Ein sinnflutendes Interview mit Curse
Nachdem ich bereits vorab in ein 40-minütiges Snippet reinhören durfte, ist die Frage, wer das (!) deutsche HipHop-Album 2005 abgeliefert hat, (für mich) beantwortet!
Wir schreiben den 20. Oktober, als meine Freundin Geli und ich uns auf den Weg nach Berlin-Mitte machen, um uns im Maritim Pro Arte-Hotel die Zeit mit sinnflutenden Fragen und Antworten zu vertreiben. Geli schlürft Kaffee, Curse und ich trinken Cola. Und nicht nur dank dieser Tatsache sehe ich in ihm einen wichtigen Seelenverwandten. Nach seinen bisherigen drei Alben kann ich mich auch mit seinem neuesten Geniestreich identifizieren, da seine aussagekräftigen Texte genau das widerspiegeln, was ich tagtäglich denke und empfinde. Während viele andere Künstler im HipHop diverse Klischees aufgreifen und banal verarbeiten, geht Curse immer ein paar Schritte weiter und bringt die Dinge einfach auf den Punkt.
Als erste Single wurde bereits der Track „Gangsta Rap“ veröffentlicht. Und das ist kein Zeigefinger gegen Gangsta Rap, wie der Hook unschwer zeigt, sondern ein reines Statement zum absoluten Ungleichgewicht in der heutigen Rap-Landschaft in Deutschland. MCs verkaufen sich über Image und Beef, und die Medien präsentieren uns den Zirkus, als wäre es das, und nur das, worum es heutzutage im Rap Game geht. Leider reflektieren das viele Hörer nicht. Curse dagegen „verkauft“ sich auch in unserem Interview sehr ehrlich. Er möchte konstruktive Gespräche und hat keinen Bock auf stupides Gequatsche – schließlich geht’s doch um Austausch. Vier Solo-Alben sind eine beachtliche Leistung, doch woher kommt die Energie für soviel Output? 50 Songs hat er geschrieben – da wird’s mit innerer Sicherheit auch gute B-Seiten geben. Da er viel rumkommt und ein aufmerksamer Mensch ist, sprüht er vor Ideen. Und auch er schöpft seine Kreativität aus zwei Zuständen und bevorzugt hierbei meist melancholische Momente, da diese enorm pushen können. Seine Gedanken umschreibt er immer wieder mit japanischen Metaphern.
Groß geworden ist er mit so einflussreichen Künstlern wie BDP, Eric B & Rakim, Public Enemy, A Tribe Called Quest und Nas. In seiner Schulzeit kursierten Mixtapes von Tim Westwood aus der legendären „BFBS Dance Show“, die das britische Militär sendete, und nach einer Studienreise nach Amerika kleidete man sich mit „Air Force“ und „Jordans“ neu ein. Irgendwie gehört das halt dazu. Aber auch anderen Styles gegenüber – jenseits von HipHop – ist Curse sehr offen und aufgeschlossen. So lauscht er auch gerne Jazz, Soul und Contemporary R&B und teilt die Musik lediglich in „gut“ oder „schlecht“ ein. Beim deutschen HipHop sieht er zur Zeit wieder eine Menge Potenzial. So spricht er in großen Tönen von Jonesmann aus dem Frankfurter Azad-Umfeld und von Animus aus Heidelberg. Auch die „Geschichten“ von Stress & Trauma, Italo Reno & Germany, Tefla & Jaleel, Aphroe & Nosliw, Flipside & Harris, Azad, Tatwaffe und Dendemann, mit dem zusammen es wohl auch bald etwas zu hören gibt, flashen ihn sehr.
A propos gute Musik: Ich finde ja das so genannte Tracklisting bei einem Album immens wichtig, und Curse scheint gut darüber nachgedacht zu haben. Beginnend mit der Partynummer „Der Fluch“, befindet sich in der Mitte natürlich die Trilogie „Herbstwind“, die der Maestro selbst als das Herzstück des Albums bezeichnet und Curse in Sachen „Storytelling“ zum deutschen Nas mutieren lässt. Um sein Werk möglichst homogen zu gestalten, wurden die anderen Songs engmaschig drum herum gebaut. Und wie kam es zu der Zusammenarbeit mit Samy Deluxe? Die Gegensätze der beiden wurden – wie es ja leider immer ist – durch die Medien gepusht. Anfangs gab’s natürlich Beef, doch mit der Zeit hat sich der Stress gelegt, und so kam es zu dieser äußerst gelungenen, erfrischenden Kollaboration, die eine wahrlich lyrische Granate nach sich zieht. Auch mit „Show Love“ feat. Vanessa Mason, „Struggle“ feat. Samir und seinen Double-Time-Raps in „C.U.R.S.E.“ klingt Curse so reif, abwechslungsreich, mutig und innovativ wie noch nie! Die Kollabos mit Pete Rock und Black Thought sind quasi das Sahnehäubchen einer Sache, die sowieso schon rund war. Der ganze Vibe erinnert etwas an „Von Innen Nach Außen“, aber mit völlig neuen Aspekten und neuer Energie. Persönliches Storytelling to the fullest.
Kurioserweise höre ich mir in meinem Freundes- und Bekanntenkreis nach jedem Curse-Album den Spott bezüglich seiner „Herzschmerz“-Tracks an. Kann ich nicht nachvollziehen, denn schließlich sind diese Beziehungskisten zwischen Mann und Frau – wie auch Curse meint – eine „essenzielle Frage“. Ganze Königreiche sind dafür in Staub und Asche gefallen, und alle großen Dichter und Denker befassen sich seit über zwei Jahrtausenden damit. Also wo liegt das Problem? Es gibt wohl kein anderes Thema, was die Menschheit so sehr beschäftigt – das ist nun mal Fakt. Und wenn man die Dinge dann so facettenreich aufgreift und verarbeitet wie Curse, dann bin zumindest ich äußerst dankbar dafür. Wenn mir eine „platonische“ Freundin irgendwas vom Pferd erzählen möchte, spiele ich ihr „Lass uns doch Freunde sein“ vor, und damit ist meist alles gesagt. Und ohne Tracks wie „Hassliebe“ (Feuerwasser), „Viel leichter“ und „Vertrauen“ (Von innen nach außen), „Ich versteh dich“ und „Und was ist jetzt?“ (Innere Sicherheit) würde ich wohl noch heute sämtlichen Ex-Freundinnen hinterher weinen. Da spare ich mir doch lieber die Rechnung beim Seelenklempner, höre „Show Love“ (Sinnflut) und freu’ mich darüber, dass ich seit nunmehr zwei Jahren eine süße Freundin habe, die mich sogar zum Interview mit Curse begleitet ;-).
Nachdem ich nun mein persönliches Feedback zu Curse abgegeben habe, frage ich ihn, wie es denn sonst so aussieht. Das Problem ist bei jeglicher Form von Kritik, sei es Lob oder Tadel, dass man meist eher die negativen Dinge aufsaugt und sich mit diesen dann zu sehr beschäftigt. Aber in der Kunst, in diesem Fall bei Musik, geht es ja ausschließlich um subjektive Sichtweisen. So meint Curse: „Nehmen und frei machen“. So hält man die Balance zwischen Depression und Größenwahn.
Gute Überleitung zu meinem letzten Stichwort: Cannabis und seine Legalisierung. Auch Curse spricht sich – wie die meisten meiner Interviewpartner – dafür aus, grundsätzlich alle Drogen zu legalisieren, da in erster Linie die (Beschaffungs-)Kriminalität eingedämmt und der Drogen-Konsum auch bezüglich Reinheit ungefährlicher wird. Erwähnt sei allerdings noch, dass Curse selbst seit 1999 nicht mehr gekifft hat, weil sein Gemütszustand darunter eher gelitten habe.
Und während die Hotel-Cafeteria gerade James Browns „Sex Machine“ anklingen lässt und ich meine Interviewzeit sowieso maßlos überzogen habe, meint Curse noch schnell zum Abschluss: „Album kaufen, hören, Urteil bilden.“
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