Mittwoch, 28. September 2005

Interview mit Dr. Franjo Grotenhermen

zum Thema HanfApotheke

Wer kam auf die Idee, eine Hanfapotheke zu initiieren?
Dies kann aus verständlichen Gründen nicht öffentlich gemacht werden, genauso wie die Betreiber der Hanfapotheke nicht genannt werden können. Ich unterstütze wie die anderen Mitglieder des Solidaritätskreises der Hanfapotheke die Idee. Ich kann auch hier nur meine Sicht der Ziele und Aufgaben der Hanfapotheke darlegen, so wie ich sie sehe. Ich gehe aber davon aus, dass die übrigen Beteiligten eine ähnliche Sicht auf die Dinge haben.

Was ist das Ziel der Hanfapotheke?
Die Hanfapotheke soll Schwerkranken helfen, ihr Medikament zu erhalten. Es gibt einerseits Menschen mit schweren Erkrankungen, die von Cannabis-Produkten profitieren, jedoch aus unterschiedlichen Gründen keinen Zugang dazu haben. Und auf der anderen Seite gibt es Menschen, die bereit sind, ihnen zu helfen, indem sie einen Teil ihrer Hanf-Ernte spenden. Die Hanfapotheke lebt also davon, dass es Menschen gibt, die bereit sind, kostenlos Cannabis abzugeben. Die Spender bleiben dabei vollständig anonym, so dass sie an dem Projekt mitwirken können, ohne sich selbst in Gefahr zu bringen. Alle Patienten, die Cannabis von der Hanfapotheke, also von den Spendern, erhalten, leiden an schweren Erkrankungen und benötigen Unterstützung bei der Beschaffung ihres Medikamentes.
Das Verhalten des Gesetzgebers kann nicht anders als heuchlerisch und zynisch bezeichnet werden. So wird beispielsweise gesagt, dass Cannabis-Produkte Nebenwirkungen verursachen können. Es ist aber trivial, dass wirksame Medikamente Nebenwirkungen verursachen können. Viele Medikamente können sogar tödliche Nebenwirkungen verursachen. Oder es wird gesagt, dass Cannabis keine arzneimittelrechtliche Zulassung in Deutschland besitzt. Das bedeutet aber nicht, dass man Menschen, die Cannabis aus medizinischen Gründen verwenden, deshalb strafrechtlich verfolgen und ihnen damit über ihr schweres Schicksal hinaus weiteren Schaden zufügen müsste. Und es wird gesagt, illegaler Cannabis könne mit Beimischungen verunreinigt sein. Aber sobald es irgend eine Form des legalen Zugangs gäbe, würde dieses Problem sofort wegfallen. Auch der THC-Gehalt ließe sich problemlos bestimmen. Es ist heuchlerisch, beim Oktoberfest aus reiner Lust am Besäufnis die Droge Nummer eins zu genießen, gleichzeitig aber einem Schmerzpatienten ein wirksames Mittel vorzuenthalten, weil es von anderen ebenfalls als Droge genossen wird. Die Menschen werden in ihrer Not mit fadenscheinigen Argumenten von der Politik allein gelassen. Die Hanfapotheke will ihnen dagegen, so gut es ihr möglich ist, beistehen.

Können alle Patienten, die von Cannabis-Produkten profitieren, Cannabis von der Hanfapotheke erhalten?
Patienten können nur dann Cannabis-Produkte von der Hanfapotheke erhalten, wenn sie zuvor andere legale Möglichkeiten ausgeschöpft haben. Sie müssen also zunächst versucht haben, sich THC (Dronabinol) vom Arzt verschreiben zu lassen, und ihre Krankenkasse um die Erstattung der Behandlungskosten bitten. Die Hanfapotheke ist also kein Ersatz für einen möglichen legalen Zugang zu Medikamenten auf Cannabis-Basis. Sie ist eine Notlösung, wenn andere Wege versagt haben, beispielsweise, weil die zuständige Krankenkasse die Kostenübernahme verweigert. Es muss eine echte Notsituation vorliegen. Diese Notsituation ist durch die Schwere der Erkrankung, durch eine nicht ausreichende Behandlung mit den zur Verfügung stehenden Behandlungsmethoden, sowie durch die gleichzeitige Wirksamkeit einer Behandlung mit Cannabis-Produkten und den fehlenden Zugang zu eben diesen gekennzeichnet. Das sind die Bedingungen, die das Oberlandesgericht Karlsruhe in einem Urteil aus dem Jahre 2004 im Falle eines Multiple-Sklerose-Patienten für das Vorliegen eines rechtfertigenden Notstandes formuliert hat.
Erst wenn diese Voraussetzungen gegeben sind, kann ein Patient darauf hoffen, über die Hanfapotheke Cannabis zu erhalten. Diese Hürden sind aus mehreren Gründen vergleichsweise hoch gesetzt. Erstens sollen vor allem die Patienten von der Hanfapotheke profitieren, die dies am dringendsten benötigten. Zweitens sollen sich die Aktivitäten der Hanfapotheke im juristischen Bereich des rechtfertigenden Notstandes der beteiligten Patienten bewegen, so dass alle Beteiligten weit gehend geschützt sind. Und drittens sollten die Spender sicher sein können, dass ihr Cannabis an Personen gelangt, die ihn wirklich dringend medizinisch benötigen.

Wie wird die Qualität des gespendeten Materials kontrolliert?
Sobald ein Patient von einem Spender Cannabis erhalten hat, gibt er der Hanfapotheke eine Rückmeldung, in der er auch von der Qualität berichten kann. Wir haben die Hoffnung, dass der Großteil der Spender den Patienten ernsthaft helfen möchte und sich dies auch in der Qualität des gespendeten Cannabis niederschlägt. Ich denke aber, dass viele Patienten auch mit einer mittelmäßigen Qualität, die natürlich nicht verunreinigt sein sollte, zufrieden sind. Cannabis mittlerer Qualität ist besser als gar kein Cannabis. Falls die Qualität sehr schlecht ist oder der Spender sehr unzuverlässig, so wird die Hanfapotheke vermutlich den Kontakt zu ihm abbrechen.

Machen sich die Lieferanten und Patienten strafbar?
Das ist Ansichtssache. Einerseits ist der Besitz und die Weitergabe von Cannabis in Deutschland bekanntermaßen strafbar. Daher machen sich sowohl die Lieferanten als auch die Patienten strafbar. Dies hat das Bundesverfassungsgericht in einer Entscheidung vom Sommer 2005 noch einmal betont: Die Selbstmedikation mit Cannabis-Produkten sei weiterhin verboten. Andererseits gibt es den Umstand des rechtfertigenden Notstands, in dem sich ein Patient befinden kann, wie das Oberlandesgericht Karlsruhe im Sommer 2004 schrieb. Aus diesem Grund sind ja auch bereits einige Patienten, die Cannabis zu medizinischen Zwecken verwendet haben, von deutschen Gerichten freigesprochen worden. Es wäre also in jedem Einzelfall gerichtlich zu klären, ob ein solcher rechtfertigender Notstand vorliegt. Dies ist natürlich kein praktikabler Weg.
Unabhängig davon, ob ein Lieferant sich im Einzelfall strafbar machen würde oder nicht, ist es daher wichtig, dass das System der Hanfapotheke so organisiert ist, dass er keinerlei Risiko eingeht. Und das ist auch sichergestellt. Der Patient geht dagegen ein gewisses, jedoch kleines Risiko ein, da es möglich ist, dass sich ein verdeckter Ermittler bei der Hanfapotheke als Spender ausgibt und dann die Adresse eines Patienten erhält, der sich mit Cannabis behandeln möchte. Da aber ein Spender im Allgemeinen nur die Adresse eines einzigen Patienten erhält, ist das gesamte Projekt damit nicht relevant beeinträchtigt und das Risiko für den einzelnen Patienten gering. Die Ausbeute für den verdeckten Ermittler wäre ebenfalls sehr gering, so dass es sich für die Justiz vermutlich nicht lohnt, auf diese Weise aktiv zu werden. Zudem kann man sich fragen, ob die Justiz tatsächlich ein Interesse daran haben kann, einzelne der beteiligten Patienten, die wirklich in Not sind, strafrechtlich zu verfolgen.
Zudem sollte man sich darüber im Klaren sein, dass zwar möglicherweise formal Rechtsbrüche begangen werden, das jedoch tatsächlich niemandem ein Schaden zugefügt wird. Ganz im Gegenteil. Die Hanfapotheke schafft einen dringend notwendigen Ausgleich für eine Schieflage der gegenwärtigen rechtlichen Rahmenbedingungen für die medizinische Verwendung von Cannabis-Produkten. Und dieser Ausgleich nimmt sich gemessen an den tatsächlichen Erfordernissen eher gering aus. Die Hanfapotheke kann nicht viel mehr leisten als einige Tropfen auf den heißen Stein. Für den einzelnen Patienten kann dies jedoch von großer Bedeutung sein.

Wie wurde die Hanfapotheke bisher aufgenommen?
Das kann ich nicht beurteilen. Die Hanfapotheke ist seit Anfang August 2005 online. Seither habe ich als ein Vertrauensarzt der Hanfapotheke Schreiben von einer Anzahl von Patienten erhalten, die von der Hanfapotheke an mich verwiesen worden sind, damit ich überprüfen kann, ob sie die Kriterien der Hanfapotheke erfüllen. Die Hanfapotheke ist zwar öffentlich, aber ich gehe nicht davon aus, dass es viele öffentlich zugängliche Informationen über die Zahl der Patienten oder Spender geben wird.

Auch von öffentlicher Seite gab es bisher keine Reaktionen. Es gab bisher einen Zeitungsbericht in der Süddeutschen Zeitung und einige weitere Anfragen verschiedener Medien. Ich gehe aber davon aus, dass das Projekt sehr schnell bekannt wird, da es sehr ungewöhnlich ist. Hier haben sich einige Leute überlegt, nicht nur als Bittsteller an die Politiker heranzutreten, um von diesen mit faulen Ausreden vertröstet zu werden, sondern ganz praktisch etwas zu unternehmen. Ich bin kein Wahrsager und kann die zukünftigen Reaktionen nicht abschätzen. Ich bin Mitglied des Solidaritätskreises der Hanfapotheke geworden, weil ich es mittlerweile als unerträglich empfinde, wie seitens der Politik und vieler Juristen mit den Patienten umgesprungen wird.

Viel mehr als die Reaktionen von öffentlicher Seite interessieren mich die Reaktionen von Menschen, die ihren Beitrag zu dem Projekt leisten können. Ich hoffe hier auf die Solidarität von Cannabis-Konsumenten mit Schwerkranken, die Cannabis dringend benötigen. Ich würde mich freuen, wenn sich auch der eine oder andere Leser des Hanf Journals angesprochen fühlt und mitwirken würde.

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