Montag, 3. August 2009

Rolys Silberscheiben des Monats August

Various: Sick Music (hospital records)

Seit Jahren veröffentlicht das Label um Tony Coleman und Chris Goss Drum’n’Bass, an dem sich meist die Geister scheiden. Die neue Compilation „Sick Music“ hat der Labelboss lange in seinem Podcast angekündigt, der aktuelle Platz der Album-Charts bei iTunes spricht schon mal für sich und ist für ein Drum’n’Bass-Album sehr bemerkenswert. Auf 4-fach Vinyl und Doppel-CD gesellen sich neben Top-Acts wie Danny Byrd, Nu:Tone oder Syncopix die Produktionen von aufstrebenden Hospital-Künstlern wie B-Complex, Apex und Randomer. Wir starten mit Danny Breaks’ Jungle-Smasher „Volume 1“, der hier von Logistics neu interpetiert wurde. Mit „Beautiful Lies“ hat B Complex ein Female Vocal Mashup der Extraklasse angefertigt, das trotz Liquid-Etikett sicher ein Tune für die Peaktime ist. „Empty Streets“ dagegen klingt wie Cyantific auf dem Burial-Trip, früher nannte man das Ambient Jungle – wunderschön. Seba trifft mit seinem immer wieder extrem deepen Sound auch mit „Snow“ direkt ins Herz – mein heimlicher Favorit. Nach einer housigen Soul-Nummer von Influx UK liefert Luca mit „Screen In Motion“ einen reduziert verträumten Track à la D-Bridge & Instra:Mental. Apex begeistert mit seinem Remix von London Elektricity’s „Just One Second“, Muffler’s Klaviermelodie in „Hear Me Scream“ und das verspielt-melancholische „Black Diamonds“ von Sinistarr + Kiat machen mich glücklich, während Friction & K-Tee mich mit ihrem Eurodance eher zum Schmunzeln bringen. Dagegen sind The Burbs mit ihrer bluesigen Oldschool Breaks Ballade „Organic“ ein wahrer Segen. Für mich die experimentierfreudigste Compilation, mit der sich Hospital-Patienten gesund pflegen lassen können.

www.myspace.com/hospitalrecords
www.hospitalrecords.com


Bop: Clear Your Mind (med school)

Während Hospital Records meist den Durst nach flüssigem Drum’n’Bass stillt, gilt das Tochterlabel Med School als Plattform für düsteren, technologischen Sound. Neben Trisector, Minotaur, Fracture & Neptune, Infiltrata, Craggz, S.P.Y, Icicle und CLS überzeugen hier vor allem Martsman mit seinem erfrischenden Jump Funk und Randomer mit seinen absurd kickenden Stop-and-Go Grooves. Inzwischen hat nun ein 19-jähriger Hundeliebhaber namens Alexander Dmitriev aus dem russischen St. Petersburg für neuen Wirbel gesorgt. Unter dem Künstlernamen Bop widmete er sein Debut-Release „Song About My Dog“ seinem Hund Boyaka. Ich finde Hunde zwar nicht sonderlich spannend, aber da die Nummer genau mein Sound ist, habe ich mich natürlich gleich mal schlau gemacht, was nun sein Debut-Album „Clear Your Mind“ so drauf hat. Da Bop durch so großartige Künstler wie Squarepusher, Breakage, Seba, Paradox, Deep Blue, Fanu, Electrosoul System, Future Engineers, Equinox, Plaid, Clark, Cinematic Orchestra und Björk beeinflusst wurde, kann da nichts schief gehen. Mit der Soundästhetik brillanter Warp-Tracks gefallen mir vor allem „Tears Of A Lonely Metaphysician“, „Enjoy The Moment“, „Lost In This World“ und „I Found You“, wobei diese Clicks & Cuts Geschichten und stark reduzierten Drum’n’Bass-Entwürfe auch mal wieder ganz witzig sind. Der Titeltrack klingt total nach meiner Heidelberger Source Records Posse, und so schwebt, zwitschert und groovt Bop’s Werk zwischen Ambient / IDM und Glitch traumhaft hin und her. Für Herbstmenschen! 🙂

www.myspace.com/leftbop
www.myspace.com/medschool
www.iambop.com
www.medschoolmusic.com


Clark: Totems Flare (warp records)

Es ist kein Geheimnis, dass man nichts falsch macht, wenn man den Warp-Katalog rauf und runter hört. Nach den arabesk verzierten Melodiebögen von „Body Riddle“ (2006) und dem beispiellos zwingendem Dancefloor-Bombardement „Turning Dragon“ (2008) schliesst der Wahlberliner Chris Clark seine Trilogie mit dem vorliegenden „Totems Flare“ ab. Mehr denn je erinnert das Album an all die frühen Elektroniker, die das kleine Label aus Sheffield groß gemacht haben. Doch mit den 11 neuen Tracks erreicht Clarks Liebe für barocke Melodien und intelligenten Drive ein neues Level. Hyperaktiv durchbricht er Schallmauern mit seinen unglaublich pumpenden, überkomprimierten Bassdrums, irren Wendungen, Melodien und seiner Leidenschaft für den stilistischen Grenzgang. Bei seinem Spiel mit den Prinzipien der Transformation wird stets eines erzeugt und freigesetzt: Energie! Diese destilliert Clark aus Ambient, Post-Rock, Breakbeat, Rave, Pop, Metal, Drum’n’Glitch und Drill’n’Bass. Schon nach dem Intro „Outside Plum“ und der Single „Growls Garden“ mit ihren düsteren Harmonien und wilden Breaks entwickelt sich eine enorme Suchtgefahr. Mit „Rainbow Voodoo“ zelebriert Clark einen rockigen Electro-Stomper im Stile von Alec Empire bzw. Atari Teenage Riot, und mit „Look Into The Heart Now“ verbindet er spacige Acid-Disco-Grooves mit urbanem Touch. Die perfektionierte Hymnenhaftigkeit dominieren Songs wie „Totem Crackerjack“, „Future Daniel“ und „Absence“. Mit einer packenden Dynamik und massenhaft technisch-schillernden Details demonstriert dieses atemberaubende Werk einen beeindruckenden Sinn für Dramaturgie. Ein virtuoses Leuchtfeuer mit elysischer Melancholie.

www.myspace.com/throttleclark
www.throttleclark.com
www.warprecords.com


Alexis Le-Tan & Jess present Space Oddities Vol.2 (permanent vacation)

Benji Fröhlich & Tom Bioly mögen Disco, House, Bossa Nova und schräge Songwritersachen. Der Katalog ihres Labels „Permanent Vacation“ vergnügt sich mit Cosmic und Balearic, allerdings wurden hier auch schon Stücke von den Junior Boys oder Stephen Malkmus veröffentlicht. Nachdem ich schon an dem ersten Teil der Compilation „Space Oddities“ und den Re-Edits in Form von „Rare European Library Grooves from 1975 – 1984“ meine Freude hatte, veröffentlichen die aus dem Tigersushi-Umfeld stammenden DJs Alexis Le-Tan und Jess nun weitere Library-Musik aus den Siebzigern und Achtzigern. Darunter versteht man Auftragsarbeiten, die für Filme und TV-Produktionen komponiert wurden und weitestgehend unveröffentlicht blieben. Das sind dann gerne auch mal Soundtracks für Filme, die nie gedreht wurden. Es beginnt mit einer eingängigen Progressive Nummer mit Hammond-Motiv, darauf folgt ein hypnotisches Lullaby mit hervorragenden Gitarren-, Keyboard- und Flöten-Soli, bevor sich eine nachdenkliche Psych-Jazz-Partitur mit verzerrter Orgel und beschaulichem Piano à la Morricone auf verführerische Weise ins Ohr schleicht. Mit E. Warners groovigem „Shut Up“ kommen dann Breakbeats und eine wilde Gitarre im Stil von Funkadelic. Ansonsten werden spacige Synthesizer, tribalistische Percussions, psychedelische Geräuschteppiche und laszive Rhythmen nebeneinander ausgebreitet. Für Fans von „Suspiria“ und „Blade Runner“ ein Muss. Ich bin mit „Captain Future“ aufgewachsen und träume hier schon wieder von Joan’s heissen Stiefeln. Cutting The Funk …

www.myspace.com/myspaceoddities
www.myspace.com/permanentvacationrecords
www.perm-vac.com


autoKratz: Animal (kitsune)

Während Ed Banger augenblicklich im Elektroclash stagniert, orientiert sich Kitsuné immer weiter auch in Richtung des stylischen Indierock. Seit sie mit ihren ersten Songs im letzten Jahr die Szene im Sturm eroberten, haben autoKratz mit Nachdruck an ihrem vielseitigen, aber doch gut wiedererkennbaren Sound gearbeitet, der auf ansteckenden Bassläufen, süchtig machendem Gesang und zwingenden Beats basiert. Nach der Werkschau-EP „Down & Out in London & Paris“ im Herbst 2008 präsentieren David Cox und Russell Crank jetzt ihr mit Spannung erwartetes Debütalbum. Und wessen Herz für Joy Division, The Fall, Underworld und aktuelle Audiolith-Releases schlägt, wird mit dem „Animal“ hier tierischen Spass haben. Nach der überwältigenden Single „Always More“ gibt’s den Sommer-Hit „Stay The Same“, während „The Idiots Are Winning“ mit Killerbeats und Vocoder besticht. Auf dem Album untermauert besonders die Ballade „Speak In Silence“ die Songstruktur, die sich hier in ihrer Melodieaffinität überall am Elektropop der 80er Jahre bedient. Weitere gute Tracks sind „Can’t Get Enough“ und „Past Your Heart“. Mit ihrem sympathisch-nostalgischen Hang zur Synthetik gelingt dem Duo ein feines Update auf zeitgenössischen Beats. David Cox und Russell Crank liefern elektronische Delikatessen, die vor Abwechslungsreichtum und Tiefe nur so strotzen. Bei aller Liebe zu Justice und Digitalism – vor diesem Duo müssen sich selbst die Zugpferde des Labels in Acht nehmen.

www.myspace.com/autokratz
www.autokratz.com
www.kitsune.fr

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