Freitag, 29. Mai 2009

Die andere Seite Mexikos

… oder wie man kiffen kann, ohne dabei erschossen zu werden

Drogenkartelle und mexikanische Armee

Mit ein wenig Übertreibung könnte man sagen, Mexiko sei das Land grenzenloser Möglichkeiten. Zumindest in Bezug auf Drogen stimmt das ganz sicher. Man müsste blind und taub sein, um ihnen hier nicht zu begegnen. Und was Hanf betrifft, müsste man dazu noch den Geruchsinn verloren haben. Bevor ich aber meine Geschichte anfange, finde ich es wichtig, dass Ihr Euch ein Gesamtbild von Drogen- und Sicherheitssituation in Mexiko macht. Beide Seiten dieser Aspekte sind sehr eng miteinander verwoben.

In den Medien wurde in den letzten Monaten über die Verschärfung der Sicherheitssituation in Mexiko berichtet. Dabei geht es nicht mehr vorrangig um Straßenkriminalität wie Überfälle, Entführungen oder massenhafte Vergewaltigungen in Diskos, die sich auf Großstädten konzentriert, sondern es geht vornehmlich um organisiertes Verbrechen der Drogenmafia, das vor allem im Norden Mexikos nahe der Grenze zu den Vereinigten Staaten agiert. In den Grenzstaaten Sonora, Chihuahua und Baja California wurde die Macht nämlich de facto von den Drogenkartellen übernommen. Inländische Berichterstatter sprechen von einem „Staat im Staat“. Die Situation ist derart eskaliert, dass Militär von der Bundesregierung nach Ciudad Juárez und Tijuana geschickt wurde. Die örtliche Polizei steht nämlich vollständig unter Kontrolle der Drogenkartelle. Ihr Einfluss reicht über sämtliche Lokalpolitiker bis hin zu allen Sicherheitsorganen, oftmals haben die lokalen Beamten keine andere Wahl: Entweder arbeiten sie mit Drogenkartellen zusammen, oder ihre ganze Familie wird ermordet. Das hat dazu geführt, dass niemand die Amtsnachfolge des Gouverneurs von Chihuahua antreten wollte, nachdem der alte Amtsinhaber ermordet wurde, da ein Amtsantritt einem Selbstmord gleichen würde. Deshalb wurde das Amt von einem General der mexikanischen Armee übernommen. Die Drogenmafia wirkt hier also als eine Art Personalagentur. Vor kurzem hat sich beispielsweise ein Ortspolizeichef bei Drogenkartellen unbeliebt gemacht, woraufhin diese wissen ließen, dass für jeden Tag, in dem er im Amt bleibe, zwei Polizisten umgebracht würden. Der hielt es noch zwei Tage aus, bevor er zurücktrat. Statistiken weisen eine Zunahme von über 100 Prozent bei Morden innerhalb der letzten drei Jahre auf, allein während der letzten drei Monate sind hier 1493 Menschen ermordet worden. Ein Vergleich: Im ganzen Jahr 2006 wurden hier 2120 Menschen umgebracht. In 2007 haben die Drogenmafiosi und Armee sich noch zurückgehalten, da waren es „nur“ 2275. Seit 2008 tobt der „War on Drugs“ in bisher ungeahntem Ausmaß, Ende 2008 war die Zahl der Ermordeten auf 5207 geklettert. Im Jahr 2009 werden mehr als 7000 Tote erwartet. Dabei geht es meistens nicht um gewöhnliche Morde, sondern um so genannte „Nachrichtmorde“. Das bedeutet, dass hier und da jemandes Kopf gefunden wird, zu dem ein Zettel angesteckt wird mit einer Erklärung, warum diese Person getötet worden sei und was man tun solle, damit so etwas nicht wieder passiert, meistens fordern die Mörder personelle Veränderungen bei Polizei oder bei der Besetzung öffentlicher Ämter. Die Sicherheitsorgane wenden allerdings die selben Methoden an. Unlängst wurde eine Polizeistation überfallen und ein für Ermordung von mehreren Polizisten in Haft genommener Drogenhändler entführt. Zwei Tage später wurde sein Kopf mit der Nachricht „Dies wird jedem zustoßen, der einen Polizisten oder einen Soldat umbringt“ gefunden. Damit wird klar, dass sich nicht nur die Drogenkartelle, sondern auch die korrupten der Polizei die Praktiken zu eigen machten. In den letzten Wochen sind mehrere Tausend mexikanische Soldaten nach Nordmexiko geschickt worden. Manche meinen, Militär könne die Situation ändern. Das Problem ist aber, dass laut Angaben der US-Nachrichtendienste die Anzahl der Drogenmafiosi und die Anzahl der Soldaten fast identisch sind. Die mexikanische Armee zählt heute etwa 130 000 Soldaten. Die zwei stärksten Kartelle allerdings, „Gulf Cartel“ und „Sinaloa Cartel“, verfügen zusammen über etwa 100 000 kampffähige Männer. Mexiko hat die Vereinigten Staaten mehrfach um Hilfe gebeten. Die haben einen Plan für den Kampf gegen die Drogenmafia ausgearbeitet, der den Strategien für den Krieg in Afghanistan und Irak bedenklich nahe kommt. Andererseits haben die Vereinigten Staaten Sinn für Humor bewiesen. Das Magazin Forbes hat in seiner Liste der reichsten Personen der Welt an 701. Stelle den meistgesuchten Mann Mexikos angegeben: Es ist Joaquín Gurmán alias „El Chapo“, Chef des Drogenkartells Sinaloa. Als sein Betätigungsgebiet wird Verkehrswesen und Lieferungen von Kokain nach USA angegeben. Er wird auch als Experte für den Bau von Grenztunneln betrachtet. Die meisten Aktivitäten der Drogenkartelle stellen nämlich Lieferungen von Kokain in die Vereinigten Staaten dar, und zwar mit allen Mitteln: durch Tunnel unter der Grenze, mit Schiff oder Flugzeug. Und denselben Weg nehmen umgekehrt Lieferungen von Waffen aus den Vereinigten Staaten nach Mexiko.
Dieser Kampf wird wohl noch sehr spannend, weil sich dabei zwei relativ ausgeglichene Mannschaften gegenüber stehen. Und als Krönung kann ich hinzufügen, dass das Rote Kreuz vielerorts in Mexiko einen Kodex eingeführt hat, der eigentlich in Kriegszonen angewendet wird. Zum Beispiel einem Verletzten auf der Straße wird erst Erste Hilfe geleistet, nachdem die Stelle von der Polizei gesichert wird. Ich hoffe, dass ich mir einen Knöchel nicht verstauche, wenn ich einkaufen gehe …

Kiffkultur

Man könnte den Eindruck gewinnen, dass ob der drängenden Probleme die Hanffrage hier äußerst unwichtig ist. Hanf ist in Mexiko schon seit 1925 verboten. Jetzt wurden zwar Diskussionen über Legalisierung angeleiert, jedoch ist sie laut A. Ramírez Acevedo vom Ministerium für öffentliche Sicherheit noch nicht abgeschlossen. Mexiko plant, angesichts der Staatskrise und des verfehlten Drogenkriegs, kleine Mengen von Drogen zum Eigenkonsum zu entkriminalisieren. Demnach soll künftig der Besitz von zwei Gramm Heroin, fünf Gramm Marihuana und fünf Milligramm Kokain keine Strafen mehr nach sich ziehen. Das Gesetz passierte bereits eine der beiden Gesetz gebenden Kammern erfolgreich. Noch aber kann man für den Besitz von Hanf von der Polizei verhaftet und mit einem Bußgeld belegt werden. Knast erwartet einen aber nicht. Offiziell aber wird öffentliches Rauchen oder Verkauf von Hanf als Straftat angesehen. Nichtsdestotrotz hat Kiffen hier in weiten Kreisen der Bevölkerung eine lange Tradition. Der Bundesstaat Michoacan ist Zentrum der mexikanischen Hanfproduktion. Hier sitzt man also quasi an der Quelle und deshalb ist es im nahe gelegenen Mexico City kein großes Problem, sich Hanf zu besorgen. In Stadtvierteln wie Guerrero und Tepito kann man sich de facto alles besorgen. Von Hanf über andere Drogen, Waffen und Sprengstoff bis hin zu gestohlenem Gut. Ein Besuch dieser Orte stellt jedoch ein erhebliches Risiko dar, besonders wenn man schneeweiß und beinahe zwei Meter groß ist. Dann besteht Gefahr, dass man hier statt des beliebten Genussmittels ein Messer zwischen die Schulterblätter bekommt und zudem die gesamten Papiere, Geld und Garderobe zurücklässt. Es würde mich nicht wundern, wenn Versicherungsgesellschaften den Besuch dieser Gegenden als höchtstriskante Sportart ansehen würden. Bei meinem ersten Besuch in Mexiko habe ich einmal versehentlich nach Einbruch der Dunkelheit das Stadtviertel Guerrero besucht. So einen Stock im Arsch hatte ich nicht einmal bei der Fahrt auf der Kamikaze-Rutsche im lokalen Aquapark, angetrieben von den ermutigenden Worten meines Loneley-Planet Reiseführers, der einen Besuch einer örtlichen Pulquería empfiehlt (Pulque ist ein alkoholisches Getränk aus Agavensaft), bin ich mit meiner Freundin auf der U-Bahn-Station Guerrero ausgestiegen. Die versprochene Pulquería war nur ein paar Häuserblöcke von der Station entfernt, wir dachten also, es könne nichts passieren. Doch schon nach wenigen Schritten waren wir von allen Illusionen entledigt. Mit den unfreundlichen Blicken während unseres Spaziergangs zwischen halbzerfallenen Häusern, vor denen Leute saßen, die in einer anderen Welt zu verweilen schienen, hatten wir nicht gerechnet. Nach einer Weile haben wir mit Schrecken festgestellt, dass ein Mann in zerlumpter Windjacke uns beschattete. „Hier wird es wohl noch heiß,“ dachte ich mir, wachsam beobachtend, wie die Gestalt sich uns nähert. Viel Zeit zum Überlegen blieb nicht. Mit einem sportlichem „eins, zwei, drei, los!“ liefen wir so schnell wie möglich zu einem Haus, vor dem wir eine Familie erblickt haben. Die waren ebenso erschrocken und vor allem erstaunt von unserer idiotischen Idee, diese Gegend zu besuchen. Sie rieten uns, möglichst schnell zu verschwinden, wenn wir nicht gerade zum Fall für‘s Konsulat werden möchten. Knapp schilderten sie uns den kürzesten Weg aus dieser Gegend und wünschten uns schnelle Beine und einen langen Atem. Die Flucht, die mit einem Slalomlauf auf einer sechsspuriger Straße endete, gelang uns und wir atmeten so tief durch wie wohl noch nie zuvor. Nun war es aber noch nicht das Ende. Wir erreichten den Garibaldi-Platz, wo sich die erwähnte Pulquería befinden sollte. Der Platz kam mir irgendwie bekannt vor. Nach wenigen Augenblicken hatte ich mich daran erinnert, dass ich eine ähnliche Szene im Film „Wir Kinder vom Bahnhof Zoo“ gesehen hatte. Es sah gespensterhaft aus. Überall waren verkommene Menschen mit weit aufgerissenen Augen, die uns auf Schritt und Tritt beobachteten. Ich sah eine menschliche Gestalt auf uns zukommen, die mit ekstatischem Ausdruck krampfartig mit dem Kopf auf und nieder nickte. Nach Souvenirverkäufer sah er nicht aus, nicht nur deshalb habe ich ob all seiner Angebote den Kopf nach links und rechts geschüttelt. Ganz so schlimm wie in den verwinkelten Gassen war es hier nicht, da auf dem Platz viele Menschen waren, die uns ein – vielleicht falsches – Gefühl relativer Sicherheit gaben. Das haben wir aber dann beim Blick in die offene Tür der Pulquería verloren. Eine Szene wie aus dem Traumreich. Begleitet von dunkler Musik aus der Jukebox lagen drei Mexikaner fast ohnmächtig und zusammengekrümmt auf dem Boden. Die anderen, die herumsaßen, sahen fast genauso aus, nur mit dem Unterschied, dass sie es gerade noch schafften, nicht auf den Boden zu fallen. Nach reiflicher Überlegung haben wir uns entschieden, nicht hinein zu gehen und uns lieber im Biergarten niederzulassen. Schließlich haben wir Tequila bestellt und darüber nachgesonnen, ob dieser Ausflug wirklich eine gute Idee war. Dabei wurden wir abrupt von zwei Männern unterbrochen, die aus dem Lokal getaumelt kamen und uns fragten, ob wir Geld wechseln könnten. Ich hatte das ungute Gefühl, dass sie damit den Wechsel all unseres Geldes von unsere in ihre Hände meinten. In demselben Moment kam uns glücklicherweise ein Straßengitarrist zu Hilfe. Mit einigen nonverbalen Gesten hat er den Herren angedeutet, dass aus dem Geldwechsel nichts wird und dass sie gefälligst aus dem Staub machen sollten. Danach hat er sich zu uns gesetzt und uns seine Geschichte erzählt. Seine umfassende Lebenslitanei könnte zwar auch als psychische Folter klassifiziert werden, die jedoch angesichts der Geamtsituation leicht zu ertragen war. Nachdem wir ein Liter Pulque ausgetrunken hatten und meiner Freundin davon schlecht war, entschlossen wir uns, die Kneipe zu verlassen und machten uns auf den Weg ins Zentrum, wo wo unser Zimmer war. Der Rest des Weges ist zum Glück ohne weiter Zwischenfälle verlaufen. Es hat uns niemand mehr überfallen und die Freundin wider aller Erwartungen nicht gekotzt. Zu Hause habe ich dann ernsthaft überlegt, ob ich anfangen sollte, an Gott zu glauben. Nach kurzer Reflexion kam ich aber zum Schluss, dass es reicht, dieses Stadtviertel nicht mehr zu frequentieren.
Mit Hanf bin ich dann erst nach mehreren Monaten meines Mexiko-Aufenthalts in Berührung gekommen, und zwar auf einer Veranstaltung, die dafür wie geschaffen war: Die Weihnachtsparty eines örtlichen Wohltätigkeitsvereins. Als Beziehung mit Hanf wird allerdings meine Begegnung mit dem Bruder meiner mexikanischen Freundin nicht gezählt. Es ging um eine traditionelle mexikanische Veranstaltung, auf der sich alle auf die bevorstehende Weihnachtszeit einstimmen wollen. Eigentlich ging es eher darum, sich hemmungslos zu besaufen und den Göttern sonst eher seltenes Haschisch Gramm für Gramm zu opfern. Ich kannte zwar keinen einzigen Menschen, denn die Freundin, die mich einlud, kam nicht. Dank meiner gutmütigen Ausstrahlung fand ich trotzdem schnell Freunde, besonders unter denen, die dort ebenso wie ich auch keinen kannten. Zu vorgerückter Stunde wurde die Stimmung sehr chillig, die meisten meiner Gespräche drehten sich um Hanf und Legalisierung. Jeder hier bestätigte mir, dass Hanf hier zwar illegal sei, aber toleriert werde. Wenn man mit einem Joint erwischt wird, ist es für die Polizisten vor allem ein Vorwand, Schmiergeld zu erpressen. Als die Stimmung auf der Party ihren Höhepunkt erreicht hatte und sich die meisten sich zu den Klängen elektronischer Musik abspacten, war der religiöse Teil der Verantaltung dran: Alle strömten wüst in den Garten hinaus, wo sie Kerzen anzündeten und Zettel mit Weihnachtsliedertexten herausholten. Bei ihrem Gesang kam mir der Gedanke, dass es wohlbedacht war, Jesus am Kreuz festzunageln, sonst hätte er ihnen eine aufs Maul gegeben. Dem Geang folgte dann der Höhepunkt der Zeromonie: Zerschlagen von der Pińata. Das ist ein großer Stern, in dem Leckerbissen versteckt sind. Dieser wird auf ein Seil festgebunden, das zwei Menschen in der Luft halten, und eine ausgesuchte Person bemüht sich, mit verbundenen Augen den Stern mit einem Knüppel zu zerschlagen. Freudenschreie bei Treffern vermischten sich mit Schmerzenschreien bei Verfehlen. Schließlich wurde der Stern zerschlagen und alle balten sich in einem Haufen, um möglichst viele Süßigkeiten zu erhaschen. Ich hielt mich anfänglich ein wenig abseits, als der Andrang nachgelassen hat, gab ich mit drei zertretenen Lutschern zufrieden.

Wie die wilde Reise durch Mexiko weitergeht, könnt Ihr in der nächsten Ausgabe vom Hanf Journal lesen.

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