Freitag, 7. September 2007

COUNTDOWN TO ANDERSWO

Nahezu 11 Monate wird man demnächst gebraucht haben, um in einem dürftig möblierten Saal eines aus Fertigbetonteilen zusammengeklotzten Amtsgebäudes zu Gericht zu sitzen

über einen Typen namens aXXL, der aus seiner großstädtischen Ex-Junkie-, Ex-Knacki- und Ex-Verlierer-Rolle selbst nach 10 Jahren vorbildlicher Resozialisierung in der Provinz noch immer nicht selbstverantwortlich entscheidend seinem eigenen schlimmen Stigma entwachsen darf.
Der Überlebenswille steht ihm dabei als scheinbar unüberwindbares Hindernis im Weg. Auch sein Bedarf an knapp 2 g Cannabiskraut täglich, für die bei eigener Produktion etwa 1 € an Kosten anfallen. Diese aufs Jahr hochgerechneten 365 Silberlinge jedoch sind es ihm, der er seine gesellschaftliche Wiedereingliederung durch starke Willensleistung und Selbstinitiative zuwege gebracht hat, über alle Maßen Wert, nicht sein eigener Judas werden zu müssen.
Verrat an der Sache wird nämlich überall bereits zur Genüge betrieben.
Dieses nüchterne Fazit zieht aXXL nach 11 Monaten Achterbahnfahrt durch die verworren labyrinthartigen Perversionen und Absonderlichkeiten des Straf-, Verwaltungs- und Sozialrechts ebenso wie aus den vielen willentlich-wissentlich fehlerhaften Entscheidungen, die „freies Ermessen“ als direkte Körperverletzung an Kranken zur brutalen Folge haben lässt. Für geradezu tödliches Erschrecken auf Patientenseite sorgt zusätzlich das komplette Unverständnis und die tiefgreifende Unaufgeklärtheit derjenigen Staats- und Gesundheitslenker, die fernab von jedwedem Empfinden für Schmerz, Moral oder Gewissensfragen gegenüber der erbärmlichsten Randgruppe des kapitalistisch orientierten Systems – eben diesen Patienten – eiskalt, gnadenlos und in gewisser Weise auch hochherrschaftlich auf die Unfehlbarkeit der Gesetzesbuchstaben pochend die individuelle Daseinsberechtigung von Menschen mit dringendem Bedarf an legaler Cannabis als Medizin -Vergabe rigoros ablehnen.

„Es fehlt an der UNBEDENKLICHKEITSBESCHEINIGUNG“, fabuliert der träge Petitionsausschuss des Bundestages.
„Es fehlt an Fähigkeit zur Umsetzung des ADMINISTRATIVEN AUFWANDS“, höhnt das BfArM zynisch.
„Es fehlt an der Möglichkeit der ERSTATTUNG“, schreiben die desinteressierten Krankenkassen.

„Statt ER-, dann doch lieber BESTATTUNG?“ fragt sich aXXL.
„Nein!“ lautet die Antwort. “Lieber 365 Silberlinge und dafür keinen Judaskuss-Pakt.“

Der Countdown to Anderswo hat also begonnen. Auf Patientenseite kann sich zwar niemand so recht vorstellen, dass demnächst ein Urteil ergehen wird, das aXXL`s grundgesetzlich gerechtfertigten Anspruch auf ein schmerzfreies Leben just deshalb verwirft, weil er früher mal ein „totaler Ex“ gewesen ist, inzwischen aber alles darauf anlegt, demnächst nicht schon ex zu gehen.
Doch Beton ist hart, und die dazugehörigen Köpfe können ebenso spärlich ausgestattet sein wie das Mobiliar einer 10 Jahre währenden Resozialisierung in der Provinz kurz vor Ende des Countdown.

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