Montag, 4. August 2008

Lässt Cannabiskonsum das Gehirn schrumpfen?

Die Nachrichtenagenturen verbreiteten Anfang Juni Forschungsergebnisse einer australischen Arbeitsgruppe, nach denen starker langzeitiger Cannabiskonsum zwei Hirnregionen schrumpfen lassen könne.

So meldete die dpa (Deutsche Presseagentur): „Tägliches Marihuana-Rauchen lässt das Gehirn schrumpfen. Zu diesem Ergebnis kamen Forscher an der Universität von Melbourne in Australien in einer Langzeitstudie. Sie hatten 15 Männer, die mindestens fünf Joints am Tag rauchten, über 20 Jahre beobachtet und ihr Gehirn regelmäßig gemessen. Der für das Gedächtnis wichtige Hippocampus war bei ihnen nach 20 Jahren um zwölf Prozent kleiner als bei einer Kontrollgruppe, die kein Marihuana geraucht hatte. Der Mandelkern, der Emotionen verarbeitet, war in der Rauchergruppe sieben Prozent kleiner (…).“

Viele Zeitungen (Die Welt, Frankfurter Rundschau, Kölner Stadtanzeiger, Berliner Zeitung, etc.) haben die Meldung in dieser Form aufgegriffen. Tatsächlich hatten die Wissenschaftler Aufnahmen des Gehirns von 15 Cannabiskonsumenten, die mindestens 10 Jahre lang (durchschnittlich 19,7 Jahre) täglich mindestens fünf Cannabiszigaretten geraucht hatten, nur einmal mit 16 Nichtkonsumenten verglichen.

Es handelt sich also nicht um eine 20-jährige Beobachtung, sondern die Gehirne wurden nur einmal untersucht, so dass die Autoren nur feststellen konnten, dass bei den Cannabiskonsumenten der Hippocampus und der Mandelkern (Amygdala) im Vergleich zu den Nichtkonsumenten kleiner war.

Untersuchungen an der Harvard-Universität in den USA, die 2005 veröffentlicht worden waren, hatten allerdings zu anderen Ergebnissen geführt. In dieser Studie waren 22 starke Cannabiskonsumenten, die in ihrem Leben im Durchschnitt insgesamt 20.100 Cannabiszigaretten geraucht hatten, mit 26 Nichtkonsumenten verglichen worden. Zwischen beiden Gruppen hatten sich mittels bildgebender Verfahren keine Unterschiede in den Volumina der grauen Gehirnsubstanz, der weißen Substanz, der Gehirnflüssigkeit oder des linken und rechten Hippocampus ergeben. Die Autoren hatten damals gefolgert, dass „diese Befunde mit der jüngeren Literatur übereinstimmen, die nahe legt, dass Cannabiskonsum nicht mit strukturellen Veränderungen innerhalb des Gehirns als Ganzes oder des Hippocampus im Besonderen assoziiert ist“.

In den vergangenen Jahren hat es wiederholt widersprüchliche Ergebnisse zu diesem Thema gegeben. Beispielsweise hatten Wissenschaftler der Universität von Oxford (Großbritannien) bei starken Cannabiskonsumenten, die ihren Konsum in einem frühen Alter begonnen hatten, Veränderungen im Corpus callosum gefunden. Das Corpus callosum verbindet die linke und rechte Gehirnhälfte miteinander. Die Wissenschaftler vermuteten, dass diese Veränderungen negative Konsequenzen eines langzeitigen starken Cannabiskonsums junger Menschen auf die geistige Leistungsfähigkeit erklären könnten.
Andererseits hatten Wissenschaftler eines psychiatrischen Forschungsinstituts der Universität New York (USA) festgestellt, dass ein moderater Cannabiskonsum vermutlich nicht schädlich für das Gehirn von Heranwachsenden ist. Sie hatten die Gehirne von zehn Personen, die als Heranwachsende regelmäßige Cannabiskonsumenten waren, und von zehn Kontrollpersonen mit speziellen bildgebenden Verfahren (Magnetresonanztomographie) untersucht. Sie fanden keine Hinweise „auf eine Gehirnatrophie oder auf einen Verlust der Integrität der weißen Substanz“ und schlossen daraus, dass „regelmäßiger Cannabiskonsum wahrscheinlich nicht neurotoxisch für das normale, sich entwickelnde Gehirn ist“. Die ehemaligen Cannabiskonsumenten waren rund 18 bis 27 Jahre alt und hatten Cannabis zwischen zwei- bis dreimal wöchentlich und täglich über einen Zeitraum von einem oder mehreren Jahren als Heranwachsende konsumiert, waren jedoch zur Zeit abstinent.

Es ist gut möglich, dass insbesondere bei Jugendlichen die Dosis eine Rolle bei der Frage, ob das Gehirn geschädigt werden kann oder nicht, spielt. So hatten Wissenschaftler der Universität von Utrecht (Niederlande) zwischen moderaten gewohnheitsmäßigen Konsumenten von Cannabis, die die Droge eine Woche lang nicht verwendet hatten, und Nichtkonsumenten keine Unterschiede bei Tests zur geistigen Leistungsfähigkeit, wie Gedächtnis und selektive Aufmerksamkeit, gefunden. Auch die mittels einer funktionellen Kernspintomographie erhaltenen allgemeinen Muster der Hirnaktivität unterschieden sich in den beiden Gruppen nicht signifikant. Die Cannabiskonsumenten dieser Studie hatten in ihrem Leben bisher zwischen 675 und 5400 Cannabiszigaretten und im vergangenen Jahr zwischen 75 und 900 Cannabiszigaretten geraucht. Die Autoren wiesen darauf hin, dass frühere Studien, die Einflüsse auf die kognitive Leistungsfähigkeit gefunden hatten, sich häufig auf extrem starke Konsumenten konzentriert hätten, die nicht repräsentativ für die Mehrzahl der Freizeitkonsumenten von Cannabis seien.

Dr.med.Franjo Grotenhermen ist Vorsitzender der Arbeitsgruppe Cannabis als Medizin

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