Freitag, 7. April 2006

Cannabis gegen Übelkeit bei Krebs-Chemotherapie

Jährlich erkranken in Deutschland etwa 400.000 Menschen an Krebs. Die jeweilige Behandlungsmethode ist abhängig von der Krebsart und dem Stadium der Erkrankung. Insgesamt erhält etwa ein Drittel der an Krebs erkrankten Personen eine Chemotherapie.

Bei vielen Krebsarten ist mit moderner Chemotherapie eine dauerhafte Heilung möglich. So können heute beispielsweise etwa 80 Prozent aller Patienten mit einer normalen Lebenserwartung rechnen, bei denen Lymphdrüsenkrebs diagnostiziert und behandelt wird. Andere Krebsarten, wie Nieren- oder Magenkrebs, sprechen allerdings sehr schlecht auf eine Chemotherapie an.
Bei der Krebs-Chemotherapie werden bestimmte Substanzen, so genannte Zytostatika, verwendet. Zytostatika greifen in den Stoffwechsel von Zellen ein und hemmen auf unterschiedliche Weise die Zellteilung. Dabei wirken sie nur auf sich teilende Zellen. Da Krebszellen eine erhöhte Zellteilungsrate haben, sind sie empfindlicher gegenüber Zytostatika als die meisten gesunden Körperzellen, sodass sie vor allem das Tumorwachstum hemmen. Je nach Krebsart werden verschiedene Kombinationen von Zytostatika eingesetzt. Die Behandlung erfolgt meist in Form von Zyklen, die durch einen Wechsel zwischen Behandlungsphasen und Pausen, in denen sich der Körper regenerieren kann, gekennzeichnet sind.
Da die Wirkung der Zytostatika jedoch nicht ausschließlich auf Krebszellen beschränkt ist, sondern zum Beispiel auch schnell wachsende gesunde Zellen beeinträchtigt werden können, ist die Chemotherapie häufig mit einer Vielzahl von Nebenwirkungen verbunden. Die wichtigsten Nebenwirkungen sind Übelkeit und Erbrechen, Müdigkeit, Entzündungen der Schleimhäute, Haarausfall und Veränderung des Blutbildes durch Schädigung des Knochenmarks. Der Brechreiz bei einer Krebs-Chemotherapie kann unerträglich stark sein und eventuell mehrere Tage anhalten. In einigen Fällen muss eine Chemotherapie aufgrund von Übelkeit und Erbrechen abgebrochen werden, trotz begleitender Behandlung mit brechreizhemmenden Mitteln.
Anekdotische Berichte, nach denen das Rauchen von Cannabis kurz vor Beginn einer Chemotherapie Übelkeit und Erbrechen verminderte, gaben Anfang der 1970er-Jahre Anlass zur näheren Untersuchung der brechreizhemmenden Eigenschaften von THC und anderen Cannabinoiden. Im Jahre 1975 wurden erstmals die Ergebnisse einer klinischen Studie mit THC bei 22 Krebspatienten veröffentlicht, denen herkömmliche brechreizhemmende Medikamente nicht helfen konnten. Bei etwa 35 Prozent der Chemotherapiezyklen zeigte THC eine gute Wirkung und bei weiteren 45 Prozent konnte eine mäßige Wirkung festgestellt werden, was einer Ansprechbarkeitsrate von insgesamt 80 Prozent entspricht. Bei den restlichen 20 Prozent war THC wirkungslos. In den folgenden 20 Jahren wurde in insgesamt etwa 40 weiteren Untersuchungen eine vergleichbare Linderung von Übelkeit und Erbrechen durch THC und anderen Cannabinoide beobachtet. In einigen dieser Studien wurde zudem die Wirksamkeit von THC mit der Wirkung konventioneller brechreizhemmender Mittel verglichen. THC war dabei meistens entweder genauso wirksam oder wirksamer als die anderen Medikamente. Häufig war die Kombination von THC mit anderen brechreizhemmenden Mitteln besonders wirkungsvoll. Seit 1985 ist Marinol, ein THC-Fertigpräparat in Kapselform, in den USA zur Behandlung von Übelkeit und Erbrechen im Rahmen einer Krebs-Chemotherapie zugelassen. Für eine effektive Brechreizhemmung muss THC allerdings relativ hoch dosiert werden (viermal täglich 7,5 bis 10 Milligramm THC), sodass häufig psychische Nebenwirkungen auftreten, die jedoch zur Linderung des belastenden Brechreizes von den meisten Patienten toleriert werden.
Durch die Einführung neuer, äußerst wirksamer brechreizhemmender Medikamente vor etwa 15 Jahren hat die Verwendung von THC bei der Bekämpfung von Übelkeit und Erbrechen in Folge einer Krebs-Chemotherapie wieder an Bedeutung verloren. Allerdings legt eine Studie, die im vergangenen Jahr bei einer wissenschaftlichen Konferenz in den USA vorgestellt worden war, nahe, dass kleine THC-Dosen (2,5 Milligramm) die Wirksamkeit der konventionellen Behandlung verbessern kann, ohne dass relevante Nebenwirkungen auftreten. Diese klinische Studie unterstützt auch die Annahme, dass THC bereits in geringer Dosierung die so genannte verzögerte Übelkeit, die in den Tagen nach der Chemotherapie auftreten kann, wirksam bekämpfen könnte. Sollten sich diese Beobachtungen in weiteren klinischen Untersuchungen oder in der Praxis bestätigen, so ist es möglich, dass THC zukünftig wieder vermehrt bei Nebenwirkungen der Krebs-Chemotherapie eingesetzt wird.

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