Pacha Flower Power
(pacha recordings)

Als ich diese Doppel-CD zugeschickt bekam, dachte ich zuerst, sie wäre falsch adressiert worden. Diese Hippiemucke ist nun wirklich nicht mein Genre, aber ich bin ja musikalisch aufgeschlossen. „Dabei geht es nicht um Nostalgie, sondern um einen ganz besonderen Spirit“, sagt DJ Piti, also hören wir doch mal rein. – Ende der 60er tanzten Blumenkinder auf Ibiza zu Beat, Folk und Psychedelic Rock bei den „Flower Power“ Clubnächten im legendären Pacha. Ur-Hippies und Aussteiger mit bemalten VW-Bussen träumten am Mittelmeer von einem alternativen Leben. Disco sollte erst ein Jahrzehnt später erfunden werden. Eingebettet in die Nightclubbing-Szenerie von heute gibt’s diese farbenfrohen Happenings, zu denen die Leute in spektakulären Outfits kommen, inzwischen wieder sieben Mal im Jahr. Und diese Compilation von DJ Piti ist eine Hommage an dieses Happy Hippie Fiesta Party-Konzept. Die Supremes und die lustigen Beach Boys habe ich selbst mehrfach auf Vinyl, aber überraschenderweise habe ich hier auch mit Klassikern wie „Mr. Tambourine Man“, „California Dreamin“, „Will You Love Me Tomorrow“, „Runaway”, „The Wanderer“, „C’mon Everybody“, „Great Balls Of Fire“, „The Locomotion“, „Do Wah Diddy Diddy“, „Shout“, „Wild Thing“, „Get It On”, „Keep On Running”, „I Got You”, „Sweet Soul Music”, „War”, „Don’t Let Me Be Misunderstood” und „Papa Was A Rolling Stone”, die wohl den Geist von „Flower Power“ am besten vermitteln, eine ziemlich amüsante Zeit. Ja, es lebt noch, das Hippie-Ibiza. Also rein in die Schlaghosen und auf eine Zeitreise in die 70er!
www.yamabooki.com
www.pacha.com


Various: Best Of Bossa Lounge Vol. 2
(chet records)

Schon bei der ersten Folge dieser Compilation-Serie war ich sehr überrascht, wie gut Cover-Versionen eigentlich klingen können, vor allem wenn ich Fan vom Original bin. Es gibt ja oft nichts Schlimmeres, wenn aus einer guten Pop-Ballade ein belangloses HipHop-Remake entsteht oder wenn ein Rock-Klassiker unter die Techno-Trash-Fittiche genommen wird. Die vorliegende Doppel-CD „Best Of Bossa Lounge Vol. 2“ setzt dagegen inhaltlich erneut auf 40 grosse Klassiker der Popgeschichte im entspannten Bossa-Gewand. Sämtliche Titel stammen auch diesmal aus den Studios des argentinischen Produzenten Miko Jackson, dem Mastermind der Fusionsalben „Bossa N Marley“, „Bossa N Roses“ oder „Jazz n 80s“, die sich weltweit millionenfach verkauft haben. Neben ausgewählten Songs aus den 70ern und 90ern freue ich mich natürlich ganz besonders über die gefühlvoll und erotisch interpretierten Kompositionen der 80er Jahre. Was im Untertitel bereits mit „jazzy flavoured“ versprochen wird, swingt sehr angenehm in unvergesslichen Songs wie „New Year’s Day“ (U2), „Boys Don’t Cry“ (The Cure), Don’t You Want Me“ (Human League), Da Ya Think I’m Sexy“ (Rod Stewart), „Material Girl“ (Madonna), „Hungry Like The Wolf“ (Duran Duran), „Beat It“ (Michael Jackson), „Shout“ (Tears For Fears), „Think For A Minute” (Housemartins) oder auch „99 Red Balloons” (Nena). Coole Kaffeehausmusik, die den Originalen den nötigen Respekt erweist und doch eigenständig, mit neuen Impulsen und unglaublich stilvoll zu gefallen weiss. Supersinnlicher Sound!
www.chet-records.de
www.groove-attack.com


Dubmatix: System Shakedown
Dubblestandart: Marijuana Dreams
(echo beach / collision)

Das Label Echo Beach bürgt immer wieder für hochwertige Releaes und mischt gerade wieder die zeitgenössische Dub-Szene mit zwei sehr empfehlenswerten Alben auf: Der Kanadier Jesse King alias Dubmatix bietet auf seinem vierten Album „System Shakedown“ einen vielfältigen Mix aus fanfarenartigen Bläsersätzen und fetten Old School Riddims, auf denen sich zahlreiche Gastvokalisten das Mikro in die Hand geben. Im ersten Track fordert Kulcha Ites den Hörer auf, den „Wobble Webble” zu tanzen, bevor man in Omar Perry’s „Dem Mo Like It“ auf Drum’n’Bass steppen kann. Rub-A-Dub Style gibt’s mit „Rough Likkle Sound“ von Brother Culture, während Jay Douglas in „Celebrate My Love“ den Rough Out Riddim veredelt. Auch die guten Ragga Twins und Ammoye zeigen mal wieder, wie cool und experimentierfreudig sie sind. Textlich überzeugt „Struggle“, in dem Dennis Alcapone von steinigen Wegen singt, die es im Leben zu meistern gilt. U Brown’s „Whatchya Gonna Do?“ drückt mit dickem Drum’n’Bass, bevor am Ende noch dem traditionellen Rootsdub gehuldigt wird. – Mindestens genauso gut gefällt mir das neue, mittlerweile zwölfte Dubblestandart Album „Marijuana Dreams“, das auf dem Sublabel Collision erscheint. Tracks wie „They Became One“, Build To Last Dub“, „Saints Go Marchin’ Through All The Popular Tunes“, „Vampire Informer” (Dub) und „Marijuana Dreams“ führen den Zuhörer in einen angenehmen Zustand der Schwerelosigkeit. Zusammen mit Anthony B, Elephant Man, Lee „Scratch“ Perry sowie den einzigartigen Spoken Word Performances von Filmregisseur David Lynch und Poet/Schriftsteller William S. Burroughs sorgen die Wiener Soundtüftler hier für einen sehr spacigen 21 Century Dub Showcase par excellence.
www.dubmatix.com
www.dubblestandart.com

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