Mittwoch, 6. September 2006

THC zur Behandlung von Hirntumoren

Im Juni 2006 wurden in einer Fachzeitschrift die Ergebnisse der ersten Studie beim Menschen zur Wirksamkeit von THC auf das Krebswachstum veröffentlicht. Spanische Ärzte und Wissenschaftler hatten neun Patienten, die an einem besonders bösartigen Hirntumor, einem so genannten Glioblastom, litten, mit THC behandelt. Alle diese Patienten hatten zuvor nicht auf eine Standardbehandlung aus Operation und Strahlentherapie angesprochen, sodass der Tumor wieder wuchs. Bei einer erneuten Operation wurde ein Teil des Tumors entfernt und eine kleine Höhle geschaffen, in die die Spitze eines kleinen Katheters gelegt wurde. Über diesen Katheter erhielten die Patienten in den folgenden Tagen und Wochen Infusionen mit THC.

Die Krebs hemmenden Eigenschaften der Cannabinoide waren zuvor in experimentellen Studien an Zellen und Tieren untersucht worden. Im Körper eines erwachsenen Menschen finden pro Sekunde etwa eine Million Zellteilungen statt. Wenn nicht gleichzeitig Zellen absterben würden, so wäre die Zahl unserer Körperzellen bereits nach einem Tag um nahezu 100 Milliarden Zellen angewachsen. Das tägliche Absterben von Milliarden von Zellen ist daher genauso wichtig für das Überleben wie die Erneuerung von Geweben durch die Bildung neuer Zellen. Beim Krebs ist dieses Gleichgewicht jedoch gestört und das ungebremste Wachstum überwiegt.
In einem zweijährigen Tierversuch amerikanischer Forscher mit Ratten und Mäusen Mitte der 90er-Jahre fiel auf, dass hohe THC-Dosen das Krebsrisiko verringerten und das Leben der Ratten deutlich verlängerte. Eine spanische Arbeitsgruppe um Professor Manuel Guzman von der Complutense-Universität in Madrid untersuchte dann erstmals gezielt, ob THC auch bereits bestehende Tumore bekämpfen kann. Bei 45 Ratten wurden bösartige Glioblastome ausgelöst, also genau die Hirnkrebsart, deren Ansprechbarkeit auf THC nun beim Menschen untersucht worden ist. Wurden die Ratten nicht behandelt, starben sie innerhalb von spätestens 18 Tagen. THC und ein synthetisches Cannabinoid zeigten allerdings eine deutliche Wirkung. Innerhalb von sieben Tagen zerstörten sie die Tumoren bei etwa einem Drittel der behandelten Ratten vollständig und verlängerten das Leben eines weiteren Drittels bis zu sechs Wochen. Bei dem letzten Drittel schlug die Behandlung jedoch nicht an. Wie in der Studie beim Menschen wurde eines der beiden Cannabinoide über einen kleinen Katheter direkt an den Tumor gespritzt.
Weitere Studien an Zellen und Tieren haben gezeigt, dass verschiedene Cannabinoide das Wachstum mehrerer Krebsarten hemmen können, darunter Lungenkrebs, Schilddrüsenkrebs, Lymphome, Hautkrebs, Gebärmutterkrebs, Prostatakarzinom und Neuroblastom, ein Krebs von Nervenzellen. Interessanterweise hemmten auch Cannabinoide, die keine psychischen Wirkungen hervorrufen, das Wachstum von Tumoren, darunter das natürliche Cannabidiol (CBD).
Zwei verschiedene Mechanismen scheinen bei der Hemmung des Tumorwachstums durch Cannabinoide eine Rolle zu spielen, der programmierte Zelltod und die Hemmung der Blutgefäßneubildung. Beide Wirkungen werden vermutlich durch das Andocken von Cannabinoiden an Cannabinoid-Rezeptoren ausgelöst. Der programmierte Selbstmord einer Zelle wird als Apoptose bezeichnet. Dadurch werden gealterte Zellen, die ihre Funktion nicht mehr optimal erfüllen können, oder schädliche und überflüssige Zellen aus dem Gewebe entfernt. Das Apoptose-Programm der Zelle kann auch durch äußere Einflüsse, wie beispielsweise Röntgenstrahlen und verschiedene chemische Substanzen, aktiviert werden. Dazu zählen offenbar auch verschiedene Cannabinoide.
Die neun Patienten, die mit THC behandelt worden waren, lebten nach Beginn der Therapie noch neun bis 53 Wochen. Zwei Patienten sprachen gut an und überlebten nahezu ein Jahr. Bei beiden Patienten trat nach Beginn der THC-Therapie eine deutliche Verbesserung der klinischen Symptome ein, die sich jedoch in der 20. beziehungsweise 21. Woche wieder verschlechterten. Die Behandlung wurde von allen Patienten gut vertragen. Da die Studie ohne eine Vergleichsgruppe durchgeführt wurde, lassen sich keine sicheren Aussagen zur Wirkung von THC auf das Tumorwachstum und das Überleben machen. Vergleiche mit anderen Studien, in denen Patienten verschiedene Chemotherapeutika ebenfalls über einen Katheter direkt an den Tumor erhalten hatten, zeigen jedoch, dass THC etwa so wirksam war wie andere Krebsmedikamente. Die spanischen Wissenschaftler empfehlen daher weitere Studien mit Cannabinoiden bei Hirntumoren und anderen Krebsarten, eventuell auch in Kombination mit anderen Therapieverfahren.

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