Samstag, 9. Oktober 2004

Entheovison II

Die Götter müssen bekifft sein!

Wieanders lässt sich die schier unglaubliche Menge der entheogenen (gr. für: dasGöttliche in sich bergend bzw. hervorbringende) Pflanzen erklären? AuchCannabis Sativa ist ein Entheogen. Der Begriff „entheogen“ wird seit einigenJahren anstelle des mit negativen Assoziationen besetzten „psychedelisch“benutzt, um vorurteilsfrei über diese Pflanzen, Tiere und Pilze sprechen zukönnen.

DieEntheovision, der Kongress der wissenschaftlichen Psychonautik (gr. Seelenforschung)fand am 21. und 22.08.2004 bereits zum zweiten Mal in Berlin statt. Organisiertwurde sie von Hartwin Rohde, dem Herausgeber des deutschen Fachblatts derDrogenforschung „Entheogene Blätter“. Die Liste der Redner las sich wie das„Who is who“ der deutschen und internationalen Forschung mit wirksamenSubstanzen. Sergius Golowin eröffnete vor rund 150 Gästen den Kongress mitseinem Vortrag über Absinth „Die Grüne Fee“. Das alkoholhaltige, psychoaktiveGetränk war seit 1923wegen seiner Wirkung verboten und ist erst seit 1991, inverwässerter Konzentration, wieder frei erhältlich. Dr. Christian Rätsch, derEthno-Pharmakologe, klärte danach über die prinzipiellen Schwierigkeiten beider richtigen Dosierung von Entheogenen auf, da diese sehr individuell aufMenschen wirken. Wie bereits Timothy Leary feststellte, wird eine „Reise zu denAntipoden der Psyche“ von Dosis, Set und Setting, also auch durch die eigeneStimmungslage und die äußeren Bedingungen, bestimmt. Jon Hanna, Publizist,kommentierte die zeitgenössische, psychedelische Kunst und führte u. a. dieComputeranimation „Kunstbar“ vor. Markus Berger bewies dem begeistertzuhörenden Publikum, dass eine drogenfreie Welt, wie sie von Prohibitionistengefordert wird, vollkommen unmöglich ist. Denn „psychoaktive Drogen sindüberall“! zumindest wenn man sich so gut auskennt wie er. Wie gut, dass erbereits einige Bücher zum Thema veröffentlicht hat. Einen mit Spannungerwarteten Vortrag zur Suchttherapie mit Ibogain hieltSandra Karpetas. Ibogainist die psychoaktive Substanz der auch in Deutschland frei verkäuflichenafrikanischen Iboga-Wurzel. Die Therapie von Heroinabhängigen dauert fünf Tage,der Trip an sich 36 Stunden, in denen der Patient sich in einem tranceartigenZustand befindet. Die Erfolgsquote liegt bei 68 Prozent nach drei Monaten. DanaBeal, der Hanf-Aktivist und Mentor des Million Marijuana March, setzt sichbereits seit Jahren für die Iboga-Therapie ein. Die Wartelisten sind leiderlang . . .

Denzweiten Tag des Kongresses eröffneten Dr. Ann Shulgin und Dr. AlexanderShulgin, ein Forscherehepaar aus den USA. Beide haben u. a. in zahllosenSelbstversuchen die Tryptamine und Phenetylamine erforscht. Wenn Dr. AnnShulgin sagt, sie habe mehr als 1000 Trips genossen und sei zutiefst dankbarfür diese tief greifenden Erfahrungen, gibt sie auch zu bedenken, dass dieseSubstanzen zum bloßen unreflektierten „Highsein“ viel zu schade sind undfordert einen respektvollen Umgang mit denpsychoaktiven Substanzen.

SilvioA. Rohde, Publizist, referierte über den sakramentalen Gebrauch von Ayahuascain den brasilianischen Daime-Kirchen. Das internationale Publikum war dermaßeninteressiert, dass der Raum nicht alle Menschen fassen konnte. Gleichermaßenbegeistern konnte der Chemiker Jochen Gartz mit dem Thema: „Psilocybe und derenmedizinische Anwendung“ bspw. bei Migräne und Cluster-Kopfschmerzen. Passendhierzu und mindestens ebensogut besucht war der Pilzzucht-Workshop mit MichaelGanslmeier, der natürlich im Freien stattfand. Es ist durchaus möglich, dassdas Mycel nun auch das Gelände der FHTW (Fachhochschule für Technik undWissenschaft) in Berlin erobert. Augen offen halten!

UlrichHolbein, Sprachkünstler und Schriftsteller, wollte ursprünglich die Frage: „Wieviel Gott transportieren entheogene Pflanzen tatsächlich?“ beantworten, stelltejedoch gleich zu Beginn fest, dass er sich dieses thematisch enge Korsettnichtanlegen lassen darf, um dem Thema gerecht werden zu können. Aufintelligent-witzige Weise entführte er die Zuhörer und Zuseher in seine Welt,in der alles anders ist oder auch nicht und im jedem Fall, und unter tosendemBeifall regte er zur erneuten Prüfung eingeschliffener Sichtweisen an.

Weitere Referenten waren Dr. Claudia Müller-Ebeling, Marc Iwaszkiewicz,Hans Cousto, Wolfgang Sterneck, Bernd Lauer und Wolfgang Bauer. Werner Pieper,Autor und Gründer des MedienXperimente-Verlages und der Dealerselbsthilfe„Grüne Hilfe“ 1971, überzeugte neben seiner witzig-jovialen Art vor allem durchseine Schlagfertigkeit in jeder Situation als charismatischer und sympathischerModerator.

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