Mittwoch, 6. Mai 2009

Rolys Silberscheiben des Monats Mai

Depeche Mode: Sounds Of The Universe
(mute records)

Mit weltweit über 100 Millionen verkauften Tonträgern gehören die britischen Synthie-Pop-Pioniere zu jener Elite von Supergruppen aus den frühen Achtzigern, die ihre Ideale, kreative Vision und Kernbesetzung unbeschadet in die Gegenwart hinübergerettet haben. Sie haben interne Spannungen und Feindseligkeiten seitens der Kritiker hinter sich gelassen, und während ihr dreißigstes Bandjubliäum unaufhaltsam näher rückt, freue ich mich erstmal über ihr 12. Studioalbum. Wie bereits auf „Playing The Angel“ stammen die neuen Songs sowohl von Martin als auch von Dave. Und verbal adelt der geniale Songwriter die Beiträge seines früheren Antagonisten regelrecht: „In einem Blindtest hätte man Schwierigkeiten herauszufinden, wer welchen Song geschrieben hat.“ Die Songtexte handeln von den typischen Obsessionen der Bandmitglieder – Lust, Spiritualität, romantisches Sehnen, sündige Versuchung und Sadomasochismus – und weisen dabei mehr unverhohlenen schwarzen Humor auf als ihre früheren Werke. Die Sci-Fi-Gospel-Blues-Hymne „In Chains“ eröffnet das Album mit viel Melancholie, „Hole To Feed“, ein schmutziges Geständnis von Dave Gahan, baut mit seinem dunkel-rockenden Groove konsequent Spannung auf. In der hypnotisch groovenden Single „Wrong“ schmettert Dave Martins düster-komische Reflexionen über ein Leben voller Fehler, Missetaten und falscher Entscheidungen. Ein kraftvoller Auftakt, den die analoge Ballade „Fragile Tension“ gefühlvoll auffängt. Das verführerisch wirbelnde „Little Soul“ und „Peace“ mit seinem sublimen Techno-Gospel-Arrangement und sanft herabfallenden Chorrefrain sind mit ihrem spirituellen Element die Eckpfeiler des Albums. Nach der schmutzigsten und lautesten Rocknummer „Come Back“ und Martins samtigem Scott Walker-Croon in der sinnlichen Ballade „Jezebel” setzen Depeche Mode mit dem fantastischen Pop-Song „Miles Away/The Truth Is“ und dem Electro-Glamrock-Sleaze-Stampfer „Corrupt“ zur Schlussoffensive an. „Sounds Of The Universe“ ist eine unglaubliche Platte, um mal ins eigene Horn zu blasen“, lacht Dave. Eklektisch, dynamisch und wie nie zuvor auf Albumdramaturgie fokussiert, vibriert sie auf jeden Fall zum Violator für das 21. Jahrhundert.
www.myspace.com/depechemode
www.depechemode.com
www.mute.com


Hanne Hukkelberg: Blood From A Stone
(nettwerk)

Das Schnurren ihres Katers Obelix, Fahrradspeichen, Teesiebe, knarrende Türen und Ofenrohre wurden herbert-like auf ihre melodischen und perkussiven Qualitäten hin untersucht. So funktionieren ihre ersten beiden Alben „Little Things“ (2004) und „Rykestrasse 68“ (2006) wie akustische Tagebücher von Exkursionen durch ihre Heimatstadt Oslo und durch Berlin, wo sie ein halbes Jahr als Stipendiatin lebte. Ihr drittes Album „Blood From A Stone“ bringt nun neue Facetten zum Vorschein und überrascht mit klaren, zugänglichen Arrangements ihrer Stücke, die auf der norwegischen Insel Senja (300 Kilometer vom nördlichen Polarkreis) komponiert wurden. Frau Hukkelberg lotet sensibel und detailverliebt neue Klangwelten aus und beschreibt diese als eine Mischung aus New Wave, No Wave und Indierock. „Midnight Sun Dream“ thematisiert die Überwindung von Geschlechterrollen, der Titelsong über das Porträt eines Opportunisten dürfte wohl mein Lieblingstrack sein, und die tribal-drum-artigen Ausbrüche auf „Bandy Riddles“ und „Salt Of The Earth“ lassen an Kate Bushs „Hounds Of Love“ denken. Das dynamisch perfekte „No One But Yourself“ bestreitet die Existenz einer höhergestellten Macht, während „Crack“ die Einsicht ins Unabwendbare behandelt. Hannes berührende Stimme zieht souverän über die schön schrägen Songs hinweg und steht dank ihrer mal behutsamen, mal kecken Phrasierung einer Madeleine Peyroux oder der CocoRosie-Hälfte Sierra Casady stimmlich in nichts nach. Hanne Hukkelberg ist keineswegs auf ihr charmantes Torch-Song-Timbre festgelegt, sondern bringt hier ihre ganze Expressivität zur Geltung. Meine Hochachtung!
www.myspace.com/hannehukkelberg
www.hannehukkelberg.com
www.nettwerk.com


Luke Vibert: Rhythm
(sound of speed)

Der Mann mit den vielen Persönlichkeiten ist einer von den Produzenten des Clubsounds, die sich am liebsten in den eigenen Wänden ihre Welt bauen. Erste Veröffentlichungen erschienen auf einem englischen Techno Label (Rising High). Renommierte Labels wie Rephlex oder Mo Wax releasten seine Stücke und trugen maßgeblich zu seinem Bekanntheitsgrad und Erfolg bei. Während er als Luke Vibert eher abstrakten Geschichten und seinem Faible für Acid freien Lauf lässt, dürfte insbesondere das Alias Wagon Christ sowohl Freunden experimentell-instrumentalen Hip Hops mit Funk-Einflüssen als auch Anhängern von Ninja Tune mehr als ein Begriff sein. Daneben dient Plug für Viberts Anschauungen von Drum&Bass, und auf Rephlex veröffentlicht er als Amen Andrews ravebetonten Jungle bzw. Disco unter dem Namen Kerrier District. Nach „Lover’s Acid“, „Moog Acid“ (mit Jean-Jaques Perrier) und „Chicago, Detroit, Redruth“ zeigt Luke mit seinem neuen Album „Rhythm“ auf dem japanischen Label Sound Of Speed seine Hip-Hop Wurzeln. Aufmerksame Vibert Fans werden ein paar Tracks wiedererkennen, welche er schon in Radiosets gespielt hat. Die elf ausnahmslos grandiosen Tunes kommen leicht schwirrend, mal mit Vocoder oder choralem Gesang, aber immer mit viel Soul und Funk. Meine originären Lieblinge sind vor allem „Registrarse“, „Sparky Is A Retard“, „A Fine Line“, „My Style“, „Keep Calm And Carry On“, „Eleventy One” und „Concertina Turner”. Bei diesen verschleppten Oldschool Beats und seinen superschicken Samples wird über die Ohren das Gehirn so schön gekitzelt, dass die Knie schlackern und der Körper Wellen schlägt. Ein sehr relaxter Soundtrack mit einer guten Dosis „60er Jahre“ für sommerliche Abendstunden!
www.soundofspeed.net
www.grooveattack.com


Prefuse 73: Everything She Touched Turned Ampexian
(warp records)

Guillermo Scott Herren ist zweifellos einer der profiliertesten Producer dieses Planeten, der bereits mit Battles & School Of Seven Bells arbeitete, sowie TV On The Radio, Pelican & Cornelius remixte. Unter seinem Künstlernamen Prefuse 73 erweitert er stets den subkulturellen Hip Hop-Entwurf und zeigt, dass sich Elektronik und HipHop nicht per se ausschließen müssen. Sein Markenzeichen ist die schonungslose Cut-up-Akrobatik. Es geht direkt rein in die Tracks, die genauso schnell anfangen wie sie aufhören. Ehe sich in einem Song ein Schema abzeichnet, zerschellt der Track am nächsten Taktstrich, um sich gleich darauf aus den Scherben und eingestreuten Mosaiksteinen zu etwas Neuem zusammenzusetzen. Dabei verweigert Herren bewusst die direkte, digitale Aufnahme und nahm zuerst auf analogem Ampex-Band auf, was den Tracks den Sound eines in Urzeiten verschollenen Tapes gibt, das jetzt erst das Licht der Welt erblickt. Zusätzlich zum aussergewöhnlichen Aufnahmeprozess hebt sich sein fünftes Album auch kompositorisch ab. Inspirationsquelle für die Prefuse-Projekte ist der Prä-Fusion-Jazz, anzusiedeln in den Jahren 1968 bis 1973. Beinflusst auch vom Prog-Rock hört man hier einen sehr psychedelischen Klangteppich in einer sehr eigenwilligen Collage aus zerhackten Vocals, Gitarren- und Synthesizerfetzen und jeder Menge undefinierbarer Samples und Loops. So stellt man sich den Soundtrack zu den Astronauten- & Kosmonautenflügen der 60er vor. Nebem klassischen Chop-up-Style und zahlreichen rhythmischen Verwirrspielen stechen vor allem „Simple Loop Choir“ und das Outro „Formal Dedications“ soundtechnisch deutlich heraus. Konzeptionelle Rebellion!
www.myspace.com/prefusion1973
www.prefuse73.com
www.warprecords.com

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