Mittwoch, 4. August 2010

Rolys Silberscheiben des Monats August

Netsky: Netsky
(hospital records)

Auf diesen jungen Belgier bin ich durch einen sehr guten Freund aufmerksam geworden. In einem beschaulichen Vorort bei Antwerpen geboren und aufgewachsen, gelang Boris Daenen aka Netsky mit seinen ersten Veröffentlichungen auf Liq-Weed Ganja, Spearhead und Talkin Beatz im vergangenen Jahr nicht nur die Unterzeichnung eines Vertrages bei der renommierten Londoner Plattenfirma Hospital Records, sondern auf Anhieb auch eine Nominierung als „Best Upcoming Producer“ bei den Drum’n’Bass Arena Awards. Eine Auszeichnung, die sich vor allem vor dem Hintergrund seiner Herkunft als Qualitätsmerkmal interpretieren lässt. Sein mit Spannung erwartetes, selbstbetiteltes Debut-Album erschien zwar schon Anfang Juni, doch es ist nie zu spät, gute Musik zu promoten. Den Zugang zu seinem Album erleichtert er vor allem Drum’n’Bass-Neulingen durch eingängige Melodien, die direkt ins Ohr gehen und spätestens beim zweiten Track in die Tanzmuskeln rauschen, ständig untermalt durch einen satten Klang im niederen Frequenzbereich. Neben energiegeladenen Vocal-Hits wie „Escape” (feat. Darrison), „Moving With You” (feat. Jenna G) und „Mellow“ (feat. Terri Pace) sowie instrumentalen Floorgewittern wie „Iron Heart” (im Video kommt Netsky zu spät zu einem Auftritt und ist gefangen in einer Zeitblase), „Secret Agent” und „The Magic Russian Bottle“ stehen deepere Momente wie „Storm Clouds” und das verträumt-schöne „Let’s Leave Tomorrow” (feat. Bev Lee Harling). „Netsky has nailed the sound of 2010’s raver. Clean cut, high quality dancefloor music, perfect for staying up all night to.” Frisch und euphorisch – Bühne frei für Netsky.
www.myspace.com/netskymusic
www.netskymusic.com
www.hospitalrecords.com


Dutch: Bright Cold Day
(enemy soil)

Schon seit langer Zeit sind Jedi Mind Tricks eine feste Grösse des Philly-Undergrounds, mit ihrer Vorliebe für Verschwörungstheorien, obskuren Samples aus Klassik und Science Fiction, doomigen Beats und der Verbreitung bitterer Wahrheiten konnten DJ Stoupe The Enemy Of Mankind, MC Vinnie Paz und der lange verschollene „Partner in Rhyme“ Jus Allah in den letzten 12 Jahren ein wahres Underground-Imperium im HipHop Business erschaffen. Ihr zweites Album „Violent By Design“ (2000) gilt als eine der bedeutendsten Independent-Platten des Genres. Doch auch darüber hinaus versuchen die Jungs, ihren Sound publik zu machen. Stoupe arbeitete bereits im Jahre 2006 für den Track „Razorblade Salvation“ („Servants In Heaven, Kings In Hell“) sowie zwei Jahre später für „Death Messiah“ („A History Of Violence“) mit der Sängerin und Songschreiberin Liz Fullerton zusammen. Nun haben die beiden unter dem Namen „Dutch“ das gemeinsame Album „Bright Cold Day“ veröffentlicht, auf dem Stoupes typisch düstere Beats auf Fullertons wunderbare Stimme treffen. Querverweise zu Portishead drängen sich beim ersten Hören auf, denn auch hier glaubt man, in eine Traumwelt aus in Zeitlupe ablaufenden Beats und Samples abzutauchen, die von einer melodramatischen Stimmung durchdrungen werden. Die emotional arrangierten Klangbilder von Songs wie „Pearls“, „2,000 Leagues Under My Keyboard“, „Warm Like The Wind“, „California Cloaked In Wool“ und „Tristessa“ erinnern an alte Filmmusik und vermitteln ein intensives Gefühl, das ich sehr schätze. Unglaublich deep.
www.myspace.com/dutch
www.enemysoil.com


Spoek Mathambo: Mshini Wam
(bbe records)

Kaum liegt die WM in Südafrika hinter uns, gibt’s hier aus dem Gastgeberland mal etwas abwechslungsreicheren Sound als den der Vuvuzelas. Kwaito war der Sound der Schwarzen, der Anfang der 90er Jahre das Ende der Apartheid begleitete. Er war zwar cool, aber ein bisschen zu langweilig für Südafrika. Also drehten DJs in Johannesburg und Durban die Plattenteller schneller, fügten ein paar afrikanische Elemente dazu und schon war Kwaito House geboren. Südafrikas Ndebele-Prinz Spoek Mathambo ist Rapper, DJ, Illustrator, Stilikone und Weltenbürger. Ohne Rücksicht auf Verluste dreht er ironische Rap-Lyrics, schrille New Rave-Synthies und dreckigen Electro durch den Kwaito-Fleischwolf. Abwechselnd in Johannesburg und Malmö lebend macht er mit seinen Booty-Bass-Projekten Sweat.X und Playdoe auch europäische Hipster-Clubs unsicher. Spoek Mathambo, der sich selbst als „schlüpfrigen Post-Apartheid Post-HipHop Posterboy“ bezeichnet, hat nun mit „Mshini Wam“ sein erstes Soloalbum aufgenommen. Im Zeichen des Ghetto Bass, der derzeit weltweit die Favelas, Barrios und Townships rockt, gehen Tracks wie „Gwababa“ (Don’t Be Scared), „Gunboat“, „Control“ und „Tonite“ massiv nach vorne, während „Mshini Wam“, „Let Them Talk“, „Out The Box“ und „Douche Bag Club“ mit polyrhythmischen Grooves und funky Raps ebenso viel Spass machen. Townships sind die Brutstätte der neuen urbanen südafrikanischen Musik, die in diesem Fall ganz liebevoll als „African Coochie Pop“ betitelt werden darf. Ich gehe mal davon aus, dass die Afrikaner es sind, die den Sound von morgen definieren …
www.myspace.com/spoek
www.bbemusic.com


ThinkLoud: Droppin Mirrors
(ThinkLoud)

Bei ThinkLoud handelt es sich um ein kleines aber feines Netzwerk und Label, das die Visionen von Musikern und Grafikern bündelt. Seit der Gründung 2005 gab es zwei Alben von Lars vom Dorf, einen weiteren Sampler und diverse Mixkassetten hauseigener DJs. Mit „Droppin Mirrors“ feiern die Jungs aus Plauen das erste internationale Release. Die genreübergreifende Produktion, die sich von den Wurzeln aus Rap, Neosoul und Experimental löst, entwickelt mit jazzy-souligen Beats, dekonstruktiven Arrangements und unkonventionellen Ideen einen eigenen Charme. Als fester Bestandteil von ThinkLoud übernimmt Lars vom Dorf mit „Wired Spotlight“ ein angemessenes Intro, bevor Kev Brown & Kaimbr mit „Girl“ einen progressiv-souligen Song über Leidenschaft performen und Trek Life in „Self Portrait“ klassisch rappt. Für die meisten Beats hier verantwortlich, hat Stroe mit einem superschönen Rhodes-Sample von Jason Swinscoe auch einen hochklassigen Remix von Summsemann’s „Fadenfilm“ sowie mit „The Little Death Of A Flower“ ein exzellentes Outro angefertigt. Meine Highlights sind Oddisee’s gedankenverlorene „City Lights“, die spontane One-Take-Aufnahme „The Thunder We Feel“ des kanadischen Jazz- und Bluessängers Terrence Bowry, die HipHop-Ballade „Touch Up“ von Wolly Winyl & Black Swan aus North Carolina, das positiv stimmungsgeladene „Without A Doubt“ mit Aloe Blacc (Stones Throw), das moody groovende „2 Seconds“ feat. Trek Life & The Unknown und das extreme deepe „Buy My Pain” von Grand Agent (Superrappin‘). Ein detailverliebter Soundtrack mit vielen Freiräumen für eigene Interpretationen und Gedanken – deshalb wohl auch ThinkLoud.
www.myspace.com/thinkloud
www.thinkloud.de


Clueso & Stüba Philharmonie
(four music)

Erstmals nahm Clueso 2004 für das Album „Gute Musik“ mit Streichern der Stüba Philharmonie auf. Der Kreis der Beteiligten vergrösserte sich im Laufe der Jahre und für Cluesos Album „So sehr dabei“ wurden zwei Songs gemeinsam mit dem Orchester eingespielt. Im Unterschied zu anderen bekannten Künstlern, die ihre Songs mit meist hochdotierten, bekannten Sinfonieorchestern interpretieren, werden die Songs bei Clueso und Stüba gemeinsam arrangiert und geprobt. Aufgenommen am 28. und 29.12.2009 bei einem öffentlichen Studiokonzert im Hamburger Rolf-Liebermann-Studio des Norddeutschen Rundfunks, ist das vorliegende Doppelalbum „Clueso und Stüba Philharmonie“ mehr als nur eine gute Überbrückung bis zum neuen Album im kommenden Jahr. Denn auch wenn man all seine Lieder bereits kennt, bieten die Arrangements mit der Stüba Philharmonie auf 25 Songs viel Neues zu entdecken und sind einfach traumhaft schön. Unter meinen Highlights befinden sich „Mitnehm“, „Chicago“, „Keinen Zentimeter“, „Gewinner“ sowie die jeweils etwa zehnminütigen Hits „Gute Musik“, „Dein Raum“, „Vergessen ist so leicht“ und „Kein Bock zu gehen“, die in völlig neuem Glanz nur so strahlen. Ein sensationelles Musikerlebnis für alle, die ein achtzigköpfiges Sinfonieorchester mal aus einer ungewohnten Perspektive erleben möchten – wie es mit seinem Sound die emotionale und intelligente Poesie von Cluesos modernem Songwriting bereichert. Ein opulenter und ehrlicher Höhenflug mit Gänsehautgarantie, aber das war auch nicht anders zu erwarten.
www.myspace.com/clueso2
www.clueso.de
www.stueba.de
www.zughafen.de
www.fourmusic.com

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