Mittwoch, 8. Juli 2020

Fast-Freispruch für Cannabis-Patienten in Hamburg

Foto: Vor dem Haus der Gerichte in Hamburg

Am gestrigen Dienstag wurde das Verfahren gegen den Berliner Schmerzpatienten Matthias G. vor dem Hamburger Amtsgericht einvernehmlich eingestellt. Dem Neunundzwanzigjährigen wurde vorgeworfen, 2018 bei einer Kontrolle mehrere Polizisten tätlich angegriffen zu haben. Den Schilderungen des Angeklagten zufolge wurde er von der Polizei misshandelt und verletzt. Am Ende kam es, nach Anklageverlesung, einer Erklärung des Angeklagten, die er durch seinen Anwalt verlesen ließ, und der Vernehmung des ersten von vier Polizeibeamten als Zeuge, zu einem Freispruch zweiter Klasse.


Matthias wurde vorgeworfen, statt auf sein Cannabis-Rezept hinzuweisen, sich dem Zugriffsversuch auf seinen „Joint“ körperlich widersetzt zu haben, sodass dem Beamten drei weitere zur Hilfe kommen mussten, um den dreiundsechzig Kilogramm schweren Schwerbehinderten zu überwältigen, wie auch der mindestens hundert Kilogramm wiegende Polizeibeamte als Zeuge berichtet. Auf Nachfrage des Richters kann sich der Polizist nicht mehr genau daran erinnern, wann das Wort „Rezept“ das erste mal gefallen sei, entweder auf der Wache oder auf dem Weg dahin. 

Unmittelbar am Handgelenk festgehalten


Matthias hingegen erklärt, er sei unmittelbar am Handgelenk festgehalten worden, habe sofort erklärt, er dürfe Cannabis konsumieren, habe ein Rezept, das sich in seinem Rucksack befindet. Er habe zwar seinen Joint weggezogen, als der Beamte danach gegriffen habe, hatte aber schon seine Brieftasche in der Hand, um sich auszuweisen. Auf Nachfrage des Richters kann sich der Polizeibeamte daran nicht erinnern, erläutert aber, dass für ihn die Sicherung des Beweismittels, also des Joints, Vorrang gehabt hätte, vor einer möglichen Legitimation des Verdächtigen, also der Kontrolle des Rezeptes.

Unstrittig ist, dass Matthias Verletzungen davon trug, noch stundenlang auf der Wache festgehalten und bis in den Intimbereich durchsucht wurde, weil man ihn als Dealer verdächtigte. „Drogengeld erkenne ich, wenn ich es sehe.“, soll ein Beamter in einem Telefonat mit der Apothekerin gesagt haben, mit der Matthias einen Termin hatte, um sein nächstes Rezept einzulösen. 2018 berichteten das Vice Magazin und die Hamburger Morgenpost.

Freispruch zweiter Klasse aber mit deutlicher Betonung der Fragwürdigkeit einer möglichen Schuld. „Dass auch die Kosten und Auslagen des Angeklagten bei einer Einstellung von der Staatskasse getragen werden, kommt eher selten vor.“ betont sein Anwalt Klaus Poschmann aus Berlin im Anschluss. „Das ist ein deutliches Zeichen, dass das Gericht von einer möglichen, aber wenn überhaupt einer minimalen Schuld ausgeht.“ Er sieht den Beschluss des Gerichts zur Einstellung des Verfahrens als „nach Gesetzeslage sachgerecht“. „Das Gericht hat gut herausgearbeitet, dass die Polizei bei einer Kontrolle vermeintliche Beweismittelsicherung hintenan zu stellen hat, und dem Kontrollierten zuerst Gelegenheit gegeben werden muss, sein Rezept zu zeigen und einen Verdacht auszuräumen.“

Richter: Niemand möchte Sie heute verurteilen


„Niemand möchte Sie heute verurteilen!“ wirbt der Richter bei dem Angeklagten dafür, der Einstellung des Verfahrens zuzustimmen. Eine Einstellung sei „folgegleich“, hätte also keine anderen Konsequenzen als ein Freispruch, erläutert er und erklärt, dass ein Freispruch aber schwierig wäre, eine langwierige Fortsetzung notwendig sei, die auch für ihn aufwendig wäre. Er könne hier und heute mit einer Zustimmung das Ganze abschließen. Aber genau das sieht Matthias anders: „Ich habe mit verschiedenen Erkrankungen und Folgeerkrankungen zu kämpfen. Mit den Schmerzen und Bewegungseinschränkungen durch meine Fibromyalgie und Arthrose, aber auch mit Panikattacken und Depressionen und so. Ich war, auch durch die Medikation mit Cannabis, auf einem guten Weg. Wollte noch mal eine Ausbildung machen, … Seit dem Vorfall geht es mir wieder deutlich schlechter. Ich kann das heute nicht abschließen.“

Polizei hat rechtswidrig gehandelt


„Das Vorgehen der Polizei war unverhältnismäßig und damit rechtswidrig.“ stellte der Vorsitzende deutlich klar, sah darin aber vor allem eine Überforderung des hauptsächlich beteiligten Polizisten. „Der Richter ist so weit gegangen, wie er konnte.“ kommentiert Christiane Schneider die innenpolitische Sprecherin der Fraktion Die Linke. „Heute ist wieder deutlich geworden, dass in der Polizei Richtlinien zum Umgang mit Cannabis-Patienten fehlen.“ Christiane Schneider hatte 2018, nach dem hier verhandelten Vorfall, eine kleine Anfrage in der Hamburgischen Bürgerschaft gestellt, ob es solche Richtlinien oder Dienstanweisungen geben würde. Die Antwort der Polizei Hamburg kurz zusammengefasst lautete: Nö, haben wir nicht. Brauchen wir auch nicht.


Das sieht auch Andreas Gerhold, der Vorsitzende des Cannabis Social Club Hamburg anders, der Matthias zum Prozess begleitete und für einen gut gefüllten Saal gesorgt hatte. „Dies war natürlich ein deutlicher Auswuchs, den auch der Richter als rechtswidrig erkannt hat. Aber es wurde auch deutlich, dass Cannabis-Patienten einem ungeregelten Generalverdacht des Missbrauchs ausgesetzt sind. Selbst wenn man ihnen Gelegenheit gibt, ihr Rezept zu zeigen, bevor man sie überwältigt, müssen sie ständig ihre Unschuld belegen, werden ständig kontrolliert. Die Polizei Hamburg hat jüngst wegen großen Protestes ein Social-Media-Plakat zurückgezogen, in dem Diabetiker unter den Generalverdacht gestellt werden, es könne sich auch um Heroinmissbrauch handeln. Das ist natürlich absurd. Genauso absurd sollte es allerdings heute sein, jemanden wegen Cannabiskonsums generell des Missbrauchs und des gesetzwidrigen Handelns zu verdächtigen, da immer mehr Menschen Cannabis als Medizin verschrieben bekommen.“

Foto: Cannabis-Patient Matthias G. mit seiner Medizin
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14 Kommentare
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DIE HANFINITIATIVE
3 Jahre zuvor

UUUPS Grade habe ich meinen Text geschrieben und wollte ihn posten, da bringt ihr den Artikel. Trotzdem mein Appell an den Herrn INNENMINISTER 😀 BEI UNS in Deutschland. Wir gehen liebevoll und hilfsbereit mit Kranken und Schwachen, mit Hilfsbedürftigen und auf uns angewiesenen Menschen um. Brutalität und Polizeigewalt, gibt es bei UNS nicht. Schon GAR NICHT gegen Kranke und schon GAR NICHT Krankheitsüberwachung und Feststellung ob der Kranke kein Kranker sondern ein Krimineller ist, weil er sein Rezept vergessen hat oder es nicht ordnungsgemnäß eingenommen hat – ansonsten gibt es das KNIE IN DEN NACKEN UND DU DARFST NICHT ATMEN… SOWAS GIBT ES NICHT IN DEUTSCHLAND!!!!!! (laut Innenminister “weil es verboten ist!”). 🙁 WEIT GEFEHLT —–>>>> siehe selbst: […] „Ein… Weiterlesen »

Bernhard
3 Jahre zuvor

Richter Müller spricht es einfach aus! „Ich würde allen deutschen Richtern empfehlen, mal zu kiffen“
Gibt genug “normale” – nur haben die es einfach satt, sich mit Unbelehrbaren, korrupten Saubermännern und Machthungrigen rumzuärgern.
Hoffentlich wird der private ökologische Anbau demnächst legalisiert, und nicht wie CDU/CSU üblich, der Industrie-Faschisten-Bereicherungs-Kunst-Cannabinoid-krank-mach-Scheiß im Misch-Masch-Alkohol-Zucker-Fett-System…
Kann man leider nur bedingt lesen – hinter Pay-Wall verborgen – wer das unbedingt mitmachen muss…
https://www.welt.de/politik/plus210202383/Jugendrichter-Andreas-Mueller-Richter-sollten-mal-kiffen.html

Andrea
3 Jahre zuvor

Nicht vergessen – bis zum 9. Juli 2020 kann noch die Petition “Strafverfolgung von Cannabis Patienten beenden” beim Petitionsausschuss im Bundestag mit gezeichnet werden.
https://www.youtube.com/watch?v=pCtPI-sf7XA
Jetzt mit zeichnen und weitersagen!

Daniela Ludwig
3 Jahre zuvor

Bis 9. Juli kann im Bundestag die Petition „Strafverfolgung von Cannabis Patienten beenden!“ mit gezeichnet werden.
Hier mehr Info: https://www.youtube.com/watch?v=pCtPI-sf7XA
Jetzt mit zeichnen und weitersagen

Cannabis als Medizin keine Strafverfolgung für Patienten von Dr. Franjo Grothenhermen
https://epetitionen.bundestag.de/petitionen/_2020/_04/_03/Petition_109200.$$$.a.u.html

Peace

Heisenberg
3 Jahre zuvor

Da waren sie wieder die Helden der Nation, oder soll ich besser sagen, SS-ähnliche Terrortrupe. Sie haben offenbar geistige Aussetzer, wenn es um die Menschenrechte geht und ihr Verhalten, behinderten Menschen gegenüber. Des Weiteren ist der Richter ein Feigling, denn wenn man das Ganze durchegezogen hätte, wäre folgerichtig eine Anklage, gegen die Polizei herasugekommen. Um das zu verhindern wir ein Unschuldiger weiter entrechtet, nur um diese martialische Gesindel zu schützen.
In Nazideutschland hätte diese Truppe der “Helden” gut gepaßt, in treuer Pflichterfüllung für Gauleiterin Ludwig.

Rainer Sikora
3 Jahre zuvor

Es sind eher die Freunde und Helfer,die kriminalisiert werden,die wirklich Kriminellen tragen Uniformen.Sie arbeiten im Auftrag von Schwerverbrechern mit Schlips und Kragen.Unsere Demokratie ist äußerst ehrlich,anständig,sauber ,aufrichtig,ordentlich und glaubwürdig.So ehrwürdig wie unsere CDU halt ist.

M. A. Haschberg
3 Jahre zuvor

Auch wenn diese Sache noch einmal glimpflich ausging, so zeichnet sich dennoch ab, dass dieser völlig unnötige Prohibitionsidiotismus bei Cannabisprodukten täglich neue Blüten eines schon fast krankhaften Verfolgungswahns treibt.
Haben unsere Vollzugskräfte wirklich nichts Wichtigeres zu tun?
Wenn jemand gesundheitsschädigende Pharmamedikamente verschrieben bekommt, schert sich merkwürdigerweise niemand darum.

DIE HANFINITIATIVE
3 Jahre zuvor

[…] Countdown zur Petition: noch 1,5 Tage kann elektronisch oder per Fax gezeichnet werden

Ich habe gerade 5000 E-Mails in mehreren Sprachen in alle Welt verschickt…
See More… […]

+++ M I T M A C H E N +++ BITTE 😀

https://www.facebook.com/permalink.php?story_fbid=2710617005886396&id=1643480862600021&

DANKE, lieben Dank 🙂 lieber Prof. Dr. Mechoulam. 🙂 🙂 🙂

PS lieber Markus Lanz laden Sie doch mal den Prof. Mechoulam ein. Er kann interessante Geschichten erzählen. 🙂

PSPS Viel Glück und alles Gute und Liebe für Matthias. 🙂 😀 🙂

PSPSPS +++ NOBELPREIS für Prof. Mechoulam +++ NOBELPREIS für Prof. Mechoulam +++ NOBELPREIS für Prof. Mechoulam +++ NOBELPREIS für Prof. Mechoulam +++ NOBELPREIS für Prof. Mechoulam …

Holla die Waldfee
3 Jahre zuvor

Das ganze Drama hätte vermieden werden können, hätte der Angeklagte statt seines Joints einen medizinischen Verdampfer benutzt.

Wenn jemand mit einem Joint offen durch die Gegend marschiert braucht er sich doch nicht wundern, wenn er für einen illegalen Konsumenten gehalten wird.

Ich mache auch eine Cannabis-Therapie, aber Probleme mit der Polizei hatte ich noch keine.

Krake
3 Jahre zuvor

Greets………..finde ich auch, wie man kommt gegangen, so wird man auch empfangen. Hey, ich vermisse bei dem jungen Mann auch so´n bischen Gespür für die Situation! So´ne gewisse Bauernschläue, hätte Ihm
glaube ich besser gestanden. Aber er hat auch noch genügend Jahre vor sich, um sich eben genau diese anzueignen, maybe…..

Geld aus dem Nichts
3 Jahre zuvor

Worüber soll man sich hier freuen ? Das ein Cannabispatient trotz Rezept nicht verhaftet wurde ? Wut wäre vieleicht angebrachter , Wut darüber das man seinen normalen Grundrechte in Deutschland erst einklagen muss (darf) . Obwohl die Polizei oft Rechtswiedrig handelt , vermeiden ,meistens, Personen die ein Cannabisrezept haben ,diese Anzuzeigen . Noch seltener werden Polizisten angezeigt ,durch Cannabiskonsumenten ohne Rezept . Überhaupt jemand der ,unnötig ,Kriminalisiert wird ,geht sehr selten zur Polizei ,auch nicht dann ,wenn er Zeuge oder Opfer ,eines Verbrechens wurde . Der Rechtliche Rahmen ermöglicht es, das überarbeitete Polizisten unangemessen agieren. Eine deutsche Justiz die Amok-läuft , ist die Ursache des Übels . Eine Justiz die das vergessen und verschweigen als angemessenen Umgang mit verbrechen praktiziert… Weiterlesen »

Otto Normal
3 Jahre zuvor

Greets………..finde ich auch, wie man kommt gegangen, so wird man auch empfangen. Hey, ich vermisse bei dem jungen Mann auch so´n bischen Gespür für die Situation! So´ne gewisse Bauernschläue, hätte Ihm Ja genau! was kifft der auch in aller Öffentlichkeit provokant rum? Spritze ich mein Insulin auf dem Bürgersteig? Nein! Ja und 350 sterben täglich am Tabakkonsum, aber was solls, das sind eben echte arische Drogen und nur die dürfen hier konsumiert werden, jawoll… Frau Ludwig wir müssen mal endlich durchgreifen, was raucht der Typ auch Joints wo es doch prima Psychopharmaka gibt. Jetzt wird aber aufgeräumt und wir wählen alle danach die AFD, dann gibt es auch endlich wieder den § 175, nicht wahr Herr Spahn? Und die Weiber… Weiterlesen »

bee
3 Jahre zuvor

#mir wird übel wenn ich lese was ihr über die polizei schreibt das eist einfach nur pure dummheit .
diese menschen machen nuur ihren job .die politiker und ihre gesetze sind schuld.

Ralf
3 Jahre zuvor

@bee Mir wird übel wenn ich Kommentare wie deinen lese. Wäre die Polizei nicht ein wesentlicher Teil des Systems Prohibition, wäre diese schon längst nicht mehr existent. 95% der Schergen sind der Meinung daß die Gesetzte so richtig sind und vertreten sie entsprechend unverhälnismäßig. Sie verfolgen unverhältnismäßig viel mehr als sie es müssten, und tun dabei in vorauseilendem Gehorsam, wesentlich mehr als ihren Job, siehe die Ermordung von Andre Borchert durch die Polizei. Der Politologe und Buchautor Herrmann Ploppa hat für sie den richtigen Ausdruck gefunden nämlich Merkel SS. Du bist wenn nicht nur ein dummer, dann sogar ein böser Mensch der die Opfer dieser Gewalttäter auch noch verhöhnt! Den Idioten auf dem Foto, den mit der Maske kenne ich… Weiterlesen »