Donnerstag, 19. Januar 2006

Der Einsatz von Cannabis zur Krankheitsbekämpfung und das öffentliche Interesse

Wie bereits im letzten Hanf Journal berichtet, hat das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) im Mai 2005 ein möglicherweise wegweisendes Urteil zur medizinischen Verwendung von Cannabis-Produkten gefällt. Dieses Urteil wurde der Öffentlichkeit, wie es beim Bundesverwaltungsgericht üblich ist, erst einige Monate später – im November 2005 – bekannt gemacht. Das Gericht hat „das öffentliche Interesse am Einsatz von Cannabis zur Krankheitsbekämpfung“ betont und dies mit dem Artikel 2 des Grundgesetzes begründet. „Bei schweren Erkrankungen ohne Aussicht auf Heilung gebietet es in diesem Rahmen die von Artikel 2 Absatz 2 Satz 1 des Grundgesetzes geforderte Achtung vor der körperlichen Unversehrtheit, die Möglichkeit einer Erlaubnis nach § 3 Absatz 2 Betäubungsmittelgesetz nur dann auszuschließen, wenn ein therapeutischer Nutzen keinesfalls eintreten kann.“

Dieses Urteil ist deshalb von so großer Bedeutung, weil die Politik sich seit etwa zwei Jahren auf das Nichtstun beschränkt hat, sodass von dieser Seite auf absehbare Zeit keine Bewegung zu erwarten war. Nun muss sich die Politik verhalten, denn das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) ist dem Bundesministerium für Gesundheit (BMG) unterstellt. Es ist daher nicht ohne Ironie, dass der größte Blockierer, das BMG, nun gezwungen ist, sich zu bewegen. Es kann dabei durchaus von Vorteil sein, dass mit der neuen Bundesregierung auch eine neue Drogenbeauftragte ins Amt gekommen ist. Sie kann sich vermutlich unbefangener als ihre Vorgängerin, Marion Caspers-Merk (SPD), mit der Thematik befassen.

Unter der Drogenbeauftragten Christa Nickels (Bündnis 90/Die Grünen) waren wir schon einmal weiter als heute. Auf ihren Vorschlag hin hatte das Bundesgesundheitsministerium den Bundesverband der Deutschen Apothekerverbände im März 1999 gebeten, eine Rezepturvorschrift für einen standardisierten Cannabis-Extrakt zu entwickeln, der dann vom Arzt verschrieben werden könnte. Die Verschreibungsfähigkeit eines solchen Extraktes auf der Grundlage einer entsprechenden Gesetzesänderung war Vertretern der Arbeitsgemeinschaft Cannabis als Medizin (ACM) damals für den Herbst 2001 in Aussicht gestellt worden. Die Entwicklung der Rezepturvorschrift verzögerte sich, und als die entsprechende Institution der Deutschen Apothekerverbände diese schließlich im Sommer 2003 an das BMG schickte, wollte das Ministerium am liebsten nichts mehr davon wissen. Tatsächlich fragte mich im Herbst 2003 ein Vertreter des Ministeriums, ob denn die Bereitstellung wirklich versprochen worden sei. Ich musste ihn daran erinnern, dass ein Vertreter des Ministeriums diese Bereitstellung im Jahr 2001 sogar im „Deutschen Ärzteblatt“ und in der „Deutschen Apothekerzeitung“ angekündigt hatte. Glücklicherweise, oder vielleicht besser klugerweise, hatte sich die ACM damals nicht allein auf die Politik verlassen, sondern auch versucht, auf dem juristischen Weg etwas zu erreichen.

So legten im Dezember 1999 acht Mitglieder der ACM eine Verfassungsbeschwerde vor dem BVerwG ein, in der sie einen legalen Zugang zu sonst illegalen Cannabis-Produkten verlangten, um sich damit medizinisch selbst zu behandeln. Bereits im Januar 2000 beschloss der Zweite Senat des BVerwG diese Beschwerde nicht zur Entscheidung anzunehmen, da der Rechtsweg noch nicht erschöpft sei. So kämen beispielsweise Anträge an das BfArM in Frage. Ein solcher Antrag sei nicht von vornherein aussichtslos, da das Betäubungsmittelgesetz die Anwendung von sonst illegalen Drogen zu „im öffentlichen Interesse liegenden Zwecken“ erlaube und die medizinische Versorgung der Bevölkerung auch ein öffentlicher Zweck sei, der im Einzelfall die Erteilung einer Erlaubnis rechtfertigen könne.

Damals war nicht unbedingt zu erwarten, dass das BfArM diese Entscheidung des BVerfG auf eine so ignorante Art und Weise missachten und alle Anträge ablehnen würde. Schließlich befasste sich auch im Juni 2000 der Petitionsausschuss des Bundestages mit dem Thema und unterstützte eine Petition der Selbsthilfegruppe „Cannabis als Medizin“ in Berlin und der ACM, nach der Möglichkeiten der medizinischen Verwendung von Cannabis geschaffen werden sollten. Der Text des Petitionsausschusses führt aus, dass Cannabis vielen Erkrankten helfe, „ihre Erkrankungen zu heilen beziehungsweise zu lindern und ihr Leben wieder lebenswert zu gestalten“. Die Petition wurde der Bundesregierung zur Berücksichtigung übergeben, weil das vorgebrachte Anliegen begründet und Abhilfe notwendig sei.
Im Schreiben des BMG an den Petitionsausschuss vom September 2001 wurde betont, dass die Bundesregierung die Bereitstellung eines Cannabis-Extraktes vorbereite. Auch daran wollte sich das BMG im Herbst 2003 nicht mehr erinnern. Stattdessen hat das Ministerium Anfang 2004 erklärt, das Projekt zunächst nicht weiter verfolgen zu wollen, da der medizinische Wert von Cannabis bisher nicht nachgewiesen sei. Man werde jedoch die wissenschaftliche Entwicklung weiterhin aufmerksam verfolgen. Die Begründung für den fehlenden Nachweis eines medizinischen Wertes von Cannabis zeugte dabei nicht von großem Sachverstand im Ministerium.

Der Nachhilfeunterricht von juristischer Seite kommt daher zur rechten Zeit. Im Mai 2003 war Michael Fischer aus Mannheim der erste Patient, der Cannabis zu medizinischen Zwecken verwendet und von einem deutschen Gericht freigesprochen wurde. In der Zwischenzeit ist das Urteil rechtskräftig. Weitere spätere Freisprüche sind mittlerweile ebenfalls rechtskräftig. Um den unwürdigen Zustand der Patienten, die jederzeit von Strafverfolgung bedroht sind, zu beenden, braucht es jedoch eine politische Lösung. Jetzt wäre der richtige Zeitpunkt. Das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts schafft einen solchen Druck, dass sich auch der trägste Politiker zur Bewegung gedrängt fühlen könnte, ohne befürchten zu müssen, von einigen Kollegen als Verharmloser des Cannabis-Konsums kritisiert zu werden.

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