Freitag, 9. Juli 2004

Gemeinsamer Leserbrief an den Spiegel

Lest hier den gemeinsamen Leserbrief von:

Hanf Journal, www.cannabislegal.de, Verein für Drogenpolitik e. V., Bündnis Hanfparade e.V., Hanf Initiative, Grüne Hilfe – Netzwerk e.V., www.hanfpolitik.de, Deutscher Hanf Verband und Bundesnetzwerk Drogenpolitik bezügliches des Artikels “Die Seuche Cannabis” in dem Nachrichtenmagazin “Der Spiegel”.

Werner Graf
Lettestraße 3
10437 Berlin

Tel.: 030 / 44 67 59 01
Fax.: 030 / 44 79 32 86

An

Der Spiegel
z.H. der Redaktion
Brandstwiete 19

20457 Hamburg

Leserbrief zu Artikel „Die Seuche Cannabis“ (Nr. 27/2004)

Berlin, 08.07.2004

Sehr geehrte Autoren des Spiegel-Titels,
Sehr geehrte Redaktion,

wir, die Unterzeichner dieses Briefes, waren mehr als nur irritiert über ihre Schlagzeile „Die Seuche Cannabis“ Ihrer Ausgabe 27/28.06.2004. Ihr Artikel war in unseren Augen unseriös, schlecht recherchiert und in machen Teilen sogar gefährlich. Dies können wir an mehreren Stellen begründen.

Sie beschreiben an vielen Stellen, warum der Lebenslauf einiger Menschen vermeintlich am Konsum von illegalisierten Drogen gescheitert sei. Doch anstatt zu recherchieren, was in letzter Zeit schief gelaufen wäre suggerieren Sie, dass gerade das Scheitern der derzeitigen Politik gegen eine Reform sprechen würde. Das ist gelinde gesagt schizophren, denn wenn Sie feststellen, dass ein System gescheitert ist, sollte man über Reformen offen und produktiv sprechen. Gerade Ihre Beispiele begründen doch, dass ein „weiter so wie bisher“ nicht die Lösung sein kann. Der rapide Anstieg des Konsums unter Jugendlichen, gerade auch in den drogenpolitisch besonders repressiven neuen Bundesländern, zeigt, dass Totalprohibition ohne Altersgrenze kein geeignetes Mittel zum Jugendschutz ist. Der drohend erhobene Zeigefinger bringt nichts, im Gegenteil (“forbidden fruit”-Effekt).

Außerdem ist eine wirksame Prävention nicht möglich, wenn nicht offen über Konsum geredet werden kann. Es macht einen Unterschied, wie alt ein Konsument ist, aus welcher Motivation und wie häufig er konsumiert. Wie will man den Unterschied zwischen Gebrauch und Missbrauch vermitteln, wenn der Gesetzgeber selbst keinen Unterschied macht und alle Konsumenten von Cannabis gleichermaßen als Kriminelle behandelt? Es wird auch erschwert, wenn immer wieder neue irreführende und falsche Vergleiche gezogen werden. So schreiben Sie beispielsweise: „Wenn solche Kiffer dann auch noch Alkohol konsumieren oder Ecstasy einwerfen, `stürzen sie schneller ab als mit Heroin´ sagt Rainer Thomasius.“ Dies ist mehr als gefährlich. Fast alle Konsumenten von Cannabis haben die Droge Alkohol ohne weiter abzurutschen schon einmal gleichzeitig konsumiert. Die Nebenwirkungen der beschriebenen Konsummuster sind nicht vergleichbar mit denen des Heroinkonsums. Wussten Sie, dass Ihr angeblicher Experte bisher weder zu Cannabis, noch Alkohol noch Heroin publiziert hat? Sein Schwerpunktthema war bisher Ecstasy, wo seine Ergebnisse in Fachkreisen äußerst umstritten sind.

Sie schreiben selbst, dass die Konsumverbreitung in den Niederlanden nicht höher ist als in Deutschland. Das bezeugt, dass die Prohibition kein geeignetes Mittel ist um die Konsumgewohnheiten einer Gesellschaft zu beeinflussen. Laut BVerfG-Entscheidung von 1994 ist der Gesetzgeber nach dem Verhältnismäßigkeitsgebot verpflichtet, das „am wenigsten“ in Grundrechte eingreifende Mittel zu verwenden, welches das Ziel gleichwertig fördert. Mit anderen Worten, wenn Deutschland keine besseren Ergebnisse vorweisen kann, „darf“ der Gesetzgeber das strafrechtliche Verbot nicht beibehalten. Ganz abgesehen davon, dass noch nie die Auswirkungen eines Verbotes wirklich geprüft worden sind. Hilft in den von Ihnen beschriebenen Fällen die Prohibition wirklich, oder wurde es dadurch nur schlimmer? Kann der Jugendschutz durch einen am Schwarzmarkt arbeitenden Dealer wirklich gewährleistet werden? Glauben uns Jugendliche noch, dass Drogen böse sind, wenn der Oberbürgermeister sich jedes Jahr über neue Ausschankrekorde freut? Aber all diese Fragen stellen Sie in ihrem Artikel nicht.

Sie erwähnen in keinem Bereich ihres Artikels, wie viel Geld durch die derzeitige Politik buchstäblich zum Fenster hinaus geworfen wird. Dabei werden die Mittel für Prävention regelmäßig gestrichen. Derzeit stehen Bund, Länder und Gemeinden insgesamt nur 30 bis 40 Millionen Euro pro Jahr an Mitteln zur Suchtvorbeugung bei Alkohol, Nikotin, Cannabis, Medikamenten und andere Drogen zur Verfügung. Bei einer sehr vorsichtigen Schätzung mit Cannabisverkäufen von minimal 500 Millionen Euro pro Jahr brächte allein die Erhebung von Mehrwertsteuer auf Cannabis dem Staat 80 Millionen Euro pro Jahr, genug um die Mittel für Suchtvorbeugung ohne zusätzliche Belastung von Nichtkonsumenten zu verdreifachen! Dabei gäbe es aber nicht nur den finanziellen Vorteil. Die Prävention könnte endlich ehrlich geführt werden, denn nur so kann – fern vor jeder Angst vor dem Gesetz – ehrlich geredet und aufgeklärt werden.

Zum Schluss möchten wir Sie noch darauf hinweisen, dass Sie mehrfach verschiedene Studien falsch zitieren bzw. wiedergegeben haben. So wurde in der von Ihnen beschrieben Studie aus Bremen nicht THC, sondern Win 55,212-2 injiziert und auch nicht wie behauptet in einer Dosierung, die einem Joint täglich entspricht (die Forscher verwehrten sich selbst gegen diese Gleichsetzung). Bei Berücksichtigung der jeweiligen Konsumform entsprach die Dosierung umgerechnet 12 Gramm Cannabis – zwei Wochenrationen eines Dauerkiffers. Auch an anderen Stellen wurde sehr einseitig berichtet. So sagen sie zwar, dass Schweden weniger Cannabiskonsumenten hat, aber nicht, dass dort viel mehr Menschen an illegalisierten Drogen sterben als in Holland. Auch die Darstellung der 15.000 Menschen, die wegen Cannabis zu den Beratungsstellen gingen, ist so, wie sie es geschrieben haben, falsch. Genauso wie Ihre Aussagen zum Wirkstoffgehalt, denn diese stehen im diametralen Gegensatz zur jüngsten EMCDDA-Studie, welche zu dem Ergebnis kommt, dass der THC-Gehalt in Cannabis nicht angestiegen ist. Mit solchen Aufzählungen könnten wir fortfahren, siehe die entsprechenden Beiträge auf unseren Homepages.

Wir hoffen, dass Sie in Zukunft lieber einmal öfter nachfragen und wieder sorgfältig recherchieren. Informationen über Drogen sind wichtig, doch müssen sie auch stimmen. Wir benötigen eine undogmatische und offene Diskussion über Drogen, keine mit Halbwahrheiten und Polemik. Das Problem ist viel zu Ernst, als das man es als Füllstoff für ein Sommerloch ausnützen sollte. An der falschen Drogenpolitik in Deutschland sterben jährlich noch zu viele Menschen.

Mit freundlichen Grüßen,

Werner Graf (Hanf Journal)
www.hanfjournal.de

Joe Wein (Cannabislegal.de)
www.cannabislegal.de

Tilmann Holzer (Verein für Drogenpolitik e. V.)
www.drogenpolitik.org

Steffen Geyer (Bündnis Hanfparade e.V.)
www.hanfparade.de

Sokratis Zacharopoulos (Hanf Initiative)
www.hanf-initiative.de

Benny Bänsch (Grüne Hilfe – Netzwerk e.V.)
www.gruene-hilfe.de

Dirk Rehahn, i.V. (Deutscher Hanf Verband)
www.hanfverband.de

Silke Kollwitz (Bundesnetzwerk Drogenpolitik)
www.bndrogenpolitik.de

Abonnieren
Benachrichtige mich bei

Schnelles Login:

0 Kommentare
Inline Feedbacks
Alle Kommentare zeigen