Am 14. Februar 1925 beschlossen die Teilnehmer der Genfer Opiumkonferenz ein globales Cannabisverbot. Dass an dieser Konferenz, an der es, wie ihr Name sagt, eigentlich um Opiate ging, Cannabis überhaupt zur Sprache kam, bewirkte der ägyptische Delegationsleiter El Guindy. Er stellte auf der Basis dünner wissenschaftlicher Daten den Antrag, Cannabis auf die Liste der kontrollierten Substanzen zu setzen. Nach einer kurzen Diskussion und ohne dass Experten angehört worden wären, wurde der Antrag angenommen.
Das war vor allem eine Geste des Wohlwollens gegenüber Ägypten, die meisten Länder interessierte Cannabis damals nämlich überhaupt nicht. Später wurde die Massnahme als «Lösung ohne Problem» beschrieben. Was wäre geschehen, wenn die Abstimmung anders gelaufen wäre? Wenn sich zum Beispiel die pharmazeutische Industrie bei ihren Delegationen gegen das Verbot eingesetzt hätte, wie sie es bei der ersten Internationalen Opiumkonferenz 1911 in Den Haag getan hatte?
In den USA herrschte seit 1920 die Alkoholprohibition: Alkohol als Genussmittel war im ganzen Land verboten. Schon bald wurde jedoch klar, dass die Massnahme grosse Probleme mit sich brachte: Der illegale Handel und die damit verbundene Kriminalität blühten, die Kosten, das Verbot durchzusetzen, waren enorm, zudem fehlten dem Staat die Einnahmen aus der Alkoholsteuer.
Hinter dem Alkoholverbot stand eine grosse Mehrheit der Frauen, die 1920 das Stimm- und Wahlrecht erhalten hatten. Die Gründe waren naheliegend: Frauen und Kinder waren die Leidtragenden des übermässigen Alkoholkonsums der Männer. Wenn Cannabis an der Opiumkonferenz nicht verboten worden wäre, hätten die Frauen ihren Männern anstelle des verbotenen Alkohols das träge machende und friedlich stimmende Cannabis schmackhaft machen können. Mit überraschenden Folgen: Von den USA aus¬gehend, wird Cannabis anstelle von Alkohol ein weltweit akzeptiertes Genussmittel. Statt der Rebberge an den Hängen des Bieler-, Neuenburger- und Genfersees sind dort bald lauter Hanffelder zu sehen. Die Eidgenössische Hanfverwaltung erhebt die Hanfsteuer, die wesentlich die AHV unterstützt.
Auf Empfängen und Ausflügen nippen unsere Bundesräte nicht an Weissweingläsern, sondern saugen an mit bestem Haschisch gefüllten Wasserpfeifen. Der Joint nach dem Essen ersetzt die Vieille Prune – nicht nur bei offiziellen Diners von Politikern und Geschäftsleuten, auch in Restaurants sind dafür spezielle Kifferräume vorgesehen. Coq au vin und Egli im Bierteig werden nicht mehr serviert, dafür sind Hanfguetsli beliebt. An Dorffesten kiffen sich junge Männer gegenseitig «unter den Tisch». Ganz Mutige stimmen leise «Trink, trink, Brüderlein trink» an. Das Lied gilt als illegale Aufforderung zum Alkoholkonsum.
Der Grossteil der Bevölkerung gehört zu den Genusskiffern, die sich hin und wieder einen Joint gönnen, aber es gibt auch Leute, die den Haschischkonsum nicht im Griff haben. Die Polizei greift jedes Wochenende junge Kampfkiffer auf. Der Umgang mit ihnen ist allerdings viel ein¬facher als mit unberechenbaren Betrunkenen. Im schlimmsten Fall lachen sie lange und laut. Frühere Ausnüchterungszellen werden in der Folge schallisoliert. Die Polizei verweist Problemfälle an Fachleute oder Selbsthilfegruppen wie die AK, die Anonymen Kiffer.
Weil der Konsum von Cannabis bei vielen Leuten Heisshunger nach Süssem auslöst, nimmt der Verkauf von Süsswaren enorm zu. Sporadische Vorstösse, den Cannabiskonsum zu verbieten, werden von der «Vereinigung der Schokoladenhersteller gegen die Bevormundung der Bürger» bekämpft und im Keim erstickt.
Die Alkoholiker auf der Gasse kommen natürlich trotz Verbot an ihren Stoff. Jedes Jahr sterben einige Dutzend an verunreinigter, gepanschter Ware – deutlich weniger als die heute rund 5000 Alkoholtoten pro Jahr in der Schweiz. Auf den ersten Cannabistoten wartet man immer noch.
Über die Vorkehrungen gegen das Alkoholtrinken sind sich die Politiker uneinig. Während die Rechte selbst gegen den Genuss von Light-Bier mit aller Härte vorgehen will, fordert die Linke ein Ende der Repression und die Einrichtung von sogenannten Säuferstübli.
Roger Liggenstorfer ist Inhaber des Nachtschattenverlags in Solothurn, der Bücher über Drogenfragen veröffentlicht.