Donnerstag, 15. Juni 2006

Herbert: Scale (!K7 records)

>> Avant-Pop
VÖ: 26.05.2006

Ob als Wishmountain, Doctor Rockit oder Radio Boy: Schon immer hat er großartige, spannende und richtungsweisende Musik erschaffen. Und nun lädt Chefkoch Matthew Herbert wieder zu Tisch. “Plat du Jour” war nur die Vorspeise, und allen, die von diesem Konzeptalbum nicht so begeistert waren, kann ich versichern, dass “Scale” eine Partyplatte geworden ist! Nach seinem Seitensprung mit Roisin Murphy im letzten Jahr, wo sich Matthew Herbert trotz hohem Abstraktionsgrad so weit wie nie zuvor in den Pop vorgewagt hatte, setzt er nun ein ähnliches Konzept mit seiner Ehefrau Dani Siciliano um. Der Unterschied kann so groß nicht sein, haben doch beide Damen Stimmen von ähnlich geschmeidiger Eleganz. Doch statt einer Solostimme (wie auf “Ruby Blue”) dominieren hier Duette. An der Seite von Dani Siciliano singen Neil Thomas, Dave Okumu und Herbert selbst. Noch immer arbeitet Herbert mit Gegenständen, die ihm in die Hände fallen und die er im Studio als Schlag-, Kratz- und Perkussionsinstrumente missbraucht, da ihm sein “Personal Contract for the Composition of Music”-Dogma verbietet, Drumcomputer, Preset-Sounds und Samples zweiter Ordnung zu verwenden. Nachdem er diese Neigung aber schon auf “Plat du Jour” ausgekostet hat, wo er beispielsweise 3255 Leute in einen Apfel beißen ließ, betritt er nun etwas weniger avantgardistisches Terrain. Trotzdem ist der Klangmanipulator Herbert auf diesem Album überall. Er nahm Drums in einem Heißluftballon und einem fahrenden Auto auf, er sampelte Bomber der Royal Airforce und Särge, und wieder hat vieles einen hochpolitischen Hintergrund. Herbert beherrscht perfektes Songwriting, er liefert eine Platte, die inhaltlichen Anspruch mit hohem Unterhaltungswert verbindet, die Spaß macht und trotzdem auch traurig und intelligent sein darf. Dass Stücke mit den Namen “Something Isn’t Right” und “Wrong” das Album eröffnen und beschließen, ist sicher kein Zufall, sondern Herbert’s innere Notwendigkeit, Sozialkritik zu äußern. Unter der unterhaltsamen, glitzernden Oberfläche der Stücke lässt sich die Ernsthaftigkeit dieser Platte erfassen. “Scale” ist eine wunderbare Mischung aus großen Gesten mit schönen Hörnern, Streichern und Stimmen. Herbert pendelt dabei zwischen Bigband-Sound, House und Funk-Grooves und ist immer wieder experimentell ohne verkopft zu sein. Ein Mäandern zwischen Übermut und Nachdenklichkeit. Ausgehen bis das Licht angeht und dann die Disco gegen ein Schlafzimmer tauschen. Ein Album, das so zeitlos, tief und vielschichtig ist, dass es bleiben wird. Schublade “Klassiker” sozusagen!

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