Mittwoch, 7. April 2010

Rolys Silberscheiben des Monats April

Breakage: Foundation
(digital soundboy recordings)

Seitdem das Kultlabel Reinforced 2001 dem damals 17jährigen James Boyle sein Debüt mit der „Numbers EP“ gewährte, steht er für die Wiederbelebung und Transformierung von Jungle ins Heute. Die wirklich guten Sachen heutzutage klingen sowieso wie Referenzen oder auch Fortsetzungen alter Stile und fast alle haben Darkness als Bezugspunkt. So emuliert Breakage einen Metalheadz/No-U-Turn-Sound und steuert noch Dub dazu. Der Track „Bring Back“ auf dem irischen Label Bassbin, auf dem er auch sein Debütalbum „This Too Shall Pass“ veröffentlichte, drückte aus, was so mancher Junglist zu dieser Zeit (2004) fühlte. Nach Top-Singles wie „Together“, „Higher“ oder „Run Em Out“ mit Roots Manuva ist nun sein neues Album „Foundation“ auf Shy Fx’s Label Digital Soundboy erschienen, mit dem die Schnittstellen zwischen Dubstep und Drum’n’Bass weiter ausgeleuchtet werden. In Sachen Soundästhetik und Deepness kann ich Tracks wie „Open Up“, „Old Skool Ting“, „Temper“ (feat. Kemo), „Foundation“, „Justified“ (feat. Erin), „Vial“ (feat. Burial), „Speechless“ (feat. Donae’o viel abgewinnen. Auf „Hard” mit dem Londoner Grime-Kollektiv Newham Generals erklärt ein Vocal-Sample von David Rodigan in einem sehr schönen Wortspiel, dass es bei Musik um Liebe geht. Und genau deshalb kommt auch die 2Step-Hymne „Over“ (feat. Zarif) richtig gut. Der warme und experimentierfreudige Sound bringt frischen Wind in die Segel einer Musikrichtung, die schon mehrfach als untergegangen abgeschrieben wurde. Gerade diese 140 bpm Bassbomben untermauern den so dringend benötigten Jungle Vibe, ohne den Drum’n’Bass nachhause gehen könnte!
www.myspace.com/breakagedsb
www.digitalsoundboy.com


Snoop Dogg: The West Coast Blueprint
(priority records / emi)

Unter dem Namen Snoop Dogg avancierte der charismatische Rapper, clevere Geschäftsmann, ehemalige Gangster und bekennende Kiffer zum millionenschweren Superstar. Ob Tonträger, Filme, Action-Figuren, die Modekollektion „Snoop Dogg Clothing“ oder die Cadillac-Marke „Snoop DeVille“ – der Mann weiss, wie das Game funktioniert. Im letzten Jahr wurde die Westcoast-Ikone zum „Creative Chairman“ des legendären Rap-Labels Priority Records ernannt. Zum 25jährigen Bestehen des Labels erscheint nun das erste Release unter Snoop Dogg’s kreativer Leitung. Auf der Compilation „The West Coast Blueprint“ lässt er mit 16 Klassikern aus den Priority-Archiven und einem brandneuen Snoop Dogg G-Mix von Ice Cube’s „Check Yo Self“ die goldenen Jahre 1988 bis 1999 noch einmal hochleben. Erstklassige Joints von Legenden wie Eazy-E („Eazy-Duz-It“), Kid Frost („La Raza“), N.W.A. („Alwayz Into Somethin’“), Ice Cube („You Can’t Play With My Yo Yo” und „Check Yo Self“), Mack 10 („Foe Life“) und der Westside Connection („Gangstas Make The World Go Round“) stehen weniger bekannten Nummern von Interpreten wie King Tee oder Ras Kass gegenüber. Zwischendurch erzählt Snoopy immer wieder kurz etwas zu den einzelnen Epochen, aus denen die Tracks stammen. Wenn es um Gangsta Rap im Zeichen der zum „W“ gespreizten Finger geht, bei Priority in L.A. wurden damals die Ansagen gemacht. Keine Fliessbandproduktionen à la Timbaland, sondern Lyrics, Samples und Attitude. Neu abgemischt – ein gelungenes Sammlerstück.
www.snoopdogg.com
www.priorityrecords.com


Kidz In The Hall: Land Of Make Believe
(duck down)

Obwohl MCs wie Common, Talib Kweli oder Mos Def die HipHop-Freunde weiterhin regelmässig mit neuer Musik erfreuen, erscheinen auf der Bildfläche insgesamt nur noch selten Künstler mit Anspruch auf Aussage. Die doch so nötige Portion Conscious Rap bieten seit der Jahrtausendwende die Kidz in the Hall, die u.a. von Pete Rock & C.L. Smooth, Gang Starr und A Tribe Called Quest beeinflusst wurden. Sowohl Naledge als auch Double-O haben ein Diplom der Eliteschule University of Pennsylvania, eine von acht Universitäten der so genannten Ivy League, dem Verbund der führenden und prestigeträchtigsten Universitäten Amerikas. Die Liebe zum HipHop brachte die beiden Akademiker zusammen. 2006 noch bei Rawkus unter Vertrag, veröffentlichen Double-O und Naledge zwei Jahre nach „The In Crowd“ nun wieder auf dem nicht weniger legendären New Yorker Label Duck Down ihr drittes Album „Land Of Make Believe“. Zu den Vorzeigemomenten zählen „Traffic“, „Jukebox“ (feat. MC Lyte), „Will II Win“ (feat. Marsha Ambrosius) und „Running“ (feat. Tim William) – mit Tracks wie „Take Over The World” (feat. Just Blaze & Colin Munroe) oder „I Am (Reprise)“ kriegt man mich auch immer. Oder um es mit Just Blaze zu sagen: „Kidz In The Hall is a breath of fresh air in this tired rap world we’re living in right now. With the right push they could make a serious impact on what the rap game has become.” Ebenfalls auf Duck Down ist übrigens mit „The eXXecution“ auch gerade ein empfehlenswertes Kollabo-Album des kanadischen Produzenten Marco Polo mit dem Brooklyner MC Ruste Juxx erschienen.
www.myspace.com/kidzinthehall
www.duckdown.com


Samy Deluxe: Dis Wo ich Herkomm – Live
(emi music)

Der Big Baus aus Hamburg ist nach wie vor einer der wenigen Rapper hierzulande, denen ich immer noch gerne zuhöre. Vor allem die liebevoll produzierten Videos zu den beiden hochklassigen Songs „Superheld“ und „Stumm“ haben mich kürzlich wieder sehr begeistert. Durch das legendäre Dynamite Deluxe Demotape kam ich im Jahre 1997 erstmals mit seiner Musik in Berührung. Die beiden Alben „Deluxe Soundsystem“ (2000) und „TNT“ (2008) sind nach wie vor ebenso zu empfehlen wie seine drei Sologeschichten „Samy Deluxe“ (2001), „Verdammtnochma!“ (2004) und „Dis wo ich herkomm“ (2009). Aufgenommen bei seinen beiden Abschluss-Konzerten im Hamburger Kampnagel am 5. und 6. Dezember 2009 entstand nun gleichnamiges Live-Album, auf dem er neben seiner Tsunami Band und drei Background-Sängerinnen auch von einem Streicherensemble und einer Bläser-Sektion begleitet wurde, was den 17 Songs noch mehr Tiefe und Fülle verleiht. Statt punktgenau zentrierten Punchlines setzt Samy inzwischen auf Persönliches, auf Gesang und facettenreiche Grooves. Mit konstruktiven Denkanstössen erweist er sich als wahre Leitfigur für die Jugend. Klug und mit dem Mut zur Selbstkritik und Kontroverse werden in den Songs Themen wie Nationalität, Identität und Konsumverhalten aufgegriffen. So ist aus dem Battle-Egozentriker ein nachdenklicher und politisch engagierter Musiker geworden, der – beflügelt von seiner Vaterrolle – Verantwortung übernimmt. Teils mit dem Charme einer Funk-Session, teils mit dem Flair eines fast schon zurückgelehnten Chillouts ausgestattet, mündet das hervorragende Set in Zugaben von „Weck mich auf“ und „Let’s Go“. Top!
www.myspace.com/bigbaus
www.samy-deluxe.de


Goldfrapp: Head First
(mute)

Seit den pionierhaften elektronischen Pirouetten, die sie vor zehn Jahren auf ihrem frühmeisterlichen Debüt „Felt Mountain“ schlugen, haben sie mit jedem Album ihre musikalischen Tagträumereien ein Stück mehr in Richtung Dancefloor justiert. Nun beziehen sie sich ganz eindeutig auf die Simplizität der großen 80er Jahre Hymnen, die durch mitreissende Melodien geglänzt haben. Wo ein von Wolken überlagertes Frauengesicht drauf ist, ist Pop drin, soviel ist schon mal klar. So ist das fünfte Album des Duos mit keinem Goldfrapp Album der Vergangenheit vergleichbar – aber es ist eindeutig Goldfrapp. „Head First“ bietet eine musikalische Achterbahnfahrt, einen temporeichen Rausch aus Synthesizer-Optimismus, Euphorie, Fantasie und Romantik mit lebensbejahenden Texten und einer brillanten Produktion, an der Fabelträumerin Alison Goldfrapp und Synthie-Soundtracker Will Gregory sechs Monate gewerkelt haben. Ihre aktuelle Single „Rocket“ ist ein geradezu sprudelnder Track mit Disco-Melodie, während sich die Verletzlichkeit in digital erzeugten Sonnenaufgangsrefrains wie „Believer“ und „Alive“ manifestiert. Der kinetische Synthiepop von „I Wanna Life“ ist die perfekte Ergänzung zu Alisons sehnsüchtigem Gesang, bevor das experimentelle „Voicething“ einen björk-o-esquen Abschluss bildet. Mein Lieblingssong mit seinem melancholischen Vibe nennt sich allerdings „Hunt“. Und auch wenn ihr Debüt „Felt Mountain“ weiterhin unerreicht bleibt, amüsiert mich dieser kristallklare 80er-Jahre-Elektropop doch sehr. Das Benchmark für Goldfrapp ist seit jeher Fantasie und Imagination.
www.samy-deluxe.de
www.mute.com


Various Artists: Elaste Vol. 3 – Super Motion Disco
(compost records)

Der ganze europäische Disco-Wahnsinn begann 1977 mit Giorgio Moroder, der mit Donna Summer die Charts aufmischte und nebenbei einen neuen Sound kreierte. Die Munich Music Machine war geboren. Motown, German Electronica, Kraut Rock, Italo Disco, Euro Boogie und New Wave Funk wurden lustig durcheinander gewirbelt. Wohl kein Mensch hat seinem Leben soviel Cosmic Disco gehört wie der Chef des Münchener Labels „Erkrankung durch Musik“. Drei Jahre nachdem er die erste „Elaste“-Compilation zusammenstellte, hat Dompteur Mooner (aka Zombie Nation) für die dritte Folge erneut 14 brilliante Archivjuwelen ausgewählt, die die avantgardistische Seite von Disco verkörpern oder zwischen New Wave und Proto-Techno einzusortieren sind. „Alte Mix-Kassetten der frühen 1980er (vor allem jene aufgenommen von Beppe Loda und Daniele Baldelli) üben einen stetig anhaltenden Reiz aus – die Musik ist so modern, so speziell, ausgefallen und seiner Zeit voraus“, sagt Mooner. Der Untertitel „Super Motion Disco“ wird diesen skurril groovenden Tracks auf jeden Fall mehr als gerecht. Besonders freue ich mich über Queen Samantha, Moebius, Riccardo Cioni & D.J.F.T. Band, Pollyester, Die Gesunden, Phantom Band, The Pool sowie rares Material von den Krautrock-Legenden Conrad und Gregor Schnitzler und den Dub Mix von Totos „Africa“. Fast 30 Jahre später ist diese Zeit und Musik verständlicherweise immer noch eine Inspiration für DJs, Sammler und Musikliebhaber. Der Klang der Diskotheken der späten 1970er und frühen 1980er – androgyn, galaktisch und sehr sehr cool.
www.myspace.com/djmooner
www.compost-records.com


Jamaram: Jameleon
(glm)

Nach nicht mal einem Jahr seit der Veröffentlichung ihres letzten Live-Albums zeigen Jamaram erneut ihren unstillbaren Hunger nach kreativem Output. Nach über 130 Konzerten im letzten Jahr und Reisen in aller Herren Länder geben sich die acht Globetrotter nun mit ihrem vierten Studioalbum wieder die Ehre. Getreu dem Titel „Jameleon“ gibt’s hier auf 13 neuen Songs die versierte Vielseitigkeit der international aufgestellten Band aus München zu hören. So kombinieren die Vollblut-Musiker Sounds und Stile und zeigen ihre unnachahmliche, positive, lebensbejahende Einstellung. Satter Reggae, fetter HipHop, zackiger Dancehall, feuriges Latino-Gewitter, grooviger Afrobeat, temperamentvoller Balkan und melodische Popsongs werden hier präsentiert. Als Gäste sind Nicolas Nobili, die französische Band Dub Inc., Bani Silva und Sara Lugo, Schwester des Frontmanns Tom, mit dabei. Meist überwiegen freudige Klänge, allerdings bringen einige Texte auch ihr soziales Engagement zum Ausdruck. Mir gefallen neben dem Titelsong vor allem „Cuentito“, „Oh My Gosh“ und „Eva“. Angereichert mit Eindrücken von ihrer Reise nach Uganda liefert die Band um Sänger Tom Lugo ihr bis dato ausgereiftestes Werk ab. „Unsere Musik ist handgemacht“, sind sich alle Bandmitglieder einig. „Unsere Sprache ist universell und wird überall verstanden und positiv angenommen. Dies ist eine unglaublich schöne Erfahrung für uns als Band.“ Das hört man deutlich. So wandelbar wie die musikalischen Stilrichtungen, so unverwechselbar ist der Style von Jamaram. Und nochmal danke für den schicken Gürtel 😉
www.myspace.com/jamstylee
www.jamaram.de

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