Das peinliche Schweigen der Bundesdrogenbeauftragten zu den Brechmitteleinsätzen
Die Universität von Bremen hat eines der bedeutendsten
Drogenforschungsinstitute von Europa. Doch die wissenschaftlichen
Ergebnisse aus der Forschung finden kein offenes Ohr beim Bremer Senat,
der sich beharrlich allen Neuerungen in der Drogenpolitik widersetzt.
So gibt es in Bremen bis heute keine Fixerstube und auch kein
Heroin-Abgabeprojekt, dafür jedoch seit Jahren mit Abstand die höchste
Zahl an Drogentoten pro Einwohner im Vergleich zu den anderen
Bundesländern. Letztes Jahr wurden in Bremen mehr Drogentote [61]
registriert als im dreimal so großen Hamburg [60].
In Bremen starb am 7. Januar 2005 Laya-Alama Conde aus Sierra Leone,
ein mutmaßlicher Drogendealer, nachdem die Polizei ihm zwei Wochen
zuvor gewaltsam ein Brechmittel eingeflößt hatte. Die
Staatsanwaltschaft ermittelt nun gegen zwei beteiligte Ärzte wegen des
Verdachts auf fahrlässige Tötung. Es geht um den Mediziner, der das
Mittel verabreicht hat und um einen hinzugezogenen Notarzt.
Fast zwei Wochen lag Laye-Alama Conde im Koma. Dem mutmaßlichen Dealer
wurde so viel Wasser in den Magen eingeflößt, dass sich die Lunge
füllte, was zu Sauerstoffmangel und letztlich zum Hirntod führte. Der
Mann sei ertrunken, diagnostizierte der Notarzt Jörn Günther.
Rechtlich ist ein Brechmitteleinsatz zwar in allen Bundesländern
möglich, wird aber nur in Berlin, Bremen, Hamburg sowie in eher
seltenen Fällen in Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen auch gegen den
Willen der Verdächtigen angewandt, obwohl Ärzte, Wissenschaftler und
Menschenrechtsorganisationen immer wieder davor warnen. Im Dezember
2001 starb in Hamburg der 19-jährige Michael Nwabuisis an den Folgen
eines gewaltsamen Brechmitteleinsatzes.
Der Einsatz von Brechmitteln ist in Bremen seit 13 Jahren erlaubt und
wurde im Jahr 2003 in 86 Fällen und im Jahr 2004 in 97 Fällen staatlich
verordnet. Im sehr viel größeren Hamburg waren es im Jahr 2003
insgesamt 117 Fälle gewesen. Länder wie Schleswig-Holstein, Bayern oder
Baden-Württemberg hingegen verzichteten völlig auf diese zweifelhafte
Maßnahme.
Gemäß Rolf Herderhorst, Bremens innenpolitischer Sprecher der CDU,
seien in den vergangenen zwölf Jahren bei mehr als 1.000
Brechmittelvergaben nie Probleme aufgetreten. Bei mindestens jedem
Fünften seien keine Drogen gefunden worden. Das heißt mit anderen
Worten, in Bremen mussten über 200 unschuldige Personen auf Geheiß der
Polizei kotzen! Das ist wahrlich zum Kotzen!
Der Deutsche Ärztetag hat sich bereits im Jahr 2002 eine klare Meinung
gebildet: Eine gewaltsame Brechmittelgabe sei „mit unserem ärztlichen
Berufsethos nicht zu vereinbaren”. In der Verordnung für die
Ärzteschaft heißt es in Paragraph 1 Berufsausübung, Absatz 2: „Aufgabe
des Arztes ist es, das Leben zu erhalten, die Gesundheit zu schützen
und wiederherzustellen sowie Leiden zu lindern und sich für die
Erhaltung der Umwelt als Grundlage der Gesundheit einzusetzen. Der Arzt
übt seinen Beruf nach den Geboten der Menschlichkeit aus. Er darf keine
Grundsätze anerkennen und keine Vorschriften oder Anweisungen beachten,
die mit seiner Aufgabe nicht vereinbar sind oder deren Befolgung er
nicht verantworten kann.”
Bei den unter Zwang durchgeführten Brechmitteleinsätzen handeln die
beteiligten Ärzte im Auftrage des Staates oder einer dem Staate nahe
stehenden Einrichtung. In all diesen Fällen wird die körperliche
Integrität gegen den Willen der Betroffenen verletzt. Immer hat sich
der Arzt dabei zu fragen: Schade ich damit dem Menschen? Und immer wenn
diese Frage bejaht wird, muss er die Maßnahme verweigern, nicht
zuletzt, weil dies die Berufsordnung ausdrücklich verlangt.
Dutzende von Professoren der Bremer Uni plädieren für die Abschaffung
der Zwangsmaßnahme. Die Professoren und Dozenten monieren, dass diese
Praxis in Bremen und anderswo „seit Jahren angewandt” werde, obwohl die
Vergabe von Brechmitteln zur polizeilichen Sicherung von Beweismitteln
schon im Jahr 2001 in Hamburg ein Menschenleben gekostet hatte.
Spätestens seit diesem Vorfall müsse „klar sein”, so die Erklärung
weiter, „dass die Polizei beim gewaltsamen Verabreichen von
Brechmitteln bewusst den Tod der Betroffenen in Kauf nimmt”. Amnesty
International fordert, wie auch die Internationale Liga für
Menschenrechte, die in Bremen und einzelnen anderen Bundesländern
üblichen Zwangseinsätze zu stoppen.
Rechtlich werden die Brechmitteleinsätze auf Paragraph 81a der
Strafprozessordnung gestützt, der „körperliche Untersuchungen” – wie
Blutentnahmen – auch gegen den Willen des Verdächtigen erlaubt. Laut
Gesetz darf dabei allerdings „kein Nachteil für seine Gesundheit zu
befürchten” sein. Die meisten Ärzte lehnen das zwangsweise Legen einer
Magensonde ab, weil hier die Verletzungsgefahr zu groß ist.
Ob der Brechmitteleinsatz durch deutsche Behörden zulässig ist, muss
demnächst der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR)
entscheiden. Im Dezember erklärte der Straßburger Gerichtshof die
Beschwerde des Ratinger Rechtsanwalts Ulrich Busch für zulässig. Sein
Mandant, ein Mann aus Sierra Leone, war 1993 in Wuppertal mit dem
Brechmittel Ipecacuanha-Sirup behandelt worden. Er erbrach mehrere
Portionen Kokain. In Deutschland blieben alle Rechtsmittel gegen den
Brechmitteleinsatz erfolglos. Wegen der grundsätzlichen Bedeutung der
Sache muss nun die mit 17 Richtern besetzte Große Kammer in Straßburg
über den Brechmitteleinsatz entscheiden.
Bremen, der drogenpolitische Schandfleck Deutschlands, hat sich einmal
mehr mit Schande besudelt – die Bundesdrogenbeauftragte Marion
Caspers-Merk durch ihr beharrliches Schweigen zu dem Vorgang in Bremen
ebenfalls. Wahrlich peinlich!