Freitag, 29. Juni 2007

THC bei verzögerter Übelkeit durch eine Krebschemotherapie

Dr. med. Franjo Grotenhermen

Zu einer Zeit, als noch keine wirksamen Medikamente zur Vorbeugung von Übelkeit und Erbrechen zur Verfügung standen, zählten sie zu den quälendsten Nebenwirkungen einer Chemotherapie zur Krebsbehandlung. In Deutschland erkranken jährlich etwa 420.000 Menschen an Krebs – mit weiter steigender Tendenz. Davon werden mehr als ein Drittel mit einer Chemotherapie behandelt. Diese kann den Krebs mittlerweile häufig vollständig heilen oder das Leben zumindest deutlich verlängern. Viele Medikamente, die bei einer Chemotherapie eingesetzt werden, verursachen neben anderen Nebenwirkungen auch Übelkeit und Erbrechen, die so stark sein können, dass die betroffenen Patienten in früheren Jahrzehnten nicht selten die lebensnotwendige Behandlung abgebrochen haben.
Glücklicherweise stehen heute zur Vorbeugung und zur Behandlung der Übelkeit wirksame Medikamente zur Verfügung. Die wichtigsten sind die so genannten “Setrone”, die Anfang der 90er Jahre in die Therapie eingeführt wurden. Allerdings sprechen leider nur etwa drei Viertel der so behandelten Patienten gut auf die Therapie an. Ein Teil der Betroffenen leidet weiterhin unter den bekannten Nebenwirkungen einer Krebschemotherapie. Zudem hat sich gezeigt, dass die Setrone, von denen das bekannteste Mittel Ondansetron heißt, zwar sehr gut die akute Übelkeit am 1. Tag der Chemotherapie bekämpft, dass aber die so genannte verzögerte Übelkeit und das antizipatorische Erbrechen häufig nur unzureichend beeinflusst werden.
Tierversuche und auch Erfahrungen von Patienten mit der Anwendung von Cannabis haben nahe gelegt, dass THC und andere Cannabinoide bei diesen Formen der Übelkeit hilfreich sein könnten. Als antizipatorisches Erbrechen wird ein Erbrechen bereits vor Beginn der Chemotherapie bezeichnet, beispielsweise beim Betreten der Arztpraxis, wenn dem Patienten klar wird, dass es jetzt wieder ernst wird mit der Therapie. Antizipatorisches Erbrechen tritt im Allgemeinen nur auf, wenn die Chemotherapie, die in mehreren Zyklen verabreicht wird, zu einem früheren Zeitpunkt starke Übelkeit hervorgerufen hatte. Antizipatorisches Erbrechen wird durch einen Schlüsselreiz ausgelöst, der die früheren Erfahrungen angstvoll wieder in Erinnerung ruft. Als verzögertes Erbrechen wird eine Nebenwirkung bezeichnet, die erst am Tag nach der Chemotherapie oder noch später auftritt.
Anfang diesen Jahres wurde eine erste klinische Studie veröffentlicht, die die Wirksamkeit von THC beim verzögerten Erbrechen an einem bekannten Krankenhaus in Florida im Vergleich zu Ondansetron und im Vergleich zu einer Kombinationstherapie aus THC und Ondansetron untersucht hatte. Beide Medikamente waren etwa gleich wirksam, und ihre Kombination war nicht wirksamer als die Einzelsubstanzen. Die Stärke der Übelkeit und die Häufigkeit des verzögerten Erbrechens und Würgens war allerdings in der Gruppe, die THC erhalten hatte, am niedrigsten. Insgesamt waren 64 Patienten in die Studie aufgenommen worden, die mittelstark oder stark Übelkeit verursachende Medikamente zur Krebsbehandlung erhielten. Am Tag 1 der Studie erhielten die Teilnehmer vor Beginn der Chemotherapie eine übliche Dosis Ondansetron und entweder ein Plazebo oder 2,5 mg THC. Auch nach der Chemotherapie wurde entweder ein Plazebo oder 2,5 mg THC verabreicht. An den Tagen 2 bis 5, also an den Tagen nach der Chemotherapie, erhielten die Teilnehmer entweder ein Plazebo, THC (10-20 mg), Ondansetron oder eine Kombination aus THC und Ondansetron.
Das Gesamtansprechen hinsichtlich der verzögerten Übelkeit an den Tagen 2 bis 5 (d. h. nur geringe Übelkeit, kein Erbrechen und kein Würgen) war bei THC ähnlich gut wie für Ondansetron. In der THC-Gruppe waren 71 Prozent frei von Übelkeit, in der Ondansetron-Gruppe 64 Prozent und bei der Kombinationstherapie 53 Prozent. Patienten, die ein Plazebo erhalten hatten, waren nur in 15 Prozent frei von Übelkeit. Alle Behandlungen waren gut vertragen worden. Weiterhin fiel auf, dass die zusätzliche Gabe von zweimal 2,5 mg THC am 1. Tag der Chemotherapie zu einer besseren Kontrolle der akuten Übelkeit und des Erbrechens führte.
Nachdem THC mit Einführung der Setrone erheblich an Bedeutung für die Behandlung von Übelkeit und Erbrechen bei der Krebschemotherapie verloren hatte, wird das Cannabinoid in jüngerer Zeit für diese Indikation wiederentdeckt. Es zeigt sich, dass THC auch in vergleichsweise kleinen Dosen messbare Wirkungen entfaltet. In zwei weiteren Studien aus dem Jahre 2006 war bereits darüber berichtet worden, dass THC auch sinnvoll zur Vorbeugung von Übelkeit und Erbrechen nach Operationen sowie zur Steigerung des Appetits und zur Hemmung der Übelkeit bei Patienten mit Lebermetastasen beim Melanom (schwarzer Hautkrebs) verwendet werden kann.

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