Freitag, 28. Dezember 2007

Nimmt die Wirksamkeit von Cannabis bei einer Langzeittherapie ab?

Dr. med. Franjo Grotenhermen
Mitarbeiter des nova Institutes in Hürth bei Köln und Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft Cannabis als Medizin (ACM).

Die Entwicklung einer Toleranz, das heißt die Abnahme der Wirksamkeit eines Medikamentes, die immer stärkere Dosen erforderlich macht, stellt ein ernsthaftes Problem bei der Dauerbehandlung mit bestimmten Medikamenten dar. Auch bei Cannabis und THC nehmen bestimmte Wirkungen in ihrer Intensität ab, wenn sie auf Dauer und in hohen Dosen eingenommen werden.
Freizeitkonsumenten wissen, dass beim täglichen Konsum von Cannabisprodukten die psychischen Wirkungen abnehmen, aber auch beispielsweise die Wirkungen auf den Kreislauf. So steigert Cannabis die Herzfrequenz. Bei Langzeitkonsumenten nimmt dieser Effekt jedoch ab.
Die Entwicklung einer Toleranz basiert im Falle von THC auf einer Veränderung der Cannabinoidrezeptoren, an die THC andockt und so bestimmte Reaktionen in den Zellen auslöst. Bei Mäusen, die mehrere Tage lang THC erhielten, nahm die Zahl der Cannabinoidrezeptoren im Gehirn deutlich ab, indem die Rezeptoren von der Außenwand der Zellen in das Zellinnere aufgenommen wurden – in der Fachsprache spricht man von „internalisieren“. Die Ansprechtbarkeit der auf der Zelloberfläche verbliebenen Rezeptoren nahm zudem ab, reagierten also schwächer auf einen Kontakt mit THC. Diese Veränderungen bei chronischer THC-Gabe sind jedoch nicht in allen Hirnregionen gleich stark ausgeprägt. Dies kann erklären, warum bestimmte THC-Wirkungen einer stärkeren Toleranzentwicklung unterliegen als andere Effekte.
Ob die gewünschten medizinischen Wirkungen der Entwicklung einer Toleranz unterliegen, kann letztlich nur in Studien mit Patienten festgestellt werden, die über mehrere Monate oder gar Jahre ein Cannabispräparat erhalten. Es wurden vor allem in den letzten Jahren einige solcher Langzeitstudien durchgeführt.
Bei einer jüngst veröffentlichten, in Großbritannien mit an starken Schmerzen leidenden Multiple-Sklerose-Patienten durchgeführten Untersuchung, betrug die Studiendauer über zwei Jahre. 64 Patienten hatten zunächst unter der Leitung von Ärzten an einem Zentrum für Neurologie in Liverpool an einer mehrwöchigen Plazebo-kontrollierten Akutstudie teilgenommen. Die eine Hälfte der Patienten hatte einen Cannabisspray und die andere Hälfte einen gleichartig schmeckenden Plazebo-Spray, der frei von Cannabinoiden war, erhalten. In der Gruppe, die Cannabis erhalten hatte, nahm die durchschnittliche Schmerzintensität auf einer Skala von 0 bis 10 von 6,6 auf 3,8 ab. Nach Beendigung dieser Studie wurde den Teilnehmern angeboten, den Cannabisextrakt in einer offenen Studie weiterzunehmen. „Offen“ bedeutet in diesem Fall, dass alle Patienten ein wirksames Präparat erhielten und dies auch wussten. 63 Patienten nahmen dieses Angebot wahr, von denen 28 Patienten an der vollständigen Langzeitstudien teilnahmen, die zweieinhalb Jahre dauerte. Diese 28 Patienten wiesen am Ende der Langzeitstudie eine mittlere Schmerzintensität von 2,9 auf. Die Leiter der Studie folgerten daraus, dass der Cannabisextrakt über den gesamten Zeitraum seine Wirksamkeit behielt, ohne Zeichen einer Toleranzentwicklung.
Ob sich eine Toleranz entwickelt, hängt nicht nur von der untersuchten Art der Wirkung, in diesem Fall die Schmerzlinderung, und von der Dauer der Cannabisgabe, sondern auch von der Dosis ab. Werden nur geringe Dosen verwendet, so ist die Toleranzentwicklung geringer als bei höheren Dosen. Wird Cannabis therapeutisch verwendet, so werden meistens vergleichsweise geringe Dosen verabreicht.
In einer Studie aus dem Jahre 2006 mit einem anderen Cannabisextrakt wurde die Langzeitwirksamkeit bei der Spastik von über 500 Multiple-Sklerose-Patienten über zwölf Monate untersucht. Überraschenderweise hatte die Wirkung des Cannabisextraktes nach zwölf Monaten nicht nur nicht abgenommen, sondern war im Vergleich zur 15-wöchigen Akutstudie sogar stärker. Nach zwölf Monaten war die Spastik im Vergleich zum Zeitpunkt vor der Behandlung noch stärker reduziert als nach 15-wöchiger Therapie. Die Autoren dieser Studie vermuten, dass Cannabis bei einer Dauertherapie möglicherweise den Verlauf der multiplen Sklerose günstig beeinflussen kann, was das überraschende Ergebnis erklären könnte.
Eine Langzeitstudie aus den 90er Jahren mit HIV-positiven Patienten, die an Appetitlosigkeit und Gewichtsverlust litten, hatte ergeben, dass kleine THC-Dosen (2 mal 2,5 mg täglich) mindestens sechs Monate lang eine Steigerung des Appetits bewirkten. Bei der Behandlung verschiedener Symptome mit Cannabisprodukten nimmt deren Wirkung über eine lange Zeit also nur gering oder gar nicht ab, so dass eine Dosissteigerung im Allgemeinen nicht oder nur in geringem Umfang erforderlich ist.

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